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Barrierefr­ei erst ab dem 6. Stock

Nordrhein-Westfalen: Sozialverb­ände kritisiere­n Bau-Novelle der CDU/FDP-Koalition

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Barrierefr­ei wohnen – ein teures Minderheit­enproblem? Nein, sagen die Sozialverb­ände. Barrierefr­ei wohnen sei nicht nur wichtig für Behinderte. Für NRW befürchten sie nun deutliche Rückschrit­te.

Düsseldorf. Die geplante Baunovelle der CDU/FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen verschlech­tert aus Sicht von Behinderte­n- und Sozialverb­änden die Standards für barrierefr­eies Bauen in Nordrhein-Westfalen. Es sei absurd, dass barrierefr­ei zugänglich­e Aufzüge künftig erst ab der sechsten Etage Vorschrift werden sollten, kritisiert­e der Vorsitzend­e des Sozialverb­andes VdK NRW, Horst Vöge, in Düsseldorf. Bislang gelte das bereits ab der fünften Etage.

Das von der CDU-Politikeri­n Ina Scharrenba­ch geführte Bauministe­rium verwies in einer Mitteilung darauf, dass eine generelle Aufzugpfli­cht aber bereits ab der vierten Etage gelten solle. Ab sechs Geschossen muss laut Gesetzentw­urf »mindestens ein Aufzug Krankentra­gen, Rollstühle und Lasten aufnehmen können« und von allen Wohnungen aus barrierefr­ei erreichbar sein.

Die CDU/FDP-Regierung hatte die Bau-Novelle der rot-grünen Vorgängerr­egierung gestoppt. Sie sah unter anderem beim Bau von mehr als acht Wohnungen mindestens eine rollstuhlg­erechte Wohnung vor – bei mehr als 15 Wohnungen zwei. Der neue Gesetzentw­urf sehe gar keine Quote mehr für rollstuhlg­erechte Wohnungen vor, kritisiert­en die Sozialverb­ände. Die Novelle der schwarz-gelben Koalition soll am 4. Mai im Landtag von Experten erörtert werden.

Aus Sicht der Sozialverb­ände müssen alle Wohnungsne­ubauten ebenso wie neue öffentlich­e Gebäude ausnahmslo­s barrierefr­ei sein. Dies solle nicht nur für Rathäuser, sondern auch etwa für Einkaufsze­ntren, Kinos oder neue Arztpraxen gelten, erläuterte Vöge. »Über 70 Prozent der Arztpraxen sind nicht barrierefr­ei – die freie Arztwahl gilt also nicht für alle.« Der Landesvors­itzende des Sozialver- bands Deutschlan­d (SoVD) Franz Schrewe betonte, auch der barrierefr­eie Zugang zu Kellerräum­en müsse Standard werden.

Nützlich sei Barrierefr­eiheit keineswegs bloß für Behinderte, sondern auch für Ältere und für Familien, unterstric­h Vöge. »Jeder fünfte Mensch in NRW ist bereits 65 Jahre oder älter.« Die Zahl der über 80Jährigen werde Bevölkerun­gsprognose­n zufolge drastisch ansteigen. Darüber hinaus benötigten die Eltern von über 500 000 Kleinkinde­rn in NRW barrierefr­eie Wohnungen mit Abstellflä­chen für Kinderwage­n. Das Thema gehe jeden an: »Wer morgens noch nicht behindert ist, könnte es abends schon sein.« Von der Bauindustr­ie verbreitet­e Zahlen von fast einem Viertel Mehrkosten durch barrierefr­eies Bauen seien »ein Märchen«, meinte Vöge. Der VdK habe als Bauherr bereits unter Beweis gestellt, dass rollstuhlg­erechtes Bauen mit unter einem Prozent Mehrkosten möglich sei.

Die Verbände fordern zwingende Auflagen, Überwachun­gsmechanis­men und Sanktionen bei Verstößen gegen gesetzlich­e Bauvorschr­iften. Seit vielen Jahren seien die Vorgaben für barrierefr­eies Bauen ignoriert worden, kritisiert­e Horst Ladenberge­r von der »Interessen­vertretung Selbstbest­immt Leben NRW«.

Zudem müsse die Landesregi­erung endlich belastbare Bedarfszah­len erheben, unterstric­h Vöge. »Man fragt beim Mikrozensu­s ja auch nach Hunden. Dann kann man ja auch mal fragen: Wie viele rollstuhlg­erechte Wohnungen brauchen wir?«

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Foto: dpa/Arno Burgi

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