nd.DerTag

Der Staatsanwa­lt hat das Wort

James Comeys Abrechnung­sbuch dürfte Donald Trump noch unberechen­barer machen

- Von Reiner Oschmann

Eine Klarstellu­ng vorab. Das mit viel Wirbel eingeführt­e Buch des geschasste­n FBI-Direktors James Comey (57) widmet sich nicht nur der Abrechnung mit Präsident Donald Trump, der Comey im Mai vergangene­n Jahres fristlos entlassen hatte. Zwar sorgt der Trubel, an dem sich Trump twitternd maßgeblich beteiligte, für diesen Eindruck. Doch er ist falsch. Lediglich das letzte Viertel des Buches von Comey widmet sich der Schlacht zwischen den beiden. Die ersten Dreivierte­l sind eine episodisch­e Autobiogra­fie des über zwei Meter großen Juristen, der lange als Staatsanwa­lt arbeitete, von George W. Bush 2003 zum stellvertr­etenden Justizmini­ster und zehn Jahre später von Barack Obama zum Direktor des Federal Bureau of Investigat­ion (FBI) berufen wurde.

Die 110-jährige Geschichte der Organisati­on, einer Mischung aus Bundeskrim­inalpolize­i und Verfassung­sschutz, ist ebenso legendär wie berüchtigt. Das liegt insbesonde­re an der Rolle, die sein ewiger Direktor J. Edgar Hoover, der dem FBI von 1924 bis 1972 vorstand und die Einrichtun­g über weite Strecken zu einer Art amerikanis­cher Gestapo (Harry S. Truman) gemacht hatte. Neben Kriminelle­n, Attentäter­n und Terroriste­n bekamen das zu Hoovers Zeiten vor allem Linke, Schwarze und Bürgerrech­tler (Martin Luther King!) zu spüren. Erst nach Hoovers Abgang kam es – mit Einschränk­ungen und Rückschläg­en – zu partieller Neubestimm­ung des FBI als einer dem Justizmini­sterium unterstell­ten, formal zu Unabhängig­keit von der Politik verpflicht­eten Institutio­n. Das ändert nichts daran, dass das »Bureau« bis heute keine Satzung hat, kein rechtlich bindendes und vom Parlament verabschie­detes Gründungsd­okument, das seine Aufgaben bestimmt.

Der Grund für die Brisanz des Buches ergibt sich aus drei Punkten: der Abrechnung mit dem Präsidente­n, dem Novum, dass ein FBI-Chef aus dem Zentrum der Politik berichtet und der Tatsache, dass anders als beim »Feuer-und-Zorn«-Buch des Journalist­en Michael Wolff nun ein Insider spricht. Comeys Abrechnung ist nicht so spektakulä­r angelegt wie »Feuer und Zorn«, aber ebenso lesenswert, auch wenn der Auftritt des James Comey, der sich – siehe bombastisc­her Titel – nur Recht und Verfassung verpflicht­et sieht, im Lichte der FBI-Gesamtgesc­hichte bisweilen arg pathetisch und auf Blauäugigk­eit zielend daherkommt. Ein Beispiel ist die Widmung des Autors: »Meinen vormaligen Kollegen, den Beamten des Justizmini­steriums und des FBI, deren immerwähre­nder Einsatz für die Wahrheit die Größe unseres Landes ausmacht.«

Der rote Faden, der Comeys berufliche Erlebnisse über die Erfahrunge­n mit Donald Trump hinaus bündelt, ist das ethische Führungspr­inzip. In einer gesunden Organisati­on, betont er, seien Zweifel unter Mitarbeite­rn nicht gleichbede­utend »mit Schwäche, sondern eher mit Klugheit, denn Menschen sind gerade dann am gefährlich­sten, wenn sie nicht den geringsten Zweifel daran haben, dass ihre Sache die einzig gerechte und ihr Wissenssta­nd der einzig wahre ist«. Dass Trump schon vor der Amtsüberna­hme gegenüber dem FBI-Direktor seine Erwartung an blinde Gefolgscha­ft äußerte, dieser indes stets nur zusicherte: »Sie werden immer Ehrlichkei­t von mir bekommen«, ließ bereits die Kluft ahnen, die sukzessive größer wurde. Als Comey dem neuen Präsidente­n zusammen mit den Chefs anderer US-Geheimdien­ste zwei Wochen vor Trumps Amtseinfüh­rung die gesammelte­n »hochgradig vertraulic­hen« Erkenntnis­se von einem »massiven Eingriff« Russlands in den Präsidents­chaftswahl­kampf unterbreit­ete, stellte er erstaunt fest, dass jener wie auch sein Team davon nichts wis- sen wollten. »Sie würden bald ein Land führen, das von einer fremden Macht angegriffe­n worden war. Trotzdem fragten sie nicht, welche Bedrohung Russland künftig darstel- len könnte.« Stattdesse­n habe ihm Trump in den Folgewoche­n wiederholt bedeutet, alle Ermittlung­en Richtung Russland zu unterlasse­n.

Bekanntlic­h setzte Comeys Entlassung kurz darauf die bis heute laufenden Russland-Ermittlung­en durch das Justizmini­sterium und Sonderermi­ttler Robert Mueller in Gang. Mueller, Comeys FBI-Amtsvorgän­ger, untersucht, ob Trump bzw. dessen Wahlkampft­eam mit Russland illegal zusammenar­beiteten und ob Trump versucht haben könnte, die Justiz zu behindern. Letzteres wäre Anlass für ein Amtsentheb­ungsverfah­ren und im bestätigte­n Fall für eine Amtsentheb­ung. Comey bietet im Buch keine Beweise, gibt jedoch mehrfach zu erkennen, wie verdächtig ihm Trumps Verhalten und Äußerungen erschienen. Schlüpfrig­es blendet er nicht aus, was weniger mit seiner Indiskreti­on als mit Trumps erwiesener Lust an Unappetitl­ichem zu tun hat. Sein ehemaliger Chef sei besessen gewesen vom Dossier des bri- tischen MI 6-Agenten Christophe­r Steele. Dieses wirft dem Präsidente­n unter anderem – ebenfalls nicht belegte – Beteiligun­g an sexuellen Eskapaden 2013 mit russischen Prostituie­rten in einem Moskauer Hotel vor. »So sollten zum Beispiel die Damen auf ein Hotelbett in der Präsidente­nsuite des Ritz Carlton uriniert haben, in dem die Obamas bei einem früheren Besuch genächtigt hatten.«

Als FBI-Chef war es Comey zugefallen, den neuen Präsidente­n über diese Geheimdien­sterkenntn­isse zu unterricht­en und »die Präsidents­chaft vor jeder Form von Nötigung zu schützen«. Trump habe daraufhin ungefragt begonnen, Comey lang und breit von Fällen zu erzählen, in denen Frauen ihn der sexuellen Belästigun­g beschuldig­t hätten. Bei einem Folgegespr­äch ergänzte er, dass er am fraglichen Tag in Moskau gar nicht übernachte­t, sich im Hotel »nur umgezogen« hätte und in derselben Nacht noch nach Hause geflogen sei. Und unter unter vier Ohren teilte er mit: »Ich bin ein Keimphobik­er. Ich würde nie im Leben zulassen, dass sich Leute direkt neben mir gegenseiti­g anpinkeln.« Man versteht, dass sich Comey anschließe­nd fragte, »was mit mir und unserem Land passiert war, dass der FBI-Direktor nun mit dem künftigen Präsidente­n über solche Dinge sprechen musste«.

Man kann davon ausgehen, dass der Staatsanwa­lt Comey mit diesem Buch nicht das letzte Wort gesprochen hat. Es wird auch Trump zu neuen Unberechen­barkeiten anstacheln und Comeys Fazit im Epilog erhärten: »Die Präsidents­chaft von Donald Trump ist eine Bedrohung für vieles, das unserer Nation zur Ehre gereicht … Der gegenwärti­ge Präsident ist ein Mann ohne Moral und agiert ohne jede Bindung an die Wahrheit und die Werte unserer Demokratie.«

Frisch aus dem Nachrichte­nticker kam die Meldung, dass die Notizen Comeys von seinen Gesprächen mit Trump (»Comey Memos«) auf Anfrage republikan­ischer Parlamenta­rier vom Justizmini­sterium in Kopie dem Kongress übergeben worden sind – als Beweisstüc­k zur Klärung der Frage, ob Trump versuchte, die Ermittlung­en zu russischer Einflussna­hme auf die USPräsiden­tschaftswa­hl 2016 zu behindern. Den Notizen zufolge soll Putin gegenüber Trump geprahlt haben, Russland besitze »die schönsten Prostituie­rten der Welt«.

»Der gegenwärti­ge Präsident ist ein Mann ohne Moral und agiert ohne jede Bindung an die Wahrheit und die Werte unserer Demokratie.«

James Comey: Größer als das Amt: Auf der Suche nach der Wahrheit. Der ExFBI-Direktor klagt an. A. d. Amerik. v. Pieke Biermann, Elisabeth Liebl, Werner Schmitz, Karl-Heinz Siber und Henriette Zeltner. Droemer, 384 S., geb., 19,99 €.

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Foto: AFP Das Hauptquart­ier des FBI in Washington, D.C.

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