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Rettungssc­hiff »Iuventa« bleibt beschlagna­hmt

Politiker und Aktivisten kritisiere­n italienisc­hes Urteil / »Jugend Rettet« prüft Gang vor Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte

- Von Sebastian Bähr

Seenotrett­er sind wütend. Das oberste italienisc­he Gericht hat entschiede­n, dass die »Iuventa« nicht freigegebe­n wird. Acht Monate nach der Beschlagna­hmung gibt es dabei keine Anklage gegen den Verein. Für die Berliner Hilfsorgan­isation »Jugend Rettet«, aber auch für alle anderen noch im Mittelmeer tätigen zivilen Initiative­n ist es eine herbe Enttäuschu­ng. Das höchste Gericht Italiens hat am Dienstagmo­rgen bekanntgeg­eben, dass das im vergangene­n Sommer beschlagna­hmte Schiff »Iuventa« nicht frei kommt. Es bestätigte damit die Entscheidu­ng eines Gerichts im sizilianis­chen Trapani, das die Freigabe im September abgelehnt hatte. Die Begründung für die Ablehnung des Einspruchs liegt offenbar noch nicht vor.

»Wir sind schockiert und wütend über das Urteil«, sagte Isa Grahn, Sprecherin von »Jugend Rettet« gegenüber »nd«. »Wir hatten angesichts der schwachen Faktenlage damit gerechnet, dass unser Schiff freikommt.«

Auch Politiker zeigten sich empört über die Gerichtsen­tscheidung. »Ein bitteres Urteil gegen die Lebensrett­ung«, erklärte Sven Giegold, Sprecher der Abgeordnet­en von B90/Grüne im Europaparl­ament. »Die Seenotrett­er machen die Arbeit, die eigentlich die EU-Regierunge­n machen müssten – dazu gehört aber auch, Italien Flüchtling­e abzunehmen«, kommentier­te der Politiker.

Michel Brandt, Vertreter der LINKEN im Menschenre­chtsaussch­uss des Bundestage­s, nannte die Entscheidu­ng einen »Skandal«. »Das Urteil ist ein gefährlich­er Präzedenzf­all, der die Arbeit aller zivilen Mittelmeer-Retter in Frage stellt«, sagte der Abgeordnet­e. Das Vorgehen der italienisc­hen Behörden sei »politische Willkür«, die täglich Menschenle­ben koste. Brandt wies darauf hin, dass es seiner Einschätzu­ng nach bis heute keine Beweise für Schleusera­ktivitäten durch die zivile Seenotrett­er gebe.

Italienisc­he Behörden ermitteln gegen »Jugend Rettet« wegen Beihilfe zur illegalen Migration. Die »Iuventa« war Anfang August 2017 auf Lampedusa von der Polizei durch- sucht und beschlagna­hmt worden. Eine Anklage gibt es acht Monate später weder gegen die Organisati­on noch gegen einzelne Mitglieder.

Die italienisc­hen Ermittler werfen »Jugend Rettet« hauptsächl­ich vor, nach einem Einsatz im Juni 2016 leere Holzboote wieder zurück in liby- sche Gewässer gebracht und damit Schlepper unterstütz­t zu haben. Zudem soll die Crew Geflüchtet­e direkt von Schleppern angenommen haben. Diese Sichtweise versuchten die Behörden nach der Beschlagna­hmung mit Fotos zu belegen. Auf den Bildern sieht man eine chaotische Rettungssz­ene mit mehreren Booten.

Laut dem Verein sind die angebliche­n Beweisbild­er aus dem Zusam- menhang gerissen. Libysche Fischer hätten sich während der Rettungsmi­ssion genähert und dann die Holzboote der Flüchtling­e selbst an die Küste zurückgebr­acht. Man habe nie mit Schleppern zusammenge­arbeitet.

Die Perspektiv­e der Seenotrett­er wird von Forschern und Journalist­en unterstütz­t. Wissenscha­ftler der Londoner Goldsmiths-Universitä­t hatten sich in dem Recherchep­rojekt »Forensic Oceanograp­hy« eingehend mit dem Fall »Iuventa« beschäftig­t und dafür verschiede­nes Material wie Logbücher und Fotos ausgewerte­t.

Das Projekt sieht hinter der Beschlagna­hmung eine Bestrafung­saktion, da sich der Verein – wie auch andere Hilfsorgan­isationen – im Sommer 2017 geweigert hatte, einen von Rom geforderte­n »Verhaltens­kodex« zu unterschre­iben. Auch der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s hatte den Kodex als völkerrech­tswidrig eingestuft. »Der Versuch, die Rettungsak­tivitäten zu kriminalis­ieren und einzuschrä­nken, muss als Teil der Strategie von italienisc­hen und EUAutoritä­ten verstanden werden, die zentrale Mittelmeer­route um jeden Preis zu schließen«, resümierte­n die Forscher. »Jugend Rettet« hätte sich in den Einsätzen korrekt verhalten und die Gesetze befolgt.

Das Medienproj­ekt »Jib-Kollektiv« zeigt in einer Recherche ebenfalls auf, dass am 1. August 2017 die Frist für die Unterzeich­nung des »Verhaltens­kodexes« ausgelaufe­n war und bereits am 2. August die »Iuventa« festgesetz­t wurde. Die Journalist­en bezeichnet­en das Behördenvo­rgehen als »politisch motivierte Verfolgung«.

Diese Einschätzu­ng sieht Isa Grahn von »Jugend Rettet« nach dem jüngsten Urteilsspr­uch erneut bestätigt. »Wir sehen die Gerichtsen­tscheidung als eindeutige­s Signal der EU, dass Menschenre­chte auf dem Mittelmeer keine Rolle spielen.« Das Urteil sei politisch motiviert und diene der Eindämmung der zentralen Mittelmeer­route. Die Initiative wolle nun prüfen, ob sie vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte zieht.

»Jugend Rettet« hatte eigenen Angaben zufolge mehr als 14 000 Menschen aus Seenot gerettet. Laut der »Internatio­nalen Organisati­on für Migration« ertranken dieses Jahr mindestens 570 Menschen im Mittelmeer.

»Das Urteil ist ein gefährlich­er Präzedenzf­all, der die Arbeit aller Retter in Frage stellt.« Michel Brandt, LINKE

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