Schwankende Hormone
Warum fühlen sich Menschen ausgerechnet im Frühling müde und schlapp?
Melatonin geht, Serotonin kommt, schon ist sie perfekt, die Frühjahrsmüdigkeit. Dagegen hilft am allerbesten: draußen toben.
Kaum haben wir uns von dem langen Winter erholt, überfällt viele die Frühjahrsmüdigkeit. Experten machen dafür vor allem hormonelle Schwankungen verantwortlich. Es geschieht in jedem Frühjahr aufs Neue: Während die Natur wieder zum Leben erwacht, während es in allen Gärten grünt und blüht, fühlen sich viele Menschen müde und schlapp. Sie sind lustlos und schlechter Stimmung. Für den Volksmund ist die Diagnose klar: Frühjahrsmüdigkeit. Mediziner sprechen allgemein von einer Befindlichkeitsstörung, deren Ursachen bis heute unzureichend geklärt sind.
Das wiederum nährt bei manchen einen bösen Verdacht: Sind die Symptome von Frühjahrsmüdigkeit größtenteils nur eingebildet? Thomas Penzel vom Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum der Berliner Charité will das nicht ausschließen: »Im Sommer ist man schlapp, weil’s heiß ist, im Winter, weil’s dunkel ist, und im Frühjahr eben, weil’s Frühjahr ist.«
Zwar zweifelt Penzel nicht an der Wahrnehmung der Betroffenen, gibt jedoch zu bedenken, dass dieser womöglich eine ganz natürliche Reaktion zugrunde liegt: »Wenn man schlapp ist, kann es einfach sein, dass man zu wenig geschlafen hat.« Nicht wenige Fälle von Frühjahrsmüdigkeit dürften darin ihre Erklärung finden, zumal im Frühling, wenn die Tage länger werden, auch unser Schlafbedürfnis sinkt.
Nach Meinung anderer Experten lässt sich diese Erklärung jedoch nicht verallgemeinern. Viele Menschen sind zwischen März und Mai häufig müde, obwohl sie genügend schlafen. Als Ursache hierfür wird gelegentlich Vitaminmangel vermutet, genauer gesagt ein Mangel an Vitamin D, welches unser Körper mit Hilfe des Sonnenlichts in der Haut weitgehend selbst bildet. Im Winter ist dies aufgrund der zu schwachen Sonneneinstrahlung jedoch nur bedingt möglich. Zwar kann überschüssiges Vitamin D im Fettgewebe gespeichert werden. Doch zu Beginn des Frühlings sind die vor dem Winter angelegten Reserven meist aufgebraucht. Infolge eines Vitamin-DMangels fühlen sich Menschen häufig antriebslos und neigen vermehrt zu Infekten.
Dagegen helfen Spaziergänge im Freien. Damit der Körper hierbei ausreichend Vitamin D bilden kann, sollten 18 bis 20 Prozent der Hautoberfläche entblößt sein. Beim ersten Bad in der Sonne genügt es, wenn Gesicht sowie Unterarme und Handrücken frei sind. Um möglichen Hautschäden vorzubeugen, empfehlen Dermatologen, dass sich Menschen mit hellem Hauttyp anfangs nicht länger als fünf, solche mit dunklem Hauttyp nicht länger als fünfzehn Minuten ungeschützt in der Sonne auf- halten. Durch eine veränderte Ernährung hingegen lässt sich ein VitaminD-Defizit kaum beheben. Denn hohe Konzentrationen des Vitamins sind nur in wenigen Lebensmitteln enthalten, und die sind nicht jedermanns Sache wie zum Beispiel Lebertran oder fettiger Fisch.
Als Hauptursache für das große Gähnen im Frühling gilt der Jahreszeitenwechsel. Anders ausgedrückt: Nur in Breiten, in denen der Übergang vom Winter zum Frühling mit erheblichen Temperaturschwankungen einhergeht, ist Frühjahrsmüdigkeit verbreitet. Wenn es draußen wärmer wird, weiten sich die Blutgefäße, der Blutdruck sinkt. Das wiederum führt bei vielen Menschen zu Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Wer ohnehin einen zu niedrigen Blutdruck hat, ist davon besonders betroffen. »Die Frühjahrsmüdigkeit tritt meist ein, wenn es bereits ein paar Tage lang warm war«, erklärt der Psychologe und Schlafforscher Jürgen Zulley. »Wenn das Wetter verrücktspielt und es zu mehreren Warm-Kalt-Perioden kommt, dann kann sich auch die Müdigkeit mehrmals zeigen.«
Am meisten jedoch macht unserem Körper die Umstellung des Hormonhaushalts zu schaffen. In erster Linie wäre hier das Wechselspiel der Hormone Melatonin und Serotonin zu nennen. Das in der Zirbeldrüse – ei- nem Teil des Zwischenhirns – gebildete Melatonin steuert den SchlafWach-Rhythmus und wird nachts oder in Dunkelheit vermehrt in den Blutkreislauf abgegeben. In der trüben Jahreszeit ist der Melatoninspiegel deshalb auch tagsüber oft erhöht. Das führt bei einigen Menschen zu einer sogenannten Winterdepression, die ebenfalls mit Müdigkeit und Lustlosigkeit einhergeht.
Wenn im Frühling die Tage länger werden und mehr Licht auf unser Auge fällt, fährt das Gehirn die Melatoninproduktion zurück und geht stattdessen dazu über, Serotonin auszuschütten. Das ist ein Hormon, das entspannend und antidepressiv wirkt sowie für gute Laune sorgt. Es wird deshalb auch als »Glückshormon« bezeichnet. Allerdings dauert es eine Weile, bis sich die während des Winters geleerten Serotoninspeicher wie- der füllen. Außerdem ist zu Beginn des Frühlings noch reichlich Melatonin im Blut vorhanden, das der stimmungsaufhellenden Wirkung des Serotonins entgegenwirkt. Die Einstellung des für die Sommerperiode typischen Gleichgewichts zwischen beiden Hormonen zehrt offenkundig an unserem Körper. Viele Menschen spüren diese Belastung, sie macht sich bei ihnen als Frühjahrsmüdigkeit bemerkbar.
Gewöhnlich dauert es zwei bis drei Wochen, bis sich der Körper an steigende Temperaturen und die längere Sonnenscheindauer gewöhnt hat. Auch wenn es Betroffenen oftmals schwerfällt, tun sie gut daran, der Müdigkeit nicht nachzugeben. Ärzte empfehlen, sich stattdessen viel zu bewegen, vor allem im Freien. Denn das regt die Serotoninproduktion an. Auch eine nährstoff- und vitaminreiche Kost kann dazu beitragen, den von Müdigkeit geplagten Körper wieder in Schwung zu bringen. »Man sollte sich vollwertig ernähren, viel Fisch, frisches Obst und Gemüse essen«, rät der Herz-Kreislauf-Spezialist Michael Stimpel. Eine üppige Mahlzeit aus der Kantine sei dagegen keine gute Wahl. »Denn die löst meist ein Gefühl der Trägheit aus und verstärkt das Schlappheitsgefühl noch.«
Ein bewährtes Mittel gegen Frühjahrsmüdigkeit ist eine morgendliche Wechseldusche à la Sebastian Kneipp. Dabei werden Arme und Beine abwechselnd mit heißem und kaltem Wasser übergossen. Und zwar beginnend mit dem rechten Fuß, der am weitesten vom Herzen entfernt ist. Dann folgen rechtes Bein, linkes Bein, rechter Arm, linker Arm. All dies trainiert gemäß Kneipp den Blutkreislauf und stärkt das Immunsystem. Und da der letzte Guss immer ein kalter sein muss, macht dieser uns zumindest munter.
Bliebe noch zu fragen, wie sich die Einführung der Sommerzeit auf die Frühjahrsmüdigkeit auswirkt. Die Uhr wird hier bekanntlich um eine Stunde vorgestellt. Das heißt, wir verlieren effektiv eine Stunde Schlaf. Nicht wenige Menschen erleiden dadurch eine Art Mini-Jetlag, der sie nicht nur müde, sondern auch fahrig und unkonzentriert macht. »Wir wissen, dass am Montag nach der Zeitumstellung mehr Unfälle passieren«, sagt Schlafforscher Penzel, gibt jedoch zugleich Entwarnung: Für die Anpassung um eine Stunde nach vorn, die bezüglich der Zeitverschiebung einem Flug nach Antalya entspräche, benötigt unser Körper nur einen Tag. Viele behaupten dennoch, dass sie jedes Jahr wochenlang mit der Zeitumstellung zu kämpfen hätten. Die Ursachen hierfür dürften ähnlich wie bei einigen Formen der Frühjahrsmüdigkeit mehr psychischer denn biologischer Natur sein.
Die Einstellung des für den Sommer typischen Gleichgewichts zwischen den beiden Hormonen Melatonin und Serotonin zehrt offenkundig an unserem Körper.