Taumelnde Himmelskörper
Geologisch aktive Planeten können ihre Drehachse ändern – das ist riskant für entstehendes Leben.
Schon lange wendet der Mond der Erde immer die gleiche Seite zu. Nach seiner Entstehung vor rund 4,5 Milliarden Jahren drehte sich der Mond zunächst noch schnell um seine Achse. Die Eigenrotation unseres Trabanten wurde aber aufgrund der Gezeitenkräfte, die die Erde auf ihn ausübt, im Lauf der Jahrmillionen abgebremst. Er dreht sich in der gleichen Zeit um seine Achse, in der er die Erde umkreist. Diese sogenannte gebundene Rotation ist auch für das Verständnis ferner Planeten von Belang: Denn bei der Suche nach bewohnbaren Planeten im Weltraum gelten erdähnliche Planeten, die rote Zwergsterne umkreisen, als heiße Kandidaten. Solche Planeten lassen sich besonders gut beobachten, da ihre Sterne nicht allzu hell leuchten und sich die Atmosphäre dieser Planeten mit der neuen Generation von Teleskopen untersuchen lässt.
Da rote Zwergsterne nur eine sehr geringe Leuchtkraft haben, liegt ihre habitable Zone, innerhalb der sich Planeten mit flüssigem Wasser befinden können, ziemlich nahe am Zentralgestirn. Die Gezeitenkräfte sind entsprechend hoch, weshalb sich die meisten dieser möglicherweise lebensfreundlichen Planeten in einer gebundenen Rotation um ihren Stern befinden sollten. Die möglichen klimatischen Bedingungen auf diesen Planeten hängen aber auch davon ab, wie stabil eine solche gebundene Rotation überhaupt ist: Ist sie so stabil wie beim Mond oder kann sich die Orientierung ändern?
Dieser Frage ging der Geophysiker Jérémy Leconte von der Universität Bordeaux mittels Computersimulationen nach. Im Fachblatt »Nature Geoscience (DOI: 10.1038/ s41561-0180071-2) stellt er seine Ergebnisse vor. Danach können gebunden rotierende Planeten durchaus ihre Ausrichtung ändern, wenn sich aufgrund von Konvektion heißer Gesteinsmassen im Planeteninnern die Trägheitsmomente des Planeten verschieben. Frei rotierende Körper richten ihre Drehachse nach dem größtem Trägheitsmoment aus. Die größten Massen auf einem Planeten, etwa Gebirgszüge, sollten sich deshalb bevorzugt nahe am Äquator liegen.
»Massenbewegungen in einem Planetenmantel finden auf einer Zeitskala von einigen Dutzend bis hun- dert Millionen Jahren statt, dementsprechend lang dauert auch die Neuorientierung der Drehachse, die diesen Bewegungen folgt«, sagt Leconte. Bei gebunden rotierenden Planeten kommt es sogar besonders leicht zu solchen Wanderungen der Drehachse. Der Grund hierfür liegt in der vergleichsweise langsamen Rotation dieser Körper. Denn schnell drehende Körper setzen nach dem Gesetz der Drehimpulserhaltung einer Neuorientierung der Drehachse größeren Widerstand entgegen als langsam rotierende.
Auf der Erde hat sich die Rotationsachse wiederholt verschoben. Dies lässt sich heute aus Gesteinsproben herauslesen: Lavaschichten, die zu Basalt erstarrt sind, haben das Erdmagnetfeld zur Zeit ihrer Entstehung in magnetischen Kristallen konserviert. Da die Achse des Erdmagnetfeldes und die Drehachse weitgehend übereinstimmen, lässt sich so die geografische Breite der Basaltschichten zur Zeit ihrer Entstehung bestimmen. Manche alte Gesteine scheinen sehr viel weiter von ihrem Fundort entstanden zu sein, als sie allein auf- grund der Plattentektonik hätten wandern können – ein eindeutiger Hinweis auf eine Verschiebung der Drehachse unserer Planeten.
Nicht nur auf der Erde, auch auf anderen Planeten unseres Sonnensystem lässt sich dieser Effekt beobachten. Man kann dort zwar keine weit auseinanderliegenden Gesteinsproben analysieren. Doch zumindest statistische Überlegungen sprechen in vielen Fällen für eine Wanderung der Planetenachsen.
Auf dem Mars befindet sich mit dem Olympus Mons der höchste Berg un- Durch Konvektion hervorgerufene Massenbewegungen können zu einer drastischen Verschiebung der Planetenachse führen. seres Sonnensystems. Er überragt die umgebende Tiefebene um 26 Kilometer und das mittlere Planetenniveau um 22 Kilometer. Da der Mars keine Plattentektonik aufweist, konnten sich – anders als auf der Erde – keine Vulkanketten entlang von Plattenbruchstellen bilden. Stattdessen war das heiße Magma im Innern des Mars nur an wenigen Stellen stark genug, um die Kruste zu durchbrechen. An diesen Stellen entstanden aber besonders mächtige Vulkane. Olympus Mons befindet sich in der Nähe des Äquators – und ist vermutlich nicht dort entstanden, sondern die Planetenachse hat sich nach seiner Entstehung so ausgerichtet.
Gleiches gilt für das von hohen Bergen flankierte Plateau »Sputnik Planitia« auf Pluto. Da die Raumsonde »New Horizons« bei ihrem Vorbeiflug dort keine Meteoritenkrater entdecken konnte, ist die Region wahrscheinlich geologisch aktiv: Die Oberfläche könnte nur wenige 100 000 Jahre alt sein. Auch diese geologischen Formationen erstrecken sich über den Äquator und sind vermutlich erst später dorthin gewandert.
Was solche Neuorientierungen für das Klima auf einem habitablen Planeten bedeuten können, hängt wiederum von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Befindet sich bei einem mit seinem Stern gebunden rotierenden Planeten etwa eine große Wasser- oder Landmasse zentral gegenüber dem Zentralgestirn, dürfte es zu erheblichen klimatischen Veränderungen kommen, wenn sich diese Masse verschiebt und von anderen geologischen Formationen abgelöst wird. Da solche Verschiebungen aber in geologischen Zeiträumen stattfinden, sollten eventuelle Lebensformen aber einige Zeit haben, um sich evolutionär anzupassen.