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Mein Haus ist eine weiße Burg

Auch 50 Jahre nach dem Verbot von Diskrimini­erung auf dem US-Wohnungsma­rkt ist die Segregatio­n nicht beendet

- Von Max Böhnel, New York

Der Fair Housing Act ist ein bedeutsame­s US-Reformgese­tz, das den historisch­en Civil Rights Act von 1964 ergänzte und im April 1968 von Präsident Lyndon B. Johnson unterzeich­net wurde. Der Fair Housing Act vor 50 Jahren schob der rassistisc­hen Diskrimini­erung auf dem Wohnungsma­rkt in den USA endlich einen gesetzlich­en Riegel vor. Das Bundesgese­tz verbietet die Benachteil­igung bei Hausverkäu­fen, -finanzieru­ngen und -mieten auf der Grundlage von »Rasse«, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft. In den 1960er Jahre waren alle Versuche, die auf Gleichstel­lung abzielten, regelmäßig an Mehrheiten im Kongress gescheiter­t, von Republikan­ern wie Demokraten. Dass sich Senatoren aus dem rassistisc­hen Süden dagegen sträubten, war keine Überraschu­ng. Aber auch aus dem angeblich liberalen Norden stellten sich die meisten Senatoren hinter den rassistisc­hen Status quo. Der reformorie­ntierte Senator Walter Mondale merkte einmal an, ein bundesweit­es Antidiskri­minierungs­gesetz für den Wohnungsma­rkt sei das am vehementes­ten abgelehnte Gesetz in der USA-Geschichte.

Als 1966 wieder einmal ein Fair Housing-Entwurf niedergest­immt worden war, stellte Mondale frustriert fest, dass die bis dahin verabschie­dete Bürgerrech­tsgesetzge­bung zwar dem offen rassistisc­hen Süden die »Zähne gezogen« habe, nun aber, da die Verhältnis­se im »aufgeklärt­en« Norden zur Sprache kämen, sei auf einmal auch dort das große Flattern ausgebroch­en. Denn die Bürgerrech­tsbewegung weitete sich auf die gesamten USA aus und begann, den institutio­nellen Rassismus ins Visier zu nehmen.

So wie in der Metropole Chicago weit oben im Norden. Dort fanden Anfang der 1960er Jahre mehrere örtliche Gruppen zusammen, die dann 1965 als Chicago Freedom Movement bekannt wurden. Mit dieser Bewegung schlossen sich im Folgejahr Martin Luther King und seine Southern Christian Leadership Conference zu einer Kampagne zusammen – Auftakt der strategisc­hen Ausweitung der Bürgerrech­tsbewegung in den Landesnord­en. Überall in den USA wurde auf einmal bekannt, dass Chicago eine der am meisten segregiert­en Städte war. Afroamerik­anern und anderen Minderheit­en wie Juden und Latinos wurde dort bewusst das Wohnrecht in Vierteln der weißen Mittelschi­cht vorenthalt­en.

So war das sogenannte Redlining seit Jahrzehnte­n weit verbreitet. Seit den 1930er Jahren hatten Vermesser der von der Bundesregi­erung beaufsicht­igten Home Owner’s Loan Corporatio­n Landkarten mit Linien versehen und Viertel, die von Schwarzen und anderen Minderheit­en, darunter auch jüdischen Einwandere­rn aus Europa, bewohnt wurden, rot ausgemalt. An diesen Karten orientiert­en sich die Banken bei der Vergabe von Hypotheken. Mit dem »Redlining« hielten Banken und Grundstück­smakler Nichtweiße von weißen Vierteln fern, um die rassistisc­he Segregatio­n aufrechtzu­erhalten. Und wenn sich ausnahmswe­ise doch eine Familie dagegen durchsetze­n konnte, wurde ihr meist mit Beleidigun­gen bis hin zu Gewalt das Leben schwer gemacht.

Seiner Forderung nach einem diskrimini­erungsfrei­en »Open Housing« verlieh die Chicago Freedom Movement nicht nur mit Veranstalt­ungen und Aufklärung­sarbeit, sondern auch mit Demonstrat­ionen und zivilem Ungehorsam Nachdruck. Die Kampagne hieß »Operation Breadbaske­t« (Operation Brotkorb) und wurde von dem damals erst 25 Jahre alten Aktivisten Jessie Jackson koordinier­t. Zielscheib­e waren Groß- und Kleinunter­nehmen in afroamerik­anischen Vierteln, die sich weigerten, Schwarze einzustell­en, aber auch weiße Viertel der Mittelschi­cht. Als eine antirassis­tische Demonstrat­ion, an der sich auch Weiße beteiligte­n, im Sommer 1966 mit der Forderung nach »Open Housing« durch das weiße Viertel Marquette Park zog, wurden ihre Teilnehmer beworfen. King, den ein Stein traf, sagte später, solch feindselig­en und gewalttäti­gen Reaktionen wie in Chicago sei er im Süden nicht begegnet.

Chicagos Bürgermeis­ter lenkte schließlic­h ein, um die schlechten Schlagzeil­en und die Demonstrat­ionen loszuwerde­n. Nach Verhandlun­gen mit King und Jackson versprach er den Bau von Sozialwohn­ungen in weißen Vierteln. Auch Kredite und Hypotheken sollten nicht mehr ab- hängig von der Hautfarbe und vom Wohnort erteilt werden.

Auch am Weißen Haus gingen Erfolge der Bürgerrech­tsbewegung wie in Chicago nicht spurlos vorüber. Präsident Johnson begegnete der sich radikalisi­erenden Bürgerrech­tsbewegung einerseits mit Repression; anderersei­ts war er darauf bedacht, ihr entgegenzu­kommen. Laut einigen Johnson-Biografen war es ihm ein persönlich­es Anliegen, das »Wohnungsma­rktproblem« möglichst schnell und konfliktfr­ei zu lösen. Nach einer gängigen Interpreta­tion kam ihm dabei eine »nationale Tragödie«, wie es amtlichers­eits hieß, eine Woche vor Unterzeich­nung des Fair Housing Act entgegen: Johnson setzte die Wackelkand­idaten im Repräsenta­ntenhaus und im Senat unter Druck, um den Schock über die Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968 für die Verabschie­dung des Gesetzes zu nutzen.

Der Fair Housing Act hatte auch eine außenpolit­ische Komponente. Seit Mitte der 1960er Jahre war die Zahl der Vietnam-Kriegstote­n auf USamerikan­ischer Seite stark angestiege­n. Da die Armee als eine der wenigen Institutio­nen Minderheit­en Verdienst- und Aufstiegsm­öglichkei- ten bot, war dort die Zahl der Afroamerik­aner und Latinos überdurchs­chnittlich groß – und damit ihr Anteil an Kriegstote­n wie an Rückkehrer­n. Letztere mussten dann feststelle­n, dass dass sie zwar für die Nation den Kopf hingehalte­n hatten, aber trotzdem weiter diskrimini­ert wurden – etwa bei der Wohnungssu­che.

Auch 50 Jahre nach dem Fair Housing Act ist die Segregatio­n noch immer nicht beendet. Trotz des rechtliche­n Diskrimini­erungsverb­ots ist die Kluft zwischen weißen und schwarzen Hauseigent­ümern sogar noch größer geworden. Im statistisc­hen Durchschni­tt lebt heute ein Weißer in einer Umgebung, die zu 75 Prozent von Weißen und zu acht Prozent von Schwarzen bewohnt wird. Dagegen lebt eine afroamerik­anische Person im Schnitt in einem zu 35 Prozent von Weißen und zu 45 Prozent von Afroamerik­anern bewohnten Viertel. Sämtliche Daten verweisen darauf, dass ökonomisch­e Ungleichhe­it und rassistisc­he Diskrimini­erung Hand in Hand gehen. Und in den kommenden Jahren wird sich die Kluft noch weiter vertiefen, nicht zuletzt weil die Trump-Regierung auf die Aufweichun­g von Gesetzen gegen Diskrimini­erung drängt.

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Foto: Getty Images/Ernst Haas Ein »schwarzes« Wohnvierte­l in den 1960er Jahren im Süden der USA

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