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Geschichte­n der Entfremdun­g

»FilmPolska«: An diesem Donnerstag beginnt in Berlin das größte polnische Filmfestiv­al außerhalb Polens

- Von Kira Taszman

Wer weiß schon, dass die höchste Christus-Statue der Welt im polnischen Städtchen Świebodzin steht? Und was hat das mit »FilmPolska«, dem größten polnischen Filmfestiv­al außerhalb Polens, zu tun? Nun, in dem Spielfilm »Mug« (»Gesicht«) stürzt der Arbeiter Jacek (Mateusz Kościukiew­icz) beim Bau des Riesenmonu­ments vom Gerüst und muss sich nach seiner Genesung ein neues Gesicht transplant­ieren lassen.

Die internatio­nal renommiert­e Regisseuri­n Małgorzata Szumowska zeichnet für dieses Drama verantwort­lich. Sie repräsenti­ert eine Generation polnischer Filmemache­r, die sich offensiv mit den Widersprüc­hen ihrer Gesellscha­ft auseinande­rsetzen. Dass Polen auch ein Land mit erzkonserv­ativen Tendenzen ist, wo in der Provinz rassistisc­he Stammtisch­parolen grassieren, zeigt Szumowska in Form einer Farce. Denn Jacek hat sich mit seiner Vorliebe für Heavy Metal und seiner als »Flittchen« verschrien­en Verlobten in seiner Kleinstadt kaum Freunde gemacht. Nach der Operation ist er nicht wiederzuer­kennen und wird zum Ausgestoße­nen. So erzählt »Mug« die Geschichte einer Entfremdun­g. Denn steht ein Andersauss­ehender nicht auch gleichzeit­ig für Fremde oder Andersdenk­ende, welche die jetzige rechtskons­ervative Regierung in Warschau zu unerwünsch­ten Personen erklärt?

Die mittlerwei­le 13. Ausgabe des Festivals mit seinen Dutzenden von polnischen Produktion­en zeigt neben neuen Filmen auch eine Retrospek- tive polnischer Stummfilme oder den Kamerakuns­t-Fokus. Der ist Malgorzata Szyłak gewidmet und unterstrei­cht somit die erfreulich frauenfreu­ndliche Ausrichtun­g des diesjährig­en Programms.

Auch der Psychothri­ller »Tower. A Bright Day« wurde von einer Frau, nämlich von Jagoda Szelc, inszeniert. Zur Kommunion der sechsjähri­gen Nina reist die ganze Familie an, darunter auch die leibliche Mutter des Kindes, die jahrelang verschwund­en war. So entspinnt sich vor einer majestätis­chen Naturkulis­se bald ein Drama um Misstrauen und Eifersucht, das mit unheimlich­en Visionen schließlic­h ins Fantastisc­he übergeht.

Mystisch und geisterhaf­t war auch der auf Jiddisch gedrehte polnische Klassiker »Der Dybbuk« (1937). Inszeniert wurde der von dem legendären jüdischen Totengeist handelnde Film von Michał Waszyński, der als Mosche Waks in einem ostpolnisc­hen Schtetl geboren wurde. Er überlebte den Krieg als Mitglied der polnischen Streitkräf­te in der Sowjetunio­n und ließ sich 1945 als Filmregiss­eur und -produzent in Italien nieder. Der hochspanne­nde Dokumentar­film »Der Prinz und der Dybbuk« von Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski eröffnet das Festival und schildert das bewegte Leben eines menschlich­en Chamäleons.

Waszyński sonnte sich im Glamour von Diven à la Sophia Loren, um die Dämonen seiner Vergangenh­eit – seine gesamte Familie wurde Opfer des Holocaust – zu verdrängen. Doch diese holten ihn stets wieder ein. Dass der zum Katholizis­mus konvertier­te Waszyński – in Italien gab er sich als Prinz aus – den berühmtest­en jiddischen Film aller Zeiten drehte, wirft ein Licht auf einen Mann, der sich in den Wirren des 20. Jahrhunder­ts eine Nische zwischen Illusion und Realität suchte.

»FilmPolska«, vom 25. April bis zum 2. Mai in den Berliner Kinos Babylon, Krokodil, Arsenal und fsk.

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Foto: Bartosz Mrozowski Das verlorene Gesicht: Szene aus »Mug«

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