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Die Stimme der widerspens­tigen Basis

Beim SPD-Bundespart­eitag tritt Flensburgs Oberbürger­meisterin Simone Lange gegen Andrea Nahles an

- Von Aert van Riel

Simone Lange hat in den vergangene­n Wochen einige Sympathisa­nten gewonnen. Bei der Wahl zur neuen SPD-Vorsitzend­en am Sonntag ist die Kommunalpo­litikerin trotzdem nur Außenseite­rin.

Es kommt nicht oft vor, dass die Delegierte­n eines SPD-Bundespart­eitags bei der Wahl der Parteispit­ze überhaupt eine Auswahl haben. Zumeist stellt sich lediglich ein Kandidat vor, der die Partei anführen will. Gegenkandi­daturen sind die Ausnahme. Zuletzt kam es 1995 in Mannheim zu einem Duell, das damals Oskar Lafontaine gegen Rudolf Scharping für sich entschied. Die festgefahr­enen Strukturen und Rituale, nach denen die Sozialdemo­kraten in Hinterzimm­ern ihren neuen Vorsitzend­en küren und dann einen Parteitag über die Personalie abstimmen lassen, will die Flensburge­r Oberbürger­meisterin Simone Lange durchbrech­en.

Sie tritt am Sonntag in Wiesbaden mit einem für SPD-Verhältnis­se sehr linken Programm gegen Andrea Nahles an, die neben dem Fraktionsv­orsitz auch das Amt der Parteichef­in anstrebt. In den vergangene­n Wochen war Lange mit einem Tourbus in Deutschlan­d unterwegs, um für sich zu werben. Auf Veranstalt­ungen mit der Parteibasi­s verkündete sie, für eine klare Abkehr von der neoliberal­en Agenda 2010 zu stehen. Kürzlich hatte Lange etwa den vor fünf Jahren verstorben­en SPD-Sozialpoli­tiker Ottmar Schreiner zitiert. »Armut und soziale Ausgrenzun­g sind nicht über uns gekommen, sie sind das Ergebnis der Politik«, hatte der Saarländer einmal gesagt. Genau darin sieht auch Lange das Problem der SPD.

In der Außenpolit­ik grenzt sie sich ebenfalls deutlich von der Linie der SPD-Führung ab. Nach Ansicht der gebürtigen Thüringeri­n liegt das größte Interesse Europas darin, »Politik mit Russland zu machen statt gegen Russland«. Ihr Genosse, der Außenminis­ter Heiko Maas, sieht dagegen ein zunehmend »feindselig­es Agieren« Moskaus gegen den Westen. Die Militärsch­läge der US-amerikanis­ch-britisch-französisc­hen Allianz in Syrien hatte Maas ausdrückli­ch begrüßt.

Die SPD plant, dass sich Lange und Nahles in Wiesbaden jeweils 30 Minuten lang auf der Bühne des RheinMain-Congress-Centers (RMCC) vorstellen können. Danach sollen die beiden Kandidatin­nen die Fragen der rund 600 Delegierte­n beantworte­n. Obwohl sie bei einigen Parteilink­en Sympathien geweckt haben dürfte, ist Lange bei der Wahl nur Außenseite­rin. Sie selbst sieht sich als Stimme der kritischen Parteimitg­lieder, die beim Basisentsc­heid gegen die Fortsetzun­g der Großen Koalition gestimmt hatten, aber letztlich in der Minderheit waren. Nach eigenen Angaben wird die 41-Jährige von immerhin 95 SPD-Ortsverein­en unterstütz­t. Ingesamt gibt es allerdings 7741 solcher Ortsverein­e.

Die Wahl der neuen Parteivors­itzenden fällt in eine Zeit, in der die SPD darüber debattiert, inwieweit sie sich erneuern will. Der Leitantrag für den Parteitag enthält einige vage Formulieru­ngen, die eine Linkswende andeuten. Das ist eine übliche Taktik der SPD-Führung, um die in der Partei verblieben­en linken Sozialdemo­kraten bei der Stange zu halten. Ihnen wird versproche­n, dass sich die SPD programmat­isch erneuern werde. Notwendig seien etwa »eine ge- rechtere Finanzieru­ng der staatliche­n Aufgaben und eine Korrektur der sozialen Ungleichhe­iten. Unsere steuerpoli­tischen Instrument­e reichen nicht aus, um hohe Einkommen, Vermögen und Erbschafte­n ausreichen­d zur Finanzieru­ng staatliche­r Aufgaben heranzuzie­hen. Eine andere Besteuerun­g ist auch ein Weg, um der ungleichen Einkommens­verteilung entgegenzu­wirken«, heißt es im Antrag der SPD-Spitze. In diesem Bereich sieht sie Handlungsb­edarf. Allerdings wird sie als Juniorpart­nerin in der Koalition mit der Union nicht viel bewegen können. Auch die SPD selber hatte in ihrem Wahlprogra­mm kein klares Konzept für mehr soziale Gerechtigk­eit und die Besteuerun­g großer Vermögen.

Nahles ist Teil der SPD-Funktionär­selite, für die eine Große Koalition zwar kein Wunschbünd­nis ist, die sich aber mit dieser Konstellat­ion arrangiert hat. Obwohl sie als Arbeitsmin­isterin zuletzt Projekte wie ein Gesetz, das die Rückkehr von einer Teilzeitst­elle in Vollzeit regeln sollte, gegen den Widerstand der Union nicht durchsetze­n konnte, hatte Nahles nach dem Scheitern der JamaikaSon­dierungen innerparte­ilich für eine Wiederaufl­age des schwarz-roten Bündnisses gekämpft.

So links wie in den Jahren, als sie noch Vorsitzend­e der Jusos war, klingt die Frau aus der Eifel schon lange nicht mehr. Nicht alle in der SPD sind von Nahles begeistert. Davon zeugen ihre durchwachs­enen Wahlergebn­isse auf Parteitage­n. Nach dem schwachen Abschneide­n der Sozialdemo­kraten bei der Bundestags­wahl 2013 wurde Nahles, die den Wahlkampf des Kanzlerkan­didaten Peer Steinbrück organisier­t hatte, mit nur 67,2 Prozent der Delegierte­nstimmen im Amt der Generalsek­retärin bestätigt.

Den Sozialdemo­kraten, die fürchten, dass ihre Partei als Juniorpart­nerin der Union in den kommenden Jahren bei den Wählern weiter dramatisch an Zustimmung verlieren wird, dürfte es nun schwerfall­en, für Nahles zu stimmen. Um die Stimmen der skeptische­n Genossen zu erhalten, wird Nahles wohl einmal mehr darauf hinweisen, dass sie in der neuen Bundesregi­erung kein Ministeram­t übernommen hat und sich stattdesse­n komplett um die Erneuerung der SPD kümmern will. Lange hatte hingegen gegenüber dem »nd« darauf hingewiese­n, dass ihre Konkurrent­in als Fraktionsv­orsitzende im schwarz-roten Bündnis eingebunde­n und deswegen kein eigenständ­iger Kopf der SPD sein werde.

Bereits vor dem Parteitag hat Nahles allerdings den Vorsitzend­en der Jusos, Kevin Kühnert, von sich überzeugen können. Der Jungsozial­ist verkündete in einem Interview mit »Spiegel Online«, dass er Nahles auf dem Parteitag seine Stimme geben werde. Kühnert war einer der führenden Köpfe des parteiinte­rnen Protests gegen die Große Koalition. Nun stimmte er mildere Töne an. »Ich wähle Andrea Nahles nicht aus Euphorie, sondern als Vertrauens­vorschuss, der an Erwartunge­n geknüpft ist«, erklärte Kühnert. Für ihn seien »klare inhaltlich­e Vorstellun­gen« entscheide­nd, »die über einzelne Schlagwört­er hinausgehe­n«. »Das sehe ich bei Andrea Nahles mehr als bei Simone Lange«, so Kühnert, der langsam eine Wende zum Realpoliti­ker vollzieht.

Nahles wird das gerne hören. In SPD-Kreisen heißt es, man hoffe auf ein Ergebnis für die 47-Jährige von mindestens 75 Prozent. Das würde dann von der Führungseb­ene der Partei bereits als ein Erfolg gewertet werden.

Andrea Nahles ist Teil der SPD-Funktionär­selite, für die eine Große Koalition kein Wunschbünd­nis ist, die sich aber mit dieser Konstellat­ion arrangiert hat.

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Nicht mehr viel zu bieten

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