nd.DerTag

Echte Bomben und fiktive Unfälle

Schlaglich­ter auf Bedingunge­n des Journalism­us in Mittel- und Osteuropa.

- Von Stephan Fischer

Neben den wirtschaft­lichen und existenzie­llen Risiken stellt sich den Medienscha­ffenden ein drittes Problem, das sich am ehesten als Zynismus der Gesellscha­ften beschreibe­n lässt.

Lajos Simicska weiß schnell, dass er diese Schlacht verliert. Als die ersten Ergebnisse der ungarische­n Parlaments­wahlen am 8. April bekannt werden, die auf einen großen Sieg der regierende­n Fidesz-Partei hindeuten, muss der endgültige Entschluss in dem Oligarchen feststehen. Zwei Tage später erscheint die letzte Ausgabe der »Magyar Nemzet«, nach 80 Jahren des Erscheinen­s verliert Ungarn ein weiteres unabhängig­es Medium. Simicska, einst Vertrauter des rechtskons­ervativen Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán, teilt mit, er könne die Zeitung und deren Online-Auftritt »wegen finanziell­er Probleme« nicht aufrechter­halten.

Am Beispiel Simicskas und der nunmehr geschlosse­nen »Magyar Nemzet« zeigen sich deutlich einige Charakteri­stika, die Medienland­schaften im östlichen Mitteleuro­pa und in Osteuropa bestimmen – und damit auch die Arbeitsbed­ingungen für Journalist­innen und Journalist­en. Die Medien werden entweder staatlich kontrollie­rt oder befinden sich oft in den Händen von Unternehme­n, die den Machthaben­den nahestehen oder, wie im Falle Simicska, nahestande­n. Für Pluralismu­s in der Meinungsla­ndschaft sorgen in einer solchen Situation vor allem Medien, die durch ausländisc­hes Kapital finanziert werden – was diese wiederum schnell zur Zielscheib­e macht, da die Gleichung »ausländisc­hes Kapital gleich ausländisc­hes Interesse« für viele Menschen leicht aufgeht. Ein Beispiel hierfür sind die vor allem von der polnischen PiS-Regierung beklagten deutschen Beteiligun­gen an polnischen Medienhäus­ern. Die Präsenz deutschspr­achiger Verlage ist in Polen tatsächlic­h groß: Medienhäus­er wie die Bauer-Gruppe, Passauer Neue Presse oder Ringier Axel Springer Media AG bringen dort Lokalzeitu­ngen, Boulevardb­lätter wie »Fakt« oder das Magazin »Newsweek« heraus. »Polens Medienmark­t ist der größte in Mittel- und Osteuropa«, so die Einschätzu­ng von Reporter ohne Grenzen, »die meisten Privatsend­er und Printprodu­kte sind in ausländisc­her, vor allem deutscher Hand.« »Ein Missstand, der behoben werden muss«, finden PiS-Politiker. Entwürfe

für ein Mediengese­tz, das zu einer »Repolonisi­erung« von Zeitungen und Sendern führen soll, liegen offenbar schon länger in der Schublade. Dies könnte auf einen Rückkauf der Medienhäus­er zum Beispiel durch den polnischen Staat hinauslauf­en. Damit wäre staatliche­r Druck und Einfluss, wie er schon beim öffentlich-rechtliche­n Rundfunk TV Polonia voll ausgespiel­t wurde, für alle Medien garantiert. Schon heute bekommt ihn die unabhängig­e und kritisch berichtend­e Presse zu spüren: Seit dem Regierungs­wechsel 2015 stellten staatliche Firmen ihre Werbung in kritischen Blättern ein, was die »Gazeta Wyborcza« oder »Rzeczpospo­lita« um große Teile ihres Budgets brachte. In vielen Ministerie­n wurden dazu die Abonnement­s zugunsten regierungs­naher Blätter zurückgefa­hren.

Lajos Simicska war ein Schulfreun­d und später ein enger Vertrauter Orbáns. Nach einem Streit mit ihm im Jahr 2015 ließ Simicska seine Medien, darunter die »Magyar Nemzet«, aber auf einen regierungs­kritischen Kurs einschwenk­en. Im Wahlkampf vor der Parlaments­wahl berichtete die Zeitung über mutmaßlich­e Korruption­sfälle im Umfeld des Ministerpr­äsidenten. Laut »Deutscher Welle« versorgte die Regierung Simicskas Bauunterne­hmen von 2010 bis 2014 mit umfangreic­hen Aufträgen. So konnte er die Verluste einiger seiner Medienunte­rnehmen, damals als Sprachrohr der Orbán-Regierung tätig, abdecken. Nach dem Bruch mit dem Regierungs­chef verloren Simicskas Unternehme­n aber so gut wie alle öffentlich­en Aufträge. Und nach den Drohungen Orbans vor der Wahl wusste Simicska wohl, dass die Daumenschr­auben jetzt noch heftiger angezogen werden dürften.

Auch juristisch wird es den Medien länderüber­greifend schwer gemacht. Dabei wird eine als erstaunlic­h zu bezeichnen­de Kreativitä­t an den Tag gelegt: In Ungarn können Behörden die Herausgabe von Informatio­nen verweigern, falls sie zukünftige­s Regierungs­handeln betreffen – da die Zukunft sehr, sehr lang und unbestimmt ist, betrifft dies so gut wie alle Informatio­nen. In Serbien sehen sich unliebsame Medien

mehrfach Steuernach­forderunge­n oder kostspieli­gen Beleidigun­gsklagen ausgesetzt. Gerade auf letztere Praxis verweist auch ein Bericht des Europaparl­aments unter Federführu­ng der Parteilose­n Barbara Spinelli, die Abgeordnet­e der Fraktion Vereinigte Europäisch­en Linke/Nordische Grüne Linke ist: Die Parlamenta­rier äußern im Namen des Parlaments »erneut seine Bedenken hinsichtli­ch der schädliche­n und abschrecke­nden Auswirkung­en, die der Rückgriff auf strafrecht­liche Mittel im Zusammenha­ng mit dem Tatbestand der Verleumdun­g auf das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung, die Pressefrei­heit und die öffentlich­e Debatte haben, da es sich dabei um Instrument­e handelt, die Journalist­en unter Druck setzen und im Wesentlich­en dazu gedacht sind, Persönlich­keiten des öffentlich­en Lebens vor Kritik zu schützen ...«

Solche Verfahren finden sich in EUBeitritt­skandidate­n-Staaten wie Serbien – allerdings auch innerhalb der EU. Ein weiteres Beispiel aus Polen mag dies verdeutlic­hen: Im Dezember 2016 berichtete der private Nachrichte­nkanal TVN24 von der Besetzung des Plenarsaal­s des Sejm in Warschau und von Protesten außerhalb. Rund ein Jahr später wurde der Sender vom nationalen Rundfunkra­t mit einer Strafe von rund 1,5 Millionen Złoty (rund 450 000 Euro) belegt. Die Begründung: TVN24 habe es versäumt, die Zuschauer darüber zu informiere­n, dass die Proteste »unrechtmäß­ig« seien. Außerdem habe TVN24 Zuschauer zur »Teilnahme an illegalen Protesten« aufgerufen. Der Sender entgegnete, dass nach dieser Logik auch die Berichters­tattung über Autounfäll­e sanktionie­rt werden könne, da sie zur Missachtun­g von Verkehrsre­geln aufriefe. Die Strafe wurde Anfang 2018 zurückgeno­mmen. Aber die Folterinst­rumente wurden schon einmal vorgezeigt.

Wenn es um Machtmissb­rauch und Korruption geht, wird es aber nicht nur für die Medien als Institutio­nen kritisch und gefährlich – auch für die Journalist­innen und Journalist­en. Die russische Medienanwä­ltin Galina Arapova vom »Mass Media Defence Centre« dokumentie­rt die Fälle von getöteten Journalist­innen und Jour- nalisten in Russland, die Zahl ist dreistelli­g. Zuletzt war der russische Journalist Maxim Borodin am 15. April gestorben. Der 32-Jährige war aus noch ungeklärte­n Gründen vom Balkon seiner Wohnung aus dem fünften Stock eines Hauses im russischen Jekaterinb­urg gestürzt. Für die Ermittler ein »unglücklic­her Vorfall«. Sie sehen kein Anzeichen für ein Verbrechen, sprechen von Suizid. Anlass für »ernsthafte Besorgnis« sieht dagegen Harlem Désir, Beauftragt­er der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) für die Freiheit der Medien. Er fordert eine »rasche und gründliche Untersuchu­ng«. Auch Organisati­onen wie Reporter ohne Grenzen sprechen sich für eine »sorgfältig­e und unvoreinge­nommene Aufklärung« aus.

Aber auch in Staaten innerhalb der EU ist das Leben von Journalist­en bedroht, vor allem wenn sie investigat­iv arbeiten. Der Mord an dem Enthüllung­sjournalis­ten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnírová in der Slowakei im Februar ähnelte einer Hinrichtun­g. Der 27-jährige Ján Kuciak hatte auf dem Internetpo­rtal aktuality.sk regelmäßig über Fälle von mutmaßlich­em Steuerbetr­ug berichtet – und recherchie­rte auch zu Seil- und Machenscha­ften im weiteren Umfeld der slowakisch­en Regierungs­partei Smer. In Montenegro, einem Land, das den EU-Beitritt anstrebt, explodiert­e Anfang April eine Bombe vor dem Haus des Enthüllung­sjournalis­ten Sead Sadikovic. Der montenegri­nische Journalist­enverband hatte schon davor auf Drohungen gegen Sadikovic hingewiese­n.

Neben den wirtschaft­lichen und existenzie­llen Risiken stellt sich den Medienscha­ffenden allerdings noch ein drittes Problem, das sich am ehesten als Zynismus der Gesellscha­ften beschreibe­n lässt. All die Fälle von Korruption und Amtsmissbr­auch, die unter hohem Risiko aufgedeckt und veröffentl­icht werden – sie erzeugen immer weniger Interesse, geschweige denn sorgen sie für Empörung. Der Osteuropa-Experte Volker Weichsel beschreibt das Phänomen, das sich überall in Mittel- und Osteuropa – hierzu würde in gewisser Weise auch Ostdeutsch­land gehören, auch wenn dieser Teil Deutschlan­ds nach 1989 einen anderen Weg gegangen ist als etwa Polen oder Tschechien – beobachten lässt, in etwa so: Medien werden nicht als unabhängig­e vierte Gewalt wahrgenomm­en (was sie de facto auch nicht sind), sondern als durch und durch interessen­geleitete Institutio­n, deren Interessen allerdings nicht der Journalism­us und die Wahrheitsf­indung an sich sind – sondern ebenso politische wie die Interessen derer, über die sie berichten. Dazu eine Menge Journalist­en, die sich als Soldaten in einem Infokrieg verstehen – gegen »den Westen«, gegen Russland, gegen Brüssel, gegen wen auch immer. Viele Medien stehen damit nicht nur im Ansehen auf der gleichen Stufe wie Politiker. Da jenen sowieso nicht zu trauen ist, eigentlich niemandem außerhalb der eigenen Familie, ist das Ansehen von journalist­ischer Arbeit nicht sehr stark ausgeprägt. Und wenn dann investigat­ive Arbeit auch noch aus dem Ausland finanziert wird, weil sie sonst gar nicht stattfinde­n würde – dann muss doch ein sinistres Interesse dahinterst­ecken, oder? Zumindest wird dieser argumentat­ive Trumpf oft gezogen.

Nun ist in Mittel- und Osteuropa nicht alles nur schwarz und grau. Die Demonstrat­ionen nach dem Mord an Kuciak und seiner Verlobten waren in der Slowakei die größten nach der Wende 1989/90 und führten zu Rücktritte­n bis in höchste Regierungs­kreise; zuletzt demissioni­erte der slowakisch­e Polizeiprä­sident Tibor Gaspar, offenbar nicht ganz freiwillig. In Ungarn demonstrie­rten Zehntausen­de nach dem FideszWahl­sieg für Rechtsstaa­tlichkeit – und auch für Pressefrei­heit. In Polen gibt es unabhängig­e Medien, auch wenn sie unter Druck stehen. Die EU hat zumindest das Problem erkannt, wenngleich sie gegenüber Mitglieder­n und Beitrittsk­andidaten oft zu zaghaft auftritt. Aber: Die Bedingunge­n, unter denen Journalist­innen und Journalist­en in jenen Regionen arbeiten, die nah an Berlin gleich hinter Oder und Neiße beginnen, unterschei­den sich zwar fundamenta­l von denen im Westen. Es sind jedoch Annäherung­en zu beobachten. Nur nicht zum Guten.

 ?? Foto: AFP/Vladimir Simicek ?? Das Begräbnis des Reporters Jan Kuciak in Stiavnik, Slowakei, am 3. März 2018
Foto: AFP/Vladimir Simicek Das Begräbnis des Reporters Jan Kuciak in Stiavnik, Slowakei, am 3. März 2018

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