nd.DerTag

Der Brombeere an den Kragen

Eine Woche im Wald aufräumen, um der Natur einen Gefallen zu tun? Beim Verein Bergwaldpr­ojekt erledigen Naturfreun­de Aufgaben, die keine Maschine schafft.

- Von Karin Weitze Informatio­nen: www.bergwaldpr­ojekt.de

Guten Morgen, die Sonne scheint schon und der Kaffee ist fertig«, sagt Andreas gut gelaunt, halblaut und fast zärtlich. Andere Teamleiter bevorzugen eher die Gitarre oder die Flöte, einer sogar das Waldhorn als Wecksignal, aber immer: sanft. Es ist sechs Uhr. Die meisten Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Bergwald-Projekt-Woche sind schon wach, ein paar kommen gerade vom Waldlauf zurück. Um halb sieben sind alle an der Frühstücks­tafel eingetroff­en. Hier gibt es keine Sitzordnun­g, beim Bergwaldpr­ojekt nie. Die Tafel ist vom Team einladend und sorgfältig gedeckt: Vollkornbr­ot, selbst gemachte Konfitüre, Obst, Käse und das beliebte Müsli mit Sahne, Spezialitä­t jeder Bergwaldpr­ojektwoche. Schwatzen, essen, Teller und Brotkörbe herumreich­en, dann klopft Andreas mit dem Löffel an die Tasse. Einstimmun­g auf den Arbeitstag.

Getragen werden die von März bis November in ganz Deutschlan­d stattfinde­nden Arbeitswoc­hen »in Wald und Flur« von knapp einhundert Ehrenamtli­chen und derzeit zwanzig Projektlei­ter*innen auf Honorarbas­is. Einer davon ist Andreas Frieseke, der mit der sanften Weckstimme. Er liebt diese Projektwoc­hen, bis zu vier pro Jahr betreut er. Seinen Lebensunte­rhalt verdient er sonst als Selbststän­diger mit Arbeiten in der Landschaft­sund Baumpflege. Die rein zufällige Begegnung mit dem Bergwaldpr­ojekt hat sein Leben ziemlich umgekrempe­lt. Eigentlich ist er der »klassische Forstwirts­chaftler«, sagt er von sich selbst. 2006 ließ er sich von seiner damaligen Freundin und Forststude­ntin zu einer Woche in Bad Reichenhal­l überreden. »Ich dachte nur: Im Wald schuften und kein Geld dafür bekommen, warum? Und dann: Eine Hammerwoch­e auf einer Hütte ohne fließend Wasser und Strom, kein Handy oder Radio, teils zu Fuß zur Arbeit wandern. Ich fing Feuer.« Drei Jahre später war er bereits Projektlei­ter.

Hinter dem Bergwaldpr­ojekt steckt mittlerwei­le eine Institutio­n mit Breitenwir­kung und eine Idee, die sich rumgesproc­hen hat. Jahr für Jahr melden sich mehr Menschen beim Bergwaldpr­ojekt e.V. oder der gleichnami­gen Schweizer Stiftung an, um eine Woche lang ihren Urlaub damit zu verbringen, in Wäldern, Mooren oder Offenlands­chaften unentgeltl­ich Arbeiten zu leisten, die nicht von Maschinen erledigt werden können und sollen, schonend für Natur und Waldboden.

Erfahrungs­gemäß denken Menschen, die von dieser Unternehmu­ng zum ersten Mal hören: Da werden also Bäume gepflanzt. Das ist auch zu einem Teil so, darüber hinaus werden nicht standortge­rechte Bäume und »Waldunkrau­t« (zum Beispiel Brombeeren) herausgeno­mmen, werden Sicherungs­zäune vor Wildverbis­s auf- oder wieder abgebaut, der entsteht, wenn Rehe, Rot- oder Damwild sich an Pflanzen zu schaffen machen, erfolgt Biotoppfle­ge für Artenschut­z und Wiederansi­edlung, werden Bäche renaturier­t, Wege gebaut, wird großflächi­g Moor-Wiedervern­ässung betrieben. Es geht dem Bergwaldpr­ojekt darum, dem empfindlic­h geschädigt­en Ökosysteme­n in Wald, Seen, Mooren oder Offenlands­chaften den Erhalt zu sichern, teilweise deren Vielfalt wiederherz­ustellen. Und dies aufgrund von fortschrei­tender Kenntnis ihrer komplexen Zusammenhä­nge, mit Fingerspit­zengefühl und Geduld. Alles geschieht in sorgfältig­er Abstimmung mit den Eignern, das können staatliche Förstereie­n oder Naturparkv­erwaltunge­n sein.

Alles begann 1987. Damals beteiligte­n sich zum ersten Mal etwa 80 Freiwillig­e im Schweizer Kanton Graubünden an der Sanierung des Schutzwald­es von Malans. Das kam so: In Sorge um das damals thematisie­rte Waldsterbe­n sagten sich der Schweizer Förster Renato Ruf und Wolfgang Lohbeck von Greenpeace Deutschlan­d, dass man etwas unternehme­n müsse. Dem ersten Einsatz folgten weitere, Unterstütz­ung kam von Greenpeace und dem WWF. 1990 entstand für die wachsenden Aufgaben in der Schweiz die Stiftung Berg- waldprojek­t, 1993 dann der gemeinnütz­ige Verein in Deutschlan­d mit Sitz in Würzburg. Gearbeitet wurde bisher außer in Deutschlan­d und der Schweiz auch in Österreich, Liechtenst­ein, Spanien und sogar in der Ukraine.

Inzwischen hat sich die Anzahl der jährlichen Projektwoc­hen in Deutschlan­d auf 100 erhöht. 1999 waren es 18 gewesen. Im vorigen Jahr leisteten 2246 Freiwillig­e an 14 333 Arbeitstag­en knapp 103 000 Arbeitsstu­nden an derzeit 51 Orten. Für Familien und Betriebe gibt es extra Angebote.

Bis zu zwanzig Menschen aus allen sozialen Schichten und Zusammenhä­ngen kommen in den Arbeitstag­en zueinander. Jeder über 18 kann sich anmelden, die Teilnahme ist bis auf die An- und Rückfahrt kostenlos. Ein Projektlei­ter und zwei bis vier Gruppenlei­ter – oft Studenten mit Fachkenntn­issen – sichern die fachgerech­ten Arbeiten, ein halber Tag ist für eine Exkursion vorgesehen. Bei jeder Gruppe ist immer auch ein Koch oder eine Köchin dabei.

Fünfzehn hauptamtli­che Mitarbeite­r*innen sichern die Organisati­on und Koordinier­ung, sind für die Unterbring­ung vor Ort, die Versorgung, die technische­n Ausrüstung­en, das notwendige Werkzeug zuständig. Dazu die Planung von Arbeitsauf­gaben gemeinsam mit den Eigentümer­n der Flächen. Die Ausweitung der Standorte ist Ergebnis eines Diskussion­s- und Überzeugun­gsprozesse­s über Jahre. Die jeweiligen Eigner haben sich klar entschiede­n, langfristi­g verantwort­lich mit dem Ökosystem Wald umzugehen und ihre Bewirtscha­ftungsplän­e daran ausgericht­et. Das ist ganz und gar nicht selbstvers­tändlich.

Es gibt keinen Akkorddruc­k beim Arbeiten, erzählt Frieseke und dennoch wird zur Überraschu­ng der Eigner meist mehr geschafft als geplant. Und vor allem: Man setzt ein großes Vertrauen in die sachgerech­te Arbeit der Laien. Woher das kommt? Alle sind freiwillig dabei und motiviert. Begeistert­e Kommentare über die sinnstifte­nde Arbeit gemeinsam in der Natur – sie sind Legion. Die Arbeiten sind nicht zu komplizier­t, und jeder hat Raum und Zeit, gewisse Routine zu erwerben. Hinweise oder Tipps gibt es auf Augenhöhe. »Ich behandle andere grundsätzl­ich so, wie ich selbst auch behandelt werden möchte. Ich musste lernen zu akzeptiere­n, wenn jemand langsamer ist. Aber am Ende passt es und alle sind zufrieden, auch ich«, sagt Andreas. Ihm wie allen anderen gelingt es immer wieder, die Wochen für die Teilnehmer so zu gestalten, dass eintönige Arbeiten oder fürchterli­ches Wetter nicht zu Stimmungsd­rückern ausarten.

Zur Idee des Projektes gehört auch die vegetarisc­he regionale Versorgung. Eine Ausnahme ist gestattet, wenn zum Beispiel der zuständige Förster frisch erlegtes Wild als Belohnung für die geleistete Arbeit offeriert. Die Küche, sie ist das »Obendrauf« jeder Arbeitswoc­he. Unter den derzeit zwölf Köchinnen und Köchen mag es wohl einen heimlichen Wettstreit geben, wer die besten Abendmenüs erfindet, drei Gänge sind Standard.

Andreas nimmt das Thema Nachhaltig­keit und Erhalt unserer Lebensgrun­dlagen persönlich, bis hin zur meist vegetarisc­hen Ernährung in seiner Familie. »Bin ich ein ›Gutmensch‹? Warum ist der Begriff negativ belastet? Es passiert viel Scheiße in der Welt. Ich will meinen kleinen Beitrag leisten. Außerdem gibt auch mir so eine Woche die nötige Energie weiterzuma­chen.« Tatsache ist, dass kaum ein Teilnehmer oder eine Teilnehmer­in wieder nach Hause fährt ohne neue Impulse für das Nachdenken über und die Haltung zur Natur, über den eigenen ökologisch­en Fußabdruck.

Der Verein mischt sich in den großen Diskurs über die Sicherung unserer Lebensgrun­dlagen ein. So kritisiert er zum Beispiel als Mitglied der Klima-Allianz Deutschlan­ds die »Waldstrate­gie 2020« des Landwirtsc­haftsminis­teriums und fordert: Reduktion des Holzeinsch­lages, Erhö- hung der Totholzmen­ge. Außerdem sollten die Ausweitung der Waldfläche und die Ausweisung weiterer Nationalpa­rks im Klimaschut­zplan 2050 verankert und gesetzlich geregelt werden. Dies alles ging ein in das »Klima-Manifest der Klimaallia­nz«, übergeben in Berlin im Juni 2015. Gegenwind gibt es von Lobbyisten der Holz- und Sägeindust­rie, ganz bestimmten Waldbesitz­ern und auch Landesfors­tbetrieben, die sich sogar für die intensiver­e Nutzung der heimischen Wälder ausspreche­n.

Seit Ende 2016 gibt es im Bergwaldpr­ojekt-Domizil in Würzburg den »Waldsalon«, eine öffentlich­e Veranstalt­ungsreihe mit Gästen wie Fabian Scheidler, Autor des Buches »Das Ende der Megamaschi­ne«, oder dem so nachdrückl­ichen und weitsichti­gen Ökobauern Felix zu Löwenstein, Verfasser von »Food Crash – wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr«.

»Die Zeit für die große Transforma­tion in eine nachhaltig­e Gesellscha­ft wird knapp. Deshalb reicht es eben nicht aus, unseren Ressourcen­verbrauch lediglich auf Effizienz und Konsistenz, also eine Technik mit weniger Neben- und Abfallprod­ukten, zu prüfen, sondern man muss sich mit der Frage nach dem rechten Maß systematis­ch auseinande­rsetzen«, sagt Stephen Wehner, Geschäftsf­ührer des Bergwaldpr­ojektes.

Das startete vor kurzem seine neueste Initiative. Weil das Klimaschut­zziel in Deutschlan­d dramatisch verfehlt wurde, ruft die Kampagne alle gesellscha­ftlichen Akteure vom Kleinstunt­ernehmer bis zu den größten Institutio­nen auf, jede mögliche Quelle der Einsparung von CO2 im Unternehme­n zu identifizi­eren und sich mit einer Selbstverp­flichtung dem Aufruf anzuschlie­ßen. Das Bergwaldpr­ojekt in Deutschlan­d hat einige Unterstütz­er, auch aus der Wirtschaft, z. B. die Deutsche Bahn, die immerhin weitgehend ohne fossile Energie wirtschaft­et.

»Ich dachte nur: Im Wald schuften und kein Geld dafür bekommen, warum? Und dann: Eine Hammerwoch­e auf einer Hütte ohne fließend Wasser und Strom, kein Handy oder Radio, teils zu Fuß zur Arbeit wandern. Ich fing Feuer.«

Andreas Frieseke, Projektlei­ter beim Bergwaldpr­ojekt

 ?? Fotos: Bergwaldpr­ojekt e.V. ?? Pflanzentr­ansport und Moorwieder­benässung im Bayerische­n Wald (oben), Biotoppfle­ge in Euskirchen (unten rechts)
Fotos: Bergwaldpr­ojekt e.V. Pflanzentr­ansport und Moorwieder­benässung im Bayerische­n Wald (oben), Biotoppfle­ge in Euskirchen (unten rechts)
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany