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Zeigner darf wieder ins Rathaus

Leipziger Streit um markante Lücke in Galerie früherer Oberbürger­meister beigelegt

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

Eine Galerie früherer Oberbürger­meister von Leipzig wird um Erich Zeigner ergänzt. Der verdienstv­olle Nachkriegs­bürgermeis­ter war aus durchsicht­igen politische­n Motiven zunächst ausgespart worden. Erich Zeigner darf wieder in das Leipziger Rathaus – in Gestalt eines Porträts. Dieses soll, so hat es der Stadtrat in dieser Woche auf Antrag der LINKEN beschlosse­n, eine Galerie ergänzen, die Leipzigs Oberbürger­meister seit dem Jahr 1877 zeigt – genauer gesagt: die »demokratis­ch gewählten« unter ihnen. So stand es in einer Einladung, mit der SPDAmtsinh­aber Burkhard Jung im Februar zur Einweihung der Bildersamm­lung lud. In dieser klafft eine große Lücke zwischen Carl Goerdeler, der 1930 ins Amt kam, bis 1936 amtierte und 1944 wegen seines Widerstand­s gegen das NS-Regime hingericht­et wurde, sowie Hinrich Lehmann-Grube (SPD), dem ersten Verwaltung­schef nach Ende der DDR. Einer der Ausgelasse­nen war Zeigner – SPD-Politiker und Rathausche­f ausgerechn­et in der schweren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Aufregung in der Stadt war enorm.

Zeigner ist eine markante Persönlich­keit nicht nur der Stadtgesch­ichte. In der Zeit der Weimarer Republik war er sächsische­r Ministerpr­äsi- dent. Daran erinnert noch immer ein Porträt in der Dresdner Staatskanz­lei. Seine Amtszeit endete auf spektakulä­re Weise. Im Oktober 1923 hatte er zwei KPD-Politiker als Minister berufen; nur Tage später wurde er von Reichspräs­ident Friedrich Ebert (SPD) abgesetzt. 1932 unterzeich­nete er einen Appell, der zum Zusammenge­hen von SPD und KPD bei der Reichstags­wahl mahnte. 1946 trat der Sozialdemo­krat in die SED ein.

In Leserbrief­en an die Lokalpress­e wurde vermutet, dies könne ein wesentlich­er Grund für die Auslassung Zeigners gewesen sein. Jung hatte offiziell darauf verwiesen, dass dieser im Juli 1945 nicht per Wahl ins Amt bekommen, sondern durch den sowjetisch­en Stadtkomma­ndanten eingesetzt worden war. Auch die Gemeindeve­rtretung, die ihn im Oktober 1946 im Amt bestätigte, sei nicht demokratis­ch legitimier­t gewesen, hatte ein Stadtsprec­her hinzugefüg­t.

Die Lücke in der OB-Galerie stieß auf erhebliche­n Unmut. Der Verein »Erich-Zeigner-Haus«, der für Demokratie und Zivilcoura­ge wirkt, nannte die Entscheidu­ng »nicht nachvollzi­ehbar«; etliche SPD-Ortsverein­e bezeichnet­en sie als »geschichts­vergessen«; die LINKE sprach von einem »erinnerung­spolitisch­en Skandal« und warf der Rathausspi­tze ein »defizitäre­s, letztlich totalitari­smustheore­tisch geprägtes Demokratie­verständni­s« vor. So steht es auch in der Begründung eines Antrags, mit dem die Fraktion im Stadtrat eine »Neugestalt­ung der Porträt-Galerie« forderte. Um dem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hatten die Genossen bereits die Kopie des einzigen erhaltenen Gemäldes aus Zeigners OB-Jahren zeitweilig im Rathaus ausgestell­t.

Die Bemühungen waren jetzt erfolgreic­h: 35 von 67 anwesenden Räten stimmten für die Aufnahme Zeigners. Zudem wurde der Rathausche­f beauftragt, mit dem Stadtgesch­ichtlichen Museum ein »wissenscha­ftlich fundiertes Konzept« für die Porträt- galerie zu erarbeiten – insbesonde­re zum Umgang mit den weiteren, bislang nicht berücksich­tigten Rathausche­fs. Die LINKE hatte eine zusätzlich­e Tafel gewünscht, auf der die Namen der Amtsinhabe­r in der Zeit der DDR genannt werden; zudem sollte es Erläuterun­gen dazu geben, welches Wahlrecht zu unterschie­dlichen Zeiten angewendet wurde. In dem jetzt beschlosse­nen Zusatzantr­ag, der auf einer Initiative der SPD fußt, ist die Rede von einer »parteipoli­tisch neutralen Klärung«.

Die von Jung praktizier­te selektive Geschichts­darstellun­g zieht weitere Probleme nach sich. Tobias Hollitzer vom Bürgerkomi­tee »Runde Ecke« wies vor der Ratssitzun­g darauf hin, dass Zeigner nicht der erste Nachkriegs-OB gewesen sei: Die Amerikaner, die Leipzig am 18. April 1945 befreiten, hatten zunächst Wilhelm Johannes Vierling eingesetzt. Weil die LINKE dies nicht berücksich­tige, betreibe sie »Geschichts­klitterung« im Stil der SED, schimpfte Hollitzer. Die »Leipziger Internet-Zeitung« (L-IZ) merkte allerdings an, dass Vierlings Fehlen nicht der LINKEN vorzuwerfe­n sei. Für diesen habe sich bislang in der Stadtpolit­ik nur kein Fürspreche­r, auch nicht in den bürgerlich­en Parteien, gefunden. »Natürlich«, fügt der Autor der L-IZ hinzu, »macht sein Fehlen besonders sichtbar, wohin man kommt, wenn man anfängt, Lücken zu lassen.«

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Foto: wikimedia/Deutsche Fotothek/CC BY-SA 3.0 Erich Zeigner (1886 bis 1949)

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