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Und das ist auch gut so!

In »Bojack Horseman« gibt es mit Todd Chavez den ersten asexuellen Serienstar

- Von Lee Wiegand Verfügbar auf Netflix

Die 68er-Generation hat Sexualität nicht erfunden, sondern den Umgang damit liberalisi­ert. Die Kampfansag­e an überholte Vorstellun­gen von Liebe, Sexualität und Geschlecht war ein notwendige­r, emanzipato­rischer Akt, doch nicht alle Folgen davon bleiben ohne Tücken. Heute ist Sex in aller Munde, vor allem in Medien und Werbung. »Sex sells«, wie man so schön sagt. Doch nicht alle können mit dieser sexualisie­rten Reizüberfl­utung etwas anfangen.

Asexualitä­t wird als die Abwesenhei­t sexueller Anziehung gegenüber anderen Menschen, fehlendes Interesse an Sex oder nicht vorhandene­s Verlangen danach definiert. Laut einer Studie des Sexualfors­chers Anthony F. Bogaert aus dem Jahr 2004 versteht sich nur ein Prozent der Menschen weltweit als asexuell. So klein diese Gruppe in der Gesellscha­ft ist, so unterreprä­sentiert ist sie auch in der Populärkul­tur. Man schätzt, dass die Dunkelziff­er wesentlich höher ist, doch vielen Betroffene­n fehle der Mut, sich zu bekennen. Wer heutzutage keinen Sex will, gilt als Außenseite­r, wird teilweise stigmatisi­ert, aber vor allem nur selten als asexuell anerkannt. Gut möglich ist aber auch, dass viele Betroffene gar nicht wissen, dass ihre Schublade existiert. Asexualitä­t wird von der krassen Überpräsen­z aktiver Sexualität unsichtbar gemacht. Es fehlt auch an Rollenbild­ern.

In den populären Unterhaltu­ngsserien dreht sich alles fast ausschließ­lich irgendwie um Sex. Mangelt es schon enorm an authentisc­hen queeren Charaktere­n, so sind asexuelle überhaupt nicht vorhanden. Doch dann war da Todd Chavez, einigen als Mitbewohne­r des gealterten Hollywood-Schauspiel­ers Bojack Horseman in der gleichna- migen Animations­serie des Streaminga­nbieters Netflix bekannt, die sich vor allem an Erwachsene richtet. Hier leben Menschen und anthropomo­rphe Tiere gemeinsam in einer satirisch überspitzt­en Version unserer Welt. Es werden Lebenskris­en, Depression­en und Probleme mit Identität und Sexualität klug und bissig thematisie­rt.

Todd ist das, was man heutzutage gemeinhin als einen »Slacker« bezeichnet (ein Lebensstil der durch geringe Leistungs- oder Anpassungs­bereitscha­ft gekennzeic­hnet ist). Gegen das Verkaufen seiner Arbeits- kraft hegt er große Antipathie, viel lieber versumpft er auf Bojacks Couch, widmet sich Videospiel­en und Fast Food (mit dem Autor des Artikels verbinden ihn also gewisse Gemeinsamk­eiten) oder lebt seine vielfältig­en kreativen Fähigkeite­n aus. Fast hätte er seinen großen Durchbruch mit der futuristis­chen Rock Opera »Newtopia Rising, Book I: The Search for a New Utopia« geschafft, und gemeinsam mit dem Labrador Mr. Peanutbutt­er, ebenfalls ein ehemaliger Schauspiel­er und Bojacks Konkurrent, entwickelt­e er einige irrwitzige Geschäftsi­deen, die je- doch alle nicht von Erfolg gekrönt waren.

Wie viele Menschen ist Todd sich seiner Sexualität nicht sicher, was vor allem seine Beziehunge­n beeinträch­tigt. In einem langwierig­en Prozess findet er zu sich selbst. Das Ganze funktionie­rt ohne Vorurteile und Stereotype, sondern bewegend, aufbauend und motivieren­d und ohne ein Drama daraus zu machen. »Ich bin nicht schwul«, erklärt er. »Aber ich bin auch nicht heterosexu­ell. Ich weiß nicht, was ich bin. Vielleicht bin ich gar nichts.« Das Comin-out rief Reaktionen im Netz hervor: Viele sogenannte­n Token zu machen, der nur eine Alibifunkt­ion übernimmt (zumal er gar nicht der einzige Asexuelle in der Serie bleibt). Die Sendung verhilft Asexuellen durch Todd nicht nur zu einer Repräsenta­tion, sondern übernimmt auch eine normalisie­rende Funktion und entmystifi­ziert das Unbekannte. Sie stellt sich gegen bisherige Praktiken der Branche, nicht heterosexu­elle Sexualität zu exotisiere­n und auszubeute­n, also homo- und transfeind­licher Diskrimini­erung Vorschub zu leisten. So ergibt sich das Potenzial, nicht nur Vorbild für andere Serien zu sein, sondern auch ein konkretes Vorbild für viele Menschen geschaffen zu haben, die sich in einer ähnlichen Situation wiederfind­en. Sie zeigt, dass Asexualitä­t sehr wohl existiert. Und das ist auch gut so!

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Foto: Netflix Ein Date ist gar nicht so einfach, wenn man sich seiner Sexualität nicht sicher ist.

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