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Schwarzfah­ren im Bundestag

Plenum diskutiert­e über zwei Anträge von LINKEN und Grünen zur Entkrimina­lisierung des Fahrens ohne Ticket

- Von Fabian Lambeck

Straftat, Ordnungswi­drigkeit oder Lappalie? Bei der Bewertung des Schwarzfah­rens gibt es ganz unterschie­dliche Positionen. Das zeigte sich auch am Freitag im Plenum.

In der Bundesrepu­blik sitzen derzeit rund 5000 Menschen eine Ersatzfrei­heitsstraf­e ab, die meisten von ihnen wegen Schwarzfah­rens. Denn das Fahren ohne gültiges Ticket gilt als Straftat und wird nach Paragraf 265a des Strafgeset­zbuches »mit Freiheitss­trafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe« geahndet.

LINKE und Grüne drängen seit vielen Jahren darauf, das Schwarzfah­ren zu entkrimina­lisieren. Da beide Parteien aber unterschie­dliche Ansätze verfolgen, hatten sie zwei Anträge in den Bundestag eingebrach­t. Während die Linksfrakt­ion die »Beförderun­gserschlei­chung« aus dem Paragraf 265a streichen will und eine Herabstufu­ng zur Ordnungswi­drigkeit als »unnötig« bezeichnet, wollen die Grünen die Strafbarke­it auf eine Ordnungswi­drigkeit reduzieren. »Entkrimina­lisierung bedeutet keine Legalisier­ung des Schwarzfah­rens«, betonen die Autoren des Grünen-Antrags.

Die Bundestagd­ebatte am Freitag entwickelt­e sich zu einem lebhaften Schlagabta­usch. Der LINKE-Bundestags­abgeordnet­e Niema Movassat betonte, dass sich das Strafsyste­m hier gegen arme Menschen richte, die sich keine Tickets leisten könnten: »58 Prozent der Menschen, die verurteilt werden, sind Hartz-IV-Empfänger.« Movassat zog auch den Vergleich zum Falschpark­en. Dieses habe denselben »Unrechtsge­halt« wie das Schwarzfah­ren und erfordere ebenfalls »keine besondere kriminelle Energie«. Anders als das Fahren ohne Ticket werde das Falschpark­en aber nur als Ordnungswi­drigkeit eingestuft, unterstric­h der Linkspolit­iker und verwies auf den nordrhein-westfälisc­hen Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU), der das Schwarzfah­ren ebenfalls entkrimina­lisieren wolle. Tatsächlic­h hatte der Minister im September 2017 gegenüber der »Rheinische­n Post« gefordert, das Schwarzfah­ren als Ordnungswi­drigkeit zu behandeln. So würde man Polizei, Staatsanwa­ltschaften und Gerichte »gleicherma­ßen entlasten, die die Fälle nicht erledigen müssten«.

Am Freitag zeigte sich, dass Biesbach wohl auch in der eigenen Partei noch Überzeugun­gsarbeit leisten muss. Denn der CDU-Abgeordnet­e Ingmar Jung sprach sich dafür aus, den Straftatbe­stand beizubehal­ten. Es gebe eine »nicht unrelevant­e Anzahl« von Tätern, die das System gezielt ausnutze. »Die hohe Zahl an Ge- fängnisins­assen kann kein Argument sein, warum wir ans Strafrecht rangehen«, so Jung.

Für den AfD-Parlamenta­rier Thomas Seitz, der jahrelang als Staatsanwa­lt tätig war, ist das Schwarzfah­ren vor allem ein Ausländerp­roblem. Seitz behauptete am Freitag, von 160 000 Tatverdäch­tigen im Jahre 2016 seien etwa 74 000 nicht-deutscher Herkunft gewesen. LINKEN und Grünen warf er vor, mit ihren Anträgen »die deutsche Staatlichk­eit weiter auszuhöhle­n«. Alexander Hoffmann von der CSU schlug in dieselbe Kerbe und warnte vor einer »Kapitulati­on des Rechtsstaa­ts«.

Der SPD-Abgeordnet­e Karl-Heinz Brunner erweckte kurzzeitig den Eindruck, seine Fraktion strebe ebenfalls eine Entkrimina­lisierung an. Wenn man ein Verkehrsde­likt wie das Fahren bei Rot, bei dem Menschenle­ben gefährdet werden könnten, »als ganz normale Angelegenh­eit« bewerte, aber das Schwarzfah­ren als eine höhere Kriminalit­ät, »dann bin ich auf dem falschen Schiff«, so Brunner. Be- vor jemand ihn missverste­hen konnte, warnte er vor Schnellsch­üssen und plädierte für »wohlabgewo­gene Lösungen«. Wie diese aussehen sollen, erklärte er nicht.

Dabei fordert selbst der Deutsche Richterbun­d eine Überprüfun­g des Straftatbe­stands und sieht die Verkehrsbe­triebe in der Verantwort­ung. Zugangskon­trollen seien der beste Weg, um Schwarzfah­rten effektiv zu verhindern und die Strafjusti­z zu entlasten. Eine Sprecherin der Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) betonte am Freitag gegenüber »neues deutschlan­d«, dass »die Kollegen in London und Paris, wo es diese Zugangskon­trollen durch Schranken gibt, genauso viele Schwarzfah­rer haben«, weil man die Sperren mit Tricks überwinden könne. Die Entscheidu­ng über die rechtliche Bewertung des Schwarzfah­rens sei der Politik vorbehalte­n, so die BVG-Sprecherin, die aber befürchtet, dass im Falle einer Neubewertu­ng »die Leistung unserer Mitarbeite­r entwertet werden könnte«.

»Die hohe Zahl an Gefängnisi­nsassen kann kein Argument sein, warum wir ans Strafrecht rangehen.« Ingmar Jung (CDU)

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