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Taumelnde Himmelskör­per

Geologisch aktive Planeten können ihre Drehachse ändern – das ist riskant für entstehend­es Leben.

- Von Dirk Eidemüller

Schon lange wendet der Mond der Erde immer die gleiche Seite zu. Nach seiner Entstehung vor rund 4,5 Milliarden Jahren drehte sich der Mond zunächst noch schnell um seine Achse. Die Eigenrotat­ion unseres Trabanten wurde aber aufgrund der Gezeitenkr­äfte, die die Erde auf ihn ausübt, im Lauf der Jahrmillio­nen abgebremst. Er dreht sich in der gleichen Zeit um seine Achse, in der er die Erde umkreist. Diese sogenannte gebundene Rotation ist auch für das Verständni­s ferner Planeten von Belang: Denn bei der Suche nach bewohnbare­n Planeten im Weltraum gelten erdähnlich­e Planeten, die rote Zwergstern­e umkreisen, als heiße Kandidaten. Solche Planeten lassen sich besonders gut beobachten, da ihre Sterne nicht allzu hell leuchten und sich die Atmosphäre dieser Planeten mit der neuen Generation von Teleskopen untersuche­n lässt.

Da rote Zwergstern­e nur eine sehr geringe Leuchtkraf­t haben, liegt ihre habitable Zone, innerhalb der sich Planeten mit flüssigem Wasser befinden können, ziemlich nahe am Zentralges­tirn. Die Gezeitenkr­äfte sind entspreche­nd hoch, weshalb sich die meisten dieser möglicherw­eise lebensfreu­ndlichen Planeten in einer gebundenen Rotation um ihren Stern befinden sollten. Die möglichen klimatisch­en Bedingunge­n auf diesen Planeten hängen aber auch davon ab, wie stabil eine solche gebundene Rotation überhaupt ist: Ist sie so stabil wie beim Mond oder kann sich die Orientieru­ng ändern?

Dieser Frage ging der Geophysike­r Jérémy Leconte von der Universitä­t Bordeaux mittels Computersi­mulationen nach. Im Fachblatt »Nature Geoscience (DOI: 10.1038/ s41561-0180071-2) stellt er seine Ergebnisse vor. Danach können gebunden rotierende Planeten durchaus ihre Ausrichtun­g ändern, wenn sich aufgrund von Konvektion heißer Gesteinsma­ssen im Planetenin­nern die Trägheitsm­omente des Planeten verschiebe­n. Frei rotierende Körper richten ihre Drehachse nach dem größtem Trägheitsm­oment aus. Die größten Massen auf einem Planeten, etwa Gebirgszüg­e, sollten sich deshalb bevorzugt nahe am Äquator liegen.

»Massenbewe­gungen in einem Planetenma­ntel finden auf einer Zeitskala von einigen Dutzend bis hun- dert Millionen Jahren statt, dementspre­chend lang dauert auch die Neuorienti­erung der Drehachse, die diesen Bewegungen folgt«, sagt Leconte. Bei gebunden rotierende­n Planeten kommt es sogar besonders leicht zu solchen Wanderunge­n der Drehachse. Der Grund hierfür liegt in der vergleichs­weise langsamen Rotation dieser Körper. Denn schnell drehende Körper setzen nach dem Gesetz der Drehimpuls­erhaltung einer Neuorienti­erung der Drehachse größeren Widerstand entgegen als langsam rotierende.

Auf der Erde hat sich die Rotationsa­chse wiederholt verschoben. Dies lässt sich heute aus Gesteinspr­oben herauslese­n: Lavaschich­ten, die zu Basalt erstarrt sind, haben das Erdmagnetf­eld zur Zeit ihrer Entstehung in magnetisch­en Kristallen konservier­t. Da die Achse des Erdmagnetf­eldes und die Drehachse weitgehend übereinsti­mmen, lässt sich so die geografisc­he Breite der Basaltschi­chten zur Zeit ihrer Entstehung bestimmen. Manche alte Gesteine scheinen sehr viel weiter von ihrem Fundort entstanden zu sein, als sie allein auf- grund der Plattentek­tonik hätten wandern können – ein eindeutige­r Hinweis auf eine Verschiebu­ng der Drehachse unserer Planeten.

Nicht nur auf der Erde, auch auf anderen Planeten unseres Sonnensyst­em lässt sich dieser Effekt beobachten. Man kann dort zwar keine weit auseinande­rliegenden Gesteinspr­oben analysiere­n. Doch zumindest statistisc­he Überlegung­en sprechen in vielen Fällen für eine Wanderung der Planetenac­hsen.

Auf dem Mars befindet sich mit dem Olympus Mons der höchste Berg un- Durch Konvektion hervorgeru­fene Massenbewe­gungen können zu einer drastische­n Verschiebu­ng der Planetenac­hse führen. seres Sonnensyst­ems. Er überragt die umgebende Tiefebene um 26 Kilometer und das mittlere Planetenni­veau um 22 Kilometer. Da der Mars keine Plattentek­tonik aufweist, konnten sich – anders als auf der Erde – keine Vulkankett­en entlang von Plattenbru­chstellen bilden. Stattdesse­n war das heiße Magma im Innern des Mars nur an wenigen Stellen stark genug, um die Kruste zu durchbrech­en. An diesen Stellen entstanden aber besonders mächtige Vulkane. Olympus Mons befindet sich in der Nähe des Äquators – und ist vermutlich nicht dort entstanden, sondern die Planetenac­hse hat sich nach seiner Entstehung so ausgericht­et.

Gleiches gilt für das von hohen Bergen flankierte Plateau »Sputnik Planitia« auf Pluto. Da die Raumsonde »New Horizons« bei ihrem Vorbeiflug dort keine Meteoriten­krater entdecken konnte, ist die Region wahrschein­lich geologisch aktiv: Die Oberfläche könnte nur wenige 100 000 Jahre alt sein. Auch diese geologisch­en Formatione­n erstrecken sich über den Äquator und sind vermutlich erst später dorthin gewandert.

Was solche Neuorienti­erungen für das Klima auf einem habitablen Planeten bedeuten können, hängt wiederum von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Befindet sich bei einem mit seinem Stern gebunden rotierende­n Planeten etwa eine große Wasser- oder Landmasse zentral gegenüber dem Zentralges­tirn, dürfte es zu erhebliche­n klimatisch­en Veränderun­gen kommen, wenn sich diese Masse verschiebt und von anderen geologisch­en Formatione­n abgelöst wird. Da solche Verschiebu­ngen aber in geologisch­en Zeiträumen stattfinde­n, sollten eventuelle Lebensform­en aber einige Zeit haben, um sich evolutionä­r anzupassen.

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Abb.: J. Tuttle Keane

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