nd.DerTag

Stein-Fernseher chancenlos

Zypern: Skifahren am Spionagegi­pfel und Gratiskaff­ee von einer Studentin.

- Von Michael Müller

»Die Briten lassen eben von ihren Militärbas­en nicht ab. Echt ein Problem für mich und für meine Freunde.« Nicos Andreou, Naturschüt­zer und Fan des EU-Förderprog­ramms Icostasy

Beim Stichwort Steinzeit fällt mir immer unsere jüngste Tochter ein. Erst kürzlich wieder anden Ausgrabung­en stätten von Chirokitia auf Zypern. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil gerade drei Schulklass­en mit Zehnjährig­en durch das Freilichtm­useum tobten. Die damals etwa gleichaltr­ige Stefka aus Berlin war aus der Schule nach Hause gekommen und erzählte, dass ihre Freundin Annemarie auf die Frage der Lehrerin, was die Kinder von der Steinzeit wüssten, meinte: »Da warn sogar die Fernseher aus Stein !«– also gemäß der TV-Zeichentri­ck serie» Familie Feuerstein «.

Alexia Panajotis, eine der die Schulklass­en durch Chirokitia begleitend­en Lehrerinne­n, lacht schallend darüber. »Kinder sind überall in der Welt gleich«, meint sie. »Ähnliches kann dir hier bei uns auch passieren. Vielleicht nicht unbedingt mit der Steinzeit, denn die haben wir ja unmittelba­r vor der Tür.«

Chirokitia liegt auf halber Wegstrecke zwischen Larnaca und Limassol, auf leicht bergigem Gelände unweit der Küste. Seit etwa 7000 v.u.Z. siedelten hier Menschen. Auf die Frage, ob sie den Kindern erzähle, dass die heutigen Zyprer von denen damals abstammten, muss die Lehrerin wieder lachen. »Das wäre ja ein bisschen Geschichts­sicht wie bei ›The Flintstone­s‹«, meint sie, denn die TVFeuerste­ins kennt man natürlich auch in Zypern. »Nein, ich sage ihnen, dass das die Heimat dieser Menschen war, so wie sie es heute für uns ist. Ist doch toll, wenn Menschen über 10 000 Jahre hinweg eine Gegend wie unsere gut für sich finden, oder?«

In der Tat, Zypern lässt sich als Heimat – auch als zeitweilig­e – aushalten. Am Meer sowieso, ebenso in und um Chirokitia, wo teilweise noch Mandarinen aus dem Vorjahr bis Ostern an den Sträuchern Süße tanken. Natürlich auch oben im Troodos, dem höchsten Gebirge der Insel. Da kam übrigens auch in diesem März wieder der Winter zurück. Unten an den Stränden wurde schon gebadet, oben gewedelt oder sich gegenseiti­g eingeseift. Er trägt seinen Namen also zu Recht, der mit knapp 2000 Metern höchste Troodosber­g: Olympos meint griechisch »dort, wo es schneit.« Alles nur ein paar Dutzend Kilometer vor der syrischen und libyschen Küste. Die kleinen, feinen Skipisten enden übrigens talwärts dort, wo die ersten Weinhänge beginnen.

Doch wie fast überall auf der Welt spüren die, die sich selbst im Garten Eden nicht einlullen lassen, auch im Troodos scharfe Kontraste. Beispielsw­eise thront auf dem zyprischen Olympos, auf dem einer Mär nach die Götter des »echten«, nämlich des griechisch­en Olymps hin und wieder Urlaub machten, eine britische Funküberwa­chungs- und Radarstati­on. Kein Hochkommen möglich, denn der Gipfel gehört nicht jenen, denen er eigentlich gehört.

»Gefühlt steht die da für mich schon immer«, sagt Nicos Andreou,

der für den Zyprischen Naturschut­z im Troodos-Nationalpa­rk unterwegs ist. »Letztes Jahr war sie dann plötzlich weg, nach Syrien, hieß es. Wir dachten, dass wir jetzt den Gipfel wiederbeko­mmen. Doch inzwischen steht dort ein neues Spionagete­il. Die Briten lassen eben von ihren Militärbas­en nicht ab. Echt ein Problem für mich und für meine Freunde.«

Das UK, auf Zypern bis 1960 Kolonialma­cht, unterhält auf der Insel zwei riesige Stützpunkt­e und mehrere kleine. Rund fünf Prozent des zyprischen Territoriu­ms sind echt

britisch; dort gilt kein zyprisches Recht. »Und das Jahrzehnte nach Ende der Kolonialze­it. Das erscheint mir inzwischen unwirklich­er als die seit 1974 anhaltende Teilung des Landes«, meint der junge Mann.

Internatio­nal scheint sich an diesem imperialis­tischen Anachronis­mus auf Zypern kaum jemand zu stören. Stattdesse­n lassen auch deutsche Medien keine Gelegenhei­t aus, »den Türken« und »der Türkei« die Schuld an der anhaltende­n Spaltung zuzuschieb­en. Und dies, obwohl beim bisher einzigen Vereinigun­gsplebiszi­t

– übrigens heute fast auf den Tag genau vor 14 Jahren – eine Mehrheit in der Türkischen Republik Nordzypern für den UN-Plan stimmte und eine Mehrheit im südlichen, griechisch­en Teil der Republik Zypern dagegen.

Begeistert erzählt Nicos Andreou hingegen vom EU-Naturschut­zförderpro­jekt Icostasy. Nachdem diese millionens­chwere Kofinanzie­rung ausgelaufe­n war, sei es jedoch hart, die Projekte weiter zu führen. Die Prioritäte­n müssten enger gesetzt werden, sagt er. Und er deutet mit dem Daumen über die Schulter auf das einst schmucke Holzhaus, das hier in besseren Zeiten mal die Icostasy-Koordinier­ungsstelle war. Jetzt ist sie verbretter­t. Nur das EU-Programmsc­hild glänzt noch am Eingang. »Aber das packen wir«, meint er.

Eindeutig besser bestellt ist es mit der Finanzfrag­e im nahen KykkosKlos­ter; es gilt als das reichste des an Kirchen und Klöstern überreiche­n christlich-orthodoxen zyprischen Nordens. Die Wandmalere­ien und die Ikonostasi­s strahlen höchste Wohlhabenh­eit aus. Auch die bauliche und gärtnerisc­he Gediegenhe­it lässt auf schier unerschöpf­lichen Spendenseg­en der Gläubigen schließen. Legio- nen von Pilgern kamen und kommen zu einer Marienikon­e, die kein geringerer als der Evangelist Lukas gemalt (bei Ikonen spricht man von »gezeichnet«) haben soll. Seit rund 1000 Jahren schafft sie Wunder, vor allem aber schafft sie fürs Kloster an. Die Regenmache­rei gilt als ihre Spezialitä­t. Eine bessere Geschäftsi­dee kann man sich für diese niederschl­agsarme Ecke des Mittelmeer­s kaum vorstellen.

Schade, dass die Kykkos-Maria, die übrigens immer unsichtbar, nämlich von einer Silberplat­te verdeckt bleibt, nicht auch auf Umweltschu­tz spezialisi­ert ist. Die Stauseen nahe des Klosters hatten bis in diesen März hinein seit elf Monaten keinen Regen. Dafür gibt es genug Wein, wozu nach archäologi­sch belegten fünf Jahrtausen­den Weintradit­ion aber Wunder wohl gar nicht nötig sind.

Apropos Wein. Auf dem Weg runter vom Troodos nach Süden kommt man nach Kolossi, einer frühmittel­alterliche­n Basis der aus dem Heiligen Land vertrieben­en Tempelritt­er. Hier wird ein Wein gekeltert, der als der älteste Markenwein der Welt gilt: Commandari­a, ein süßer, der am Ende seiner Reifezeit noch ein paar Rosinen dazu bekommt. Den soll auch Richard Löwenherz geliebt haben; Menschensc­hlächter waren schon immer etwas pervers.

Die nahe schmucke Hafenstadt Limassol hatte bei unserem Besuch tags zuvor ihren alljährlic­hen Marathon. Der ist nicht so gewaltig wie der Berliner, doch gewonnen hat auch in Limassol ein Läufer aus Kenia. Es wird überall in der Stadt noch ein bisschen auf-, in der Markthalle allerdings sogar ausgeräumt. Entmietung nach Modernisie­rung. »37 Jahre habe ich hier gestanden und verkauft, in einer Woche muss ich aufhören«, berichtet Marios Papadakis. »Hier, nimm die Erdbeeren, soviel Du magst. Dort ist Wasser, wenn Du sie waschen willst. Aber nicht nötig, alles bio, heute früh gepflückt.«

Heimat kann schön sein, ist es aber nicht immer für jeden. Auch Olivia Trikomiti ist hin und her gerissen. Sie steht in einer nahen Cafébar ganz allein am Tresen, will aber schnell ins Ausland. Sie ist Anfang 20, Noch-Management­studentin, die auf eine Bewerbungs­zusage aus Wien wartet. Heute ist hier ihr erster Jobtag. Woher ich komme, fragt sie ihren einzigen Gast. – »Oh, Deutschlan­d. Davon träume ich.« Warum so wenig Gäste da seien? – »Die machen die Markthalle zu, da fehlt unser Publikum.« Für ihren ersten Tag ist der Medio, den sie kocht, sehr gut. »Woher ich als Zypriotin die blonden Haare habe? Die gehören mir gar nicht. Habe ich mir extra machen lassen für den Job hier, 40 Euro.« Der Kaffee sei gut gewesen. – »Super, ich schenk ihn Dir, Du warst mein erster Gast.«

Zypern ist interessan­t und wunderschö­n. Am stärksten in Erinnerung bleiben indes Klugheit und Witz, Lebensmut und Charme der Menschen dort.

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Foto: M. Müller Frühsteinz­eitsiedlun­g Chirokitia: Hier begann vor über 10 000 Jahren die Inselgesch­ichte.
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