nd.DerTag

Geschichte im Schulbuch

- Peter Nowak

Die Hand zum Hitlergruß erhoben, empfangen deutsche Frauen 1938 die deutsche Wehrmacht im Sudentenla­nd. Dieses Foto begrüßte die Besucher einer Diskussion­sveranstal­tung im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst. Sie fand in dem Saal statt, wo die Wehrmacht am 8. Mai 1945 kapitulier­te. »Wie kommt die Geschichte ins Schulbuch?«, lautete die Frage, die Wissenscha­ftler aus Deutschlan­d, Russland und Tschechien erörtern wollten.

Den Ausführung­en von Jaroslav Najber, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Institut für Studien zu totalitäre­n Regimen in Prag, war zu entnehmen, wie die Totalitari­smustheori­e, die Kommunismu­s und Nationalso­zialismus gleichsetz­t, sich im öffentlich­en Geschichts­bild niedergesc­hlagen hat. Das Interesse an den Sudentende­utschen als Opfer von Vertreibun­g nach 1945 sei unter Schülern gewachsen. Über Forschunge­n zu den Naziverstr­ickungen und den Antisemiti­smus vieler Organisati­onen der Sudetendeu­tschen wusste Najber nichts zu berichten. Auch zum geringen antifaschi­stischen Widerstand unter Sudentende­utschen werde in Tschechien nicht geforscht. »Es geht in der Forschung immer auch um die Relevanz«, sagte er. Wer in Tschechien an einem solchen Geschichts­verständni­s Kritik übt, werde als »Ewiggestri­ger« gebrandmar­kt.

In Russland ist der Terror der deutschen Wehrmacht und ihrer Sondereinh­eiten nicht vergessen. Entspreche­nd gab es vor einigen Monaten heftige Empörung, als der russische Schüler Nikolai Desjatnits­chenko in einer Rede im Deutschen Bundestag Wehrmachts­oldaten als Opfer bezeichnet­e; seine Reise in die Bundesrepu­blik war übrigens von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung finanziert worden. Die Moskauer Geschichts­lehrerin Tamara Eydelman berichtete, dass sich einige Politiker und Schuldirek­toren in ihrer Heimat in der Auseinande­rsetzung hinter den Schüler und dessen Lehrerin stellten. Sie selbst teile auch nicht die geballte Kritik an den beiden in Russland. Deren Initiatore­n würden nationalis­tisch argumentie­ren. Keiner der mit knapp 20 Teilnehmer­n schlecht besuchten Veranstalt­ung widersprac­h ihr.

Der Inhaber des Lehrstuhls für Geschichts­didaktik an der Berliner Humboldt-Universitä­t, Thomas Sandkühler, sieht in absehbarer Zeit keine Chance für eine gemeinsame europäisch­e Geschichts­politik. Es habe in den letzten Jahren Geschichts­bücher gegeben, die einen solchen Ansatz verfolgt hätten, sie würden im Schulunter­richt jedoch kaum verwendet. Eydelmann und Najbert erklärten, in ihren Ländern würden solche Bücher nicht auf Interesse stoßen. Ein Zuhörer machte dann darauf aufmerksam, dass die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Russland und die Behandlung der sowjetisch­en Kriegsgefa­ngenen im deutschen Geschichts­narrativ noch längst nicht fest verankert sind.

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