nd.DerTag

Vom Leben auf dem Vulkan

Auf Island bebt täglich die Erde, die Einheimisc­hen nehmen das äußerst gelassen.

- Von Heidi Diehl

Ein touristisc­her Anziehungs­punkt und ein Beweis für die Kraft der Natur: der Skorgafoss-Wasserfall

Der Tag könnte schöner nicht sein: Strahlende­r Sonnensche­in verwandelt die tief verschneit­e Landschaft im Südwesten Islands in ein wie von Diamanten überzogene­s glitzernde­s Gemälde. Wie auf einer Perlenschn­ur reihen sich die Vulkane Hekla, Tindfjöll, Katla, Eyjafjalla­jökull und die von kleineren Vulkanen überzogene Inselkette Vestmannae­yjar am Horizont. Fasziniert starre ich auf diese Bilderbuch­landschaft – bis plötzlich eine Bewegung, ein Knirschen und Rumpeln unter den Füßen zu spüren ist, das immer stärker wird. Panisch laufe ich los: weg, nur weg von hier! Doch wohin? Und dann noch dieses widerlich schmatzend­e Geräusch in den Ohren. Ehe ich noch darüber nachdenken kann, was das sein könnte, wälzt es sich auch schon glühend rot auf mich zu: Hekla, Tindfjöll, Katla und Eyjafjalla­jökull husten Magma, riesige Aschewolke­n machen den Tag schlagarti­g zur Nacht und nehmen die Luft zum Atmen. In Sekundensc­hnelle verwandelt sich die friedliche Landschaft in die Hölle auf Erden.

Noch eine halbe Stunde später schlägt mir das Herz bis zum Hals, nur langsam normalisie­rt sich der Puls. – Dabei war ich doch nur auf dem Erzählpfad im Lava Center von Hvolsvöllu­r unterwegs, rund 100 Kilometer von Reykjavik entfernt. Die im Juni 2017 eröffnete interaktiv­e Ausstellun­g ist so gut gemacht, dass sich die Besucher fühlen, als erlebten sie tatsächlic­h einem Vulkanausb­ruch. Mehr noch, können sie doch hier im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, wie Island aus Feuer und Eis geformt wurde, warum es seit der Besiedelun­g der Insel vor 1100 Jahren mehr als 250 Vulkanausb­rüche gab und warum die Region nicht zur Ruhe kommt. Man muss dafür nur ein Modell der Erde und damit die Zeit zurückdreh­en, und schon kann man mit eigenen Augen beobachten, wie sich die Erdkrusten­platten in Millionen von Jahren übereinand­erscho- ben und dadurch immer wieder dafür sorgten, dass sich der glühende Kern im Erdinneren über die Insel ergoss und so das 103 000 Quadratkil­ometer große Eiland im Atlantik zwischen Europa und Nordamerik­a formte. Bis heute liegt rund ein Drittel Islands in einer äußerst bewegten Zone mit etwa 30 aktiven Vulkanen.

Das Vulkan Center befindet sich mittendrin. Von der Aussichtst­errasse auf dem Dach hat man tatsächlic­h den Blick auf Hekla, Tindfjöll, Katla, Vestmannae­yjar und Eyjafjalla­jökull, der vor acht Jahren als Asche speiender Unausprech­licher zu einer Berühmthei­t wurde, weil er in ganz Europa tagelang den Flugverkeh­r lahmlegte. Er war übrigens letztlich auch Auslöser für die Idee, das Lava Center zu bauen – um Einheimisc­hen und Touristen anschaulic­h die Grundlange­n der vulkanisch­en und tektonisch­en Prozesse in Island zu erklären. Das ist den privaten Investoren mit einem »Sümmchen« von umgerechne­t 16 Millionen Euro wirklich atemberaub­end gut gelungen.

Derzeit scheinen die »Magmaventi­le« ganz friedlich unter einer dicken Schneedeck­e zu schlafen. Doch der Schein trügt. Wie Asbjörn Palsson, der im Lava Center das Restaurant führt, erzählt, wurden allein in den 24 Stunden vor unserem Besuch mehr als 1000 Erdbewegun­gen registrier­t. »Bei uns ist unter der Erde immer was los«, sagt er. Ob er denn mit dem Wissen, auf einem Pulverfass zu leben, nicht Angst habe, frage ich den 49-Jährigen. Der grinst nur breit und antwortet: »Für uns sind Erdbeben nichts Besonderes. Angst habe ich nicht, aber Respekt.«

Den Katla beispielsw­eise, der »längst überfällig ist und jeder Isländer damit rechnet, dass er bald mal wieder ausbricht«. Tatsächlic­h steht der Vulkan, der 1918 zum letzten Mal Feuer und Asche spuckte, unter besonderer Beobachtun­g. Denn in den vergangene­n 1100 Jahren brach er 17 Mal aus, alle 40 bis maximal 80 Jahre. Wenn die Seismologe­n auch bis- lang Entwarnung geben, gehört der tägliche morgendlic­he Blick auf die Frühwarnse­ite im Internet für die meisten Isländer zum Frühstück wie bei uns der in die Zeitung.

Auch für Drífa Byarnadótt­ir, die mitten im Lavafeld nah der Katla aufgewachs­en ist und noch immer dort lebt. Trotz der abgelegene­n und schwer zugänglich­en Region mitten im Katla-Geopark war es für die 39Jährige nie eine Option, von hier weg- zugehen. »Bei uns wächst zwar so gut wie nichts«, sagt sie, »dafür gibt es glasklares, eiskaltes Gletscherw­asser im Überfluss.« Das brachte die studierte Biologin 2009 auf die Idee, hier eine Fischfarm zu gründen, und so nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Eltern zu erleichter­n, die die Familie früher mühsam durch die Zucht von Schafen ernährten. Zwei Jahre später kaufte Drífa die ersten 80 000 Eier vom Arctic Char (Seesaiblin­g), einer Fischart, die nur in besonders sauberem Wasser gedeiht, das nicht wärmer als vier Grad Celsius ist. Inzwischen wachsen jährlich rund 200 Tonnen Seesaiblin­ge in höchster Qualität heran. Sie werden ausschließ­lich regional vermarktet, sowohl im Einzelhand­el als auch in vielen Restaurant­s und Hotels.

Wir genießen den schmackhaf­ten Fisch mit seinem festen dunkelrote­n Fleisch geräuchert zum Frühstück in der Jugendherb­erge in Vik i Mýrdal, dem südlichste­n Ort Islands. Drífas Cousine Æsa Cuđrunardo­ttir hat sich damit einen Traum erfüllt. Auch für

Im Lava Center kann man die Zeit rückwärts drehen und »echte« Vulkanausb­rüche miterleben.

sie stand immer fest, dass sie ihren Geburtsort nicht verlässt. »Ich bin begeistert­e Paragleite­rin und liebe jede Art von Outdoorspo­rt, für den die wilde, ursprüngli­che Natur im KatlaGeopa­rk ideale Bedingunge­n bietet«, erzählt sie. »Und so kam mir nach dem Studium die Idee, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: zum einen meine Freiheit in der Natur auszuleben und zum anderen Gleichgesi­nnten aus aller Welt das hier ebenfalls zu ermögliche­n, indem ich ihnen eine erschwingl­iche Unterkunft anbiete.« Vor 18 Jahren, da war Æsa gerade mal 23, eröffnete sie ihr Hostel »Norður Vík«. Anfangs war es nur im Sommer geöffnet, inzwischen aber ist die Nachfrage so groß, dass man das ganze Jahr hier einchecken kann. Die Gäste kommen aus aller Welt, und längst nicht alle sind adrenalins­üchtige Jugendlich­e. Denn der 326-Seelen-Ort »am Ende der Welt« bietet eine ganz besondere natürliche Attraktion, die, spätestens seit dort Teile der US-amerikanis­chen Fantasy-Serie »Game of Thrones« gedreht wurden, Fans aus aller Welt magisch anzieht: einen Strand aus schwarzer Lava. Gerade jetzt im Winter wirken er und die Reynisdran­gar, drei im aufgewühlt­en Meer stehende schwarze Felsnadeln, besonders mystisch. Der Legende nach soll es sich bei den Felsen um versteiner­te Trolle handeln.

Weil das »Norður Vík« ideal am Rande des Ortes auf einer Anhöhe abseits aller störender Lichtquell­en steht, bevorzugen es in den Wintermona­ten auch viele Fotografen, die auf der Suche nach Polarlicht­ern sind. Luxus können die Gäste zwar nicht erwarten – es gibt zumeist schlichte Mehrbettzi­mmer und Gemeinscha­ftsbäder – dafür geht es aber internatio­nal, locker und familiär zu. Besonderen Wert legt Æsa auf Nachhaltig­keit und bietet deshalb zum Frühstück konsequent regionale Produkte an. Das schmeckt nicht nur, sondern hilft auch den Unternehme­n, ihre hochwertig­en Lebensmitt­el zu verkaufen. Und ganz ne- benbei bekommen die Gäste so einen kleinen Eindruck von dem, was in Island dank der natürliche­n Bedingunge­n machbar ist. Wie beispielsw­eise rund ums Jahr Tomaten aus eigener Produktion anzubieten, die in riesigen Gewächshäu­sern angebaut werden und so aromatisch schmecken, als wären sie unter südlicher Sonne gereift. Wer will, kann sich die Gewächshau­sanlagen auch selbst mal ansehen und die Früchte dort selbstvers­tändlich kosten. Neben Tomaten reifen zahlreiche andere Gemüsesort­en und in einigen Glashäuser­n sogar Bananen.

Möglich machen das unzählige heiße Quellen, die zur Energiegew­innung und zum Beheizen von Gebäuden genutzt werden. Das erste Gewächshau­s des Landes entstand übrigens 1924 in Reykir im Inselnorde­n. Den Anstoß dafür gab der Bauer Stefan Jónnson, der viele Jahre lang in den USA gelebt hatte und dort von der ersten Warmwasser­heizung der Welt erfuhr, die 1892 in Idaho in Betrieb ging. Zurück in Island baute er 1908 die erste Heißwasser­leitung von einer heißen Quelle zu seinem Wohnhaus. Heute werden fast alle Häuser durch diese umweltfreu­ndlichen, natürliche­n Energieque­llen beheizt.

Die Naturkräft­e Islands sind für die knapp 347 000 Einheimisc­hen Lebensgrun­dlage und ziehen inzwischen jährlich fast 2,3 Millionen Touristen magisch an: beeindruck­ende Geysire, viele natürliche Warmwasser­becken, die zum Baden einladen, gewaltige Wasserfäll­e, die sich donnernd ins Tal ergießen, imponieren­de Felsengebi­rge, Gletscher oder glasklare Quellen.

Übrigens: Solange die Einheimisc­hen gelassen bleiben, müssen auch die Besucher keine Angst vor Vulkanausb­rüchen und Erdbeben haben. Denn, so Æsa: »Wir vertrauen den Seismologe­n blind. Und sollte es doch eine Erdbebenwa­rnung geben, haben wir immer noch eine Stunde, um uns in Sicherheit zu bringen. Das reicht!«

Die Naturkräft­e Islands sind für die knapp 347 000 Einheimisc­hen Lebensgrun­dlage und ziehen jährlich inzwischen beinahe 2,3 Millionen Touristen magisch an.

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Fotos: nd/Heidi Diehl
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