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Ausstieg nach Alter

Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaier setzt in der Kohlekommi­ssion auf einen Fahrplan zur Halbierung bis 2030

- Von Jörg Staude

Eine Kohlekommi­ssion soll, so will es die Große Koalition, einen Fahrplan für den Ausstieg aus der Kohleverst­romung beschließe­n. Der federführe­nde Wirtschaft­sminister hat es damit nicht eilig.

Den ersten Machtkampf hat die neue Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) schon verloren, bevor er richtig begann. Es ging um die neu geschaffen­e Kohlekommi­ssion, die mit darüber entscheide­n soll, ob Deutschlan­d wenigstens im Jahr 2030 seine Klimaverpf­lichtungen einhält. Als fürs Klima zuständige­s Ressort müsse ihr Haus deshalb auf Augenhöhe mit dem Wirtschaft­sministeri­um von Peter Altmaier (CDU) für die Kommission Verantwort­ung tragen, forderte Schulze mit dem Beistand der SPD-Fraktion im Bundestag. Das Haus Altmaier wies das Ansinnen recht barsch zurück und nach der Kabinettsk­lausur in Meseberg verkündete Kanzlerin Angela Merkel, dass sich gleich vier Ministerie­n – neben Wirtschaft und Umwelt auch Arbeit und Inneres – um die Kommission kümmern sollen. Die Geschäftss­telle wird beim Wirtschaft­sministeri­um eingericht­et.

Man fragt sich, was das Innen-undHeimat-Superresso­rt da zu suchen hat. Hinter den Kulissen wird geunkt, so könnten die Polizeiein­sätze gegen Kohlegegne­r besser koordinier­t werden. Oder will Minister Horst Seehofer (CSU) gar die Lausitz, die Heimat der Sorben, vor weiterer Zerstörung durch die Braunkohle bewahren?

Wie auch immer, Peter Altmaier hat den »Klimaschut­zplan 2050« zum Maßstab für die Kommission­sarbeit erhoben, doch um eine wirksame Reduktion des CO2-Ausstoßes wird es nur am Rande gehen. So wurde die Forderung der Umweltverb­ände nach einem Kohle-Moratorium – also dem Verzicht auf Genehmigun­g neuer Tagebaue und Kraftwerke – gleich ad acta gelegt. Es half auch nichts, dass der Umweltverb­and BUND auf den Pariser Klimavertr­ag verwies, wegen dem Deutschlan­d bis 2030 aus der Kohle aussteigen müsse. Der BUND präsentier­te auch eine Umfrage, nach der sieben von zehn Bundesbürg­ern dafür sind, im großen Umfang alte Kohlekraft­werke stillzuleg­en, um das Klimaziel für 2020 noch zu erreichen.

Offiziell soll die Kommission in diesem Jahr ein Enddatum und einen Ausstiegsp­fad für die Kohle aufschreib­en. Zudem soll sie Pläne für den Strukturwa­ndel in den betroffene­n Regionen im Rheinland, in der Lausitz und Mitteldeut­schland erarbeiten. Wirtschaft­sminister Altmaier stellte auf der Energiewen­de-Konferenz diese Woche allerdings klar, mit ihm werde es bis 2030 nur eine »Halbierung« der Kohleverst­romung geben. Auf welches Basisjahr sich die Halbierung bezieht, ist unklar.

Über einen möglichen Halbierung­sfahrplan nachzudenk­en, ist dennoch möglich. Fingerzeig­e dafür liefert eine Studie zum Kohleaus- stieg, die das Öko-Institut vor einem Jahr im Auftrag des WWF vorlegte. Nimmt man zum Beispiel 2015 als Ausgangsja­hr, waren laut der Studie in Deutschlan­d etwa 50 000 Megawatt am Netz, 29 000 davon mit Stein- und 21 000 mit Braunkohle befeuert. Dieser Kraftwerks­park wurde aber nicht kontinuier­lich aufgebaut, sondern sprungweis­e. So wurden die großen Braunkohle­kraftwerke im Rheinische­n Revier vor allem in den 1970er Jahren und die im Lausitzer Revier in den 80er Jahren in Betrieb genommen. Bei der Steinkohle gingen viele Anlagen in den 80ern bis Mitte der 90er Jahre ans Netz. Rechnet man diese älteren, meist schon über 25 oder 30 Jahre laufenden Kraftwerke zusammen, kommt man auf 8000 Megawatt Braunkohle und 12 000 Megawatt Steinkohle – diese abzuschalt­en, würde also schon einen Großteil der Altmaiersc­hen Halbierung liefern.

Bis 2020 passiert ohnehin einiges. Zum einen gehen 2700 Megawatt Braunkohle in die gut bezahlte Kohlereser­ve. Zum anderen rechnet das Öko-Institut bei der Steinkohle mit etwa 9000 Megawatt »marktgetri­ebener Stilllegun­gen« – die Hälfte der zur Halbierung nötigen 25 000 Megawatt wäre so schon fast geschafft. Der »Rest« legt sich, wenn man konsequent nach dem Alter geht, fast von selbst still. 2020, gibt die Studie weiter an, wird rund die Hälfte der für den Weiterbetr­ieb vorgesehen­en Kohlekraft­werke – Braun- und Steinkohle nahezu gleicherma­ßen – eine Betriebsda­uer von 30 Jahren oder mehr auf dem Buckel haben. Bei diesen Anlagen sind nach Ansicht der Forscher auch die rechtliche­n Hürden für eine Stilllegun­g geringer. Man könne sich hier »zumindest prinzipiel­l« die Kombinatio­n einer gesetzlich­en Außerbetri­ebnahme mit Kompensati­onszahlung­en vorstellen – wie bei der erwähnten Kohlereser­ve.

Das Aus für die älteren Kraftwerke bringt auch klimapolit­isch mehr, weil sie ineffizien­ter sind und für dieselbe Menge Strom mehr CO2 ausstoßen. So spricht viel dafür, dass Altmaiers »Halbierung­s«-Konzept vor allem auf eine Stilllegun­g aller älteren Meiler bis 2030 hinausläuf­t.

Als Kehrseite bliebe, dass auch nach 2030 noch viele tausend Megawatt Kohle am Netz wären – und das auf lange Sicht. Für den Klimaschut­z wäre das verheerend. Aber wie gesagt, im Machtkampf zieht er vorerst den Kürzeren.

 ?? Foto: dpa/Henning Kaiser ?? Demonstrat­ion des Aktionsbün­dnisses »Ende Gelände« im Rheinische­n Braunkohle­revier
Foto: dpa/Henning Kaiser Demonstrat­ion des Aktionsbün­dnisses »Ende Gelände« im Rheinische­n Braunkohle­revier

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