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Im Königreich der Lifte

Die Skigebiete in den Alpen überbieten sich gegenseiti­g mit Attraktion­en.

- Von Jirka Grahl

Wer in die Weite der Alpen blickt, wird nachdenkli­ch: Wie kann es sein, dass hier das Menschenge­machte fast noch mehr Ehrfurcht erweckt, als die majestätis­chen Gipfelkett­en eines etwa 100 Millionen Jahre alten Gebirges? Derlei fragt man sich, während die »G-Link« langsam vom Grafenberg zum Grießenkar­eck zuckelt. Die Abfahrtski stehen in einer Ecke der Gondel, man genießt die Aussicht aus der Glaskabine der ultramoder­nen Pendelseil­bahn im Salzburger Land. Es ist kurz nach sieben Uhr, hinterm malerische­n Dachsteinm­assiv taucht gerade die Sonne auf. Der Blick ist fantastisc­h.

In 200 Meter Höhe schwebt die Bahn über das erwachende Tal – an dünnem Drahtseil über verschneit­e Dächer. Die »G-Link« ist ein ingenieurt­echnisches Meisterwer­k: 2,1 Kilometer am Seil ohne Stützpfeil­er von Skiberg zu Skiberg. Die »G-Link« verbindet zwei beliebte Pisten des Skigebiets Wagrain-Kleinarl. Die »Talstation« liegt auf 1233, die »Bergstatio­n« auf 1240 Meter. Nachher, nach acht, wenn die Pisten geöffnet sind, werden bis zu 130 Menschen die Kabine füllen. Und das Seil wird in der Mitte fast 150 Meter durchhänge­n.

Jetzt aber ist es eine leichte Fuhre: Nur ein Dutzend Gäste sitzt in der Gondel – an eigens herbeigesc­hafften Tischen. In der neun mal vier Meter großen Kabine duftet es nach Kaffee und den Zutaten eines österreich­ischen Frühstücks: Kaisersemm­eln, Gselchtes, Extrawurst, Bauerntopf­en, Zwetschken­marmelade. Dieses Gon- delfrühstü­ck mit Panoramaau­ssicht haben die Gäste in einem Erlebnispa­ket beim Skiverbund »Ski amadé« zusätzlich gebucht, gleich werden sie als erste auf die frisch präpariert­en Pisten gelassen, eine Viertelstu­nde vor allen anderen Skifahrern.

Längst sind es nicht mehr nur die Pistenkilo­meter in dreistelli­ger Höhe oder die Zahl der Sechser-, Achterund Zehner-Sessellift­e, mit denen sich die Skigebiete der Alpen voneinande­r abzusetzen versuchen. Es geht ums Erlebnis und das, was am Ende vom Skiurlaub in Erinnerung bleibt. Oder wie Christoph Eisinger, Geschäftsf­ührer von Ski amadé, sagt: »Sammle Momente, nicht Dinge – das ist unsere Idee hinter diesen Angeboten.«

Wer das übliche Gewimmel auf Österreich­s Pisten kennt, weiß, dass das neue »Made my day«-Package von Ski amadé trotz des stolzen Preises seine Abnehmer finden wird. Eine Fotografin wird am Vormittag Actionfoto­s von den Skifahrern machen, der anschließe­nde Riesentorl­auf wird auf Video aufgezeich­net und steht am Abend zum Download im Internet bereit. Am Nachmittag kann sich die Gruppe im »Massage-DriveIn« die strapazier­ten Oberschenk­el durchknete­n lassen, ehe mit einem »Genussmenü« der Skitag schließlic­h ausklingt – übrigens von morgens bis abends begleitet vom ehemaligen Weltcupfah­rer Rudi Huber.

»Himmelhoch­jauchzen-Tag« wurde das Paket getauft, das sich für stattliche 194 Euro zum Skipass hinzubuche­n lässt. dafür verspricht der Veranstalt­er kleine Gruppen bis zu zwölf Leuten. Zum Vergleich: Der Fünftagess­kipass kostet 236,50 Euro.

Ski amadé ist der größte Skiverbund Österreich­s: fünf Regionen, 760 Pistenkilo­meter, 270 Lifte und Seilbahnen im Salzburger Land und in der Steiermark. Doch auch der Krösus muss sich bei aller Profitabil­ität stets anstrengen, um unter all den Superlativ­en der Skigebiete hervorzust­echen. Skitourism­us ist eine gigantisch­e Industrie – allein die Deutschen geben laut Bundeswirt­schaftsmin­isterium mehr als elf Milliarden Euro pro Jahr für Skiurlaube aus.

Die Konkurrent­en schlafen nicht, ständig trumpfen sie mit neuen Bestmarken auf. In Sachen Schneesich­erheit etwa kann beispielsw­eise der italienisc­he Verbund »Dolomiti Superski« (zwölf Skigebiete) mit beinahe komplett beschneiba­ren Pisten protzen: Auf 97 Prozent der Hänge kann dem Wetter bei Bedarf nachgeholf­en werden, bei Ski amadé sind es 90 Prozent. Das Thema Kunstschne­e war indes im Winter 2017/18 für die Betreiber nicht so akut, es gab endlich wieder massenhaft Schnee und genügend Frost in den Alpen. »So schön war’s lange nicht«, erinnert sich Skiamadé-Chef Eisinger. Ganz nebenbei haben er und seine Liftbetrei­berkollege­n dabei auch eine Menge Geld gespart.

Neben der Beschneiun­g ziehen vor allem neue, leistungss­tarke Liftanlage­n die Gäste in die Skigebiete. Sie verheißen kurze Wartezeit und schnelle Auffahrt. In Sölden kann die Giggijochb­ahn mit ihren 133 Kabinen 4500 Menschen auf den Gipfel bringen. Auf den Stubaier Gletscher kann man sich mit der längsten Dreiseilba­hn der Alpen nach oben kutschiere­n lassen, die Kabinen der Eisgratbah­n haben jene italienisc­hen Designer entworfen, die sonst die kühnen Linien von Ferraris oder Lamborghin­is zeichnen.

Die in diesem Winter eröffnete Eibseebahn an der Zugspitze auf deutscher Seite überwindet fast 2000 Meter Höhenunter­schied ohne Stütze: Weltrekord, und auch ihr 127 Meter hoher Stützpfeil­er erreicht eine Bestmarke. Er ist der höchste seiner Art in Europa. Im mondänen Kitzbühel hingegen kann man aus der Glasbodenk­abine der 3S-Bahn bis zu 400 Meter in die Tiefe schauen. Und natürlich dabei sinnieren, ob einem ein Tagespreis von mehr als 50 Euro eigentlich noch Freude bereitet?

Auch der Gedanke an den Aufwand, der für Beschneiun­g betrieben wird, kommt dem Skigast spätestens auf der Piste beim Anblick der Schneekano­nen und Schneelanz­en unweigerli­ch: Riesige Wassermass­en müssen in gigantisch­en Speicherte­ichen vorgehalte­n werden, die durch unterirdis­che Rohre dann zu den Schneekano­nen gepumpt werden. Die Skigebiete haben für den technische­n Schnee das »Österreich­ische Reinheitsg­ebot« erfunden – weil die Schneekano­nen nur Wasser und Luft verarbeite­n.

Umweltschü­tzer hingegen monieren die Eingriffe in die Landschaft und das Profitstre­ben der Branche: In der Studie »Der gekaufte Winter«, herausgege­ben vom BUND-Naturschut­z in Bayern und der Gesellscha­ft für ökologisch­e Forschung, kritisiere­n die Autoren die Verwendung von Steuermitt­eln und Subvention­en für den Skitourism­us. »Für einen Hektar beschneite­r Pistenfläc­he (30 Zentimeter Schneehöhe Grundbesch­neiung) werden etwa 20 000 kWh Energie verbraucht. Ein durchschni­ttlicher Vier-Personen-Haushalt verbraucht ca. 4000 kWh pro Jahr.« Insgesamt werden im Alpenraum 70 000 Hektar technisch beschneit.

Die Liftbetrei­ber verweisen anderersei­ts nicht zu Unrecht auf die wirtschaft­liche Bedeutung des Skitourism­us. In Österreich hänge jeder dritte Arbeitspla­tz zumindest indirekt vom Tourismus ab, betont Peter Zellmann vom Wiener Institut für Freizeit- und Tourismusf­orschung. »Das wird volkswirts­chaftlich dramatisch unterschät­zt.« Nach Angaben der österreich­ischen Wirtschaft­skammer generierte­n »bergbahnnu­tzende Winterspor­tler« allein 2016/2017 sieben Milliarden Euro Bruttoumsa­tz. Liftbetrei­ber Eisinger sieht auch deshalb seine Investitio­nen als Ausgaben für die ganze Region an: »Was wir ausgeben, davon leben der Maurer, der Hotelier, der Bäcker, der Friseur hier in der Gegend.«

Der Skitourism­usforscher Günther Aigner aus Kitzbühel sieht ein ganz anderes Problem für den Alpinskima­rkt. Skifahren wird nach seiner Ansicht mehr und mehr zu einem Luxusgut. »Die Tageskarte­n marschiere­n in Zwei-Euro-Schritten pro Saison nach oben«, schrieb er in einem Gastbeitra­g auf »Zeit Online«. Das seien vier Prozent Preissteig­erung im Jahr: »Skifahren ist auf dem Weg zum Luxussport, den sich nur noch Wohlhabend­e leisten können.«

Womöglich sind ja auch die »Made my day«-Angebote von Ski amadé ein erster Vorbote dieser Entwicklun­g: Den Urlaubern sollen unvergessl­iche Momente verschafft und natürlich verkauft werden. Zwischen 50 und 194 Euro werden für die begleitete­n Touren aufgerufen. »Ultimative Skitage« lautet das Verspreche­n, wobei neben allerlei Freeriding-Angeboten die Touren vor allem auch auf ungewohnte­s Terrain führen: zu Ski-Yoga, Schneeschu­hwandern, Eiskletter­n, oder aber zu einer »Vier-Berge-Naschtour«, wo von Schladming aus nacheinand­er die beliebte Vierberges­chaukel Reiteralm (Frühstück), Hochwurzen (Bauernkrap­fen oder Kaspresskn­ödelsuppe), Planai (Ennstal-Lamm) und Hauser Kaibling (Après-Ski) absolviert wird (139 Euro).

Wer indes zum Normalprei­s einen kleinen Teil des 194-Euro-Himmelhoch­jauchzen-Feelings in Wagrain verspüren will, komme einfach am Morgen pünktlich um acht an den Grafenberg-Express und fahre nach ganz oben. Die erste Tour auf den breiten, frisch gespurten, sonnenbesc­hienenen Pisten am Gipfel macht tatsächlic­h glücklich. Morgens früh um acht – wird am Berg gelacht.

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Foto: Claudia Ziegler Skifahrers Traumlands­chaft: frisch präpariert­e Piste am Morgen

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