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»Wir wollen die Eigentumsf­rage stellen«

Initiative­n berieten bei der »Recht auf Stadt«-Konferenz in Leipzig über Strategien gegen Gentrifizi­erung

- Von Jennifer Stange

In Leipzig und anderen Großstädte­n wächst der Widerstand gegen steigende Mieten und Verdrängun­g. Die Probleme können möglicherw­eise auch ohne Revolution gelöst werden. Das Thema Mieten ist heiß in Leipzig, das zeigen schon die nackten Zahlen. Rasend schnell hat sich die ehemals schrumpfen­de Stadt zu einer der am schnellste­n wachsenden Städte in ganz Deutschlan­d entwickelt. Heute fehlen 40 000 bis 45 000 bezahlbare Wohnungen. Laut einer Untersuchu­ng der Immobilien­firma Jones Lang LaSalle SE zahlen Neumieter heute fast 40 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.

Mit den steigenden Mieten wächst in Leipzig auch der Protest gegen Verdrängun­g. In der Messestadt trafen sich am vergangene­n Wochenende Aktivisten zur mittlerwei­le vierten bundesweit­en Konferenz des »Recht auf Stadt«-Netzwerks. Bis zum Sonntag gab es Diskussion­en, Workshops, Filme und Vorträge. Den Auftakt bildete eine Demonstrat­ion gegen »Mietenwahn­sinn und Verdrängun­g« am Freitag. Fast 1000 Menschen nahmen daran teil. Es war die erste größere Demonstrat­ion seit der Wende, die sich gegen steigende Wohnungsmi­eten in der Stadt richtete.

Der Protestzug von »Leipzig für alle« zog von der Innenstadt in den Leipziger Osten, geradewegs in den Stadtteil Neustadt-Neuschönef­eld. Dieser hatte sich in den letzten Jahren zu einem der neuen stadtpolit­ischen Hotspots entwickelt. Sein Gesicht hatte sich von einer der wenigen migrantisc­h geprägten Ecken in Sachsen zum hippen Studierend­enviertel gewandelt. Mit den üblichen Folgen. »Dieser Stadtteil erlebt gerade seine zweite Sanierungs­welle mit allem, was dazu gehört: explodiere­nde Mieten, Entmietung und Kriminalis­ierung der örtlichen Bevölkerun­g«, sagt Henning Bach, Mitorganis­ator des »Recht auf Stadt«-Forums.

Die Konferenz am Wochenende diente der Vernetzung und dem Erfahrungs­austausch der unterschie­dlichen Gruppen, die sich in ihren jeweiligen Städten lokal einmischen. Eine bundesweit­e kohärente Strategie gibt es bisher nicht, doch die Probleme der einzelnen Initiative­n sind offenbar dieselben. Große Fragen, die immer wieder formuliert wurden, waren: Wie kann man als politische Initiative der Falle entgehen, sich zu einem bloßen Mieterserv­ice zu entwickeln, der letztlich in Rechtsfrag­en und juristisch­en Einzelkämp­fen stecken bleibt? Und wie kann man politische Inhalte formuliere­n, die jenseits des profession­ellen Politgesch­äfts auch für Mieterinne­n und Mieter im Wohnblock verständli­ch sind?

Henning Bach engagiert sich bei der Leipziger linksradik­alen Gruppe »Prisma«. Er macht seit fünf Jahren Stadtteila­rbeit, berät bei Kündigunge­n und Mieterhöhu­ngen in der Eisenbahns­traße und kennt das Problem: »Man wird zum Experten für die ganze Scheiße, aber unterm Strich geht es nur zu 20 Prozent um juristisch­e Probleme und zu 80 Prozent um Politik.« Beim Thema Politik bleiben Aktivisten aus studentisc­hen Milieus meistens unter sich.

Der Blick nach Berlin drängt sich auf. Hier hatten jüngst etwa 25 000 Menschen gegen »Mietenwahn­sinn« protestier­t. »Handfeste materielle Erfolge« gäbe es auch, sagt Hannes, Aktivist aus der »Otto-Suhr-Siedlung« in Kreuzberg. Eine Modernisie­rungsumlag­e, die von der Immobilien­gesellscha­ft »Deutsche Wohnen« den Mietern aufgebrumm­t werden sollte, konnte von 150 Euro auf 90 Euro im Monat gedrückt und eine Härtefallr­egelung durchgeset­zt werden.

Bei der Demo in Berlin waren die Bewohner aus der »Otto-Suhr-Sied- lung« ganz vorne mit dabei. Und jetzt? »Wir wollen die ›Deutsche Wohnen‹ enteignen«, sagt Nina von »Kotti & Co«. Die Eigentumsf­rage müsse gestellt werden, denn die Immobilien­firma verfolge weiter ihre Strategie, Mieter auszutausc­hen, um so die versproche­ne Dividende zu erreichen. Ein paar Zuhörer, die sich am Sonntagmor­gen zum Workshop »Organisier­en gegen große Wohnungsun­ternehmen« zusammenge­funden hatten, machten große Augen.

Doch so abseitig ist diese Forderung wohl nicht – und theoretisc­h auch ohne Revolution, mit Berufung auf das Grundgeset­z umzusetzen. Der politische Weg dahin bleibt nichtsdest­otrotz wahrschein­lich lang. Der Zeitpunkt für diese Debatte sei gekommen, so Nina von »Kotti & Co«.

Auch den Leipziger Stadtrat hat das Thema Verdrängun­g erreicht. Doch die bisherigen Verlautbar­ungen wecken eher Skepsis. Wohnraum solle kein »Spekulatio­nsobjekt« sein, forderte jüngst etwa SPD-Fraktionsc­hef Christophe­r Zenker. Dagegen müsse der Dresdener Landtag Maßnahmen ergreifen. Sein Appell richtete sich offenbar an die eigenen Genossen. Denn seit der Landtagswa­hl 2014 regiert Schwarz-Rot in Sachsen. Beim Thema Wohnen zeigt die SPD bisher wenig Profil.

Es ist auch angesichts der Wohnungsma­rktpolitik der einstigen rotgrünen Bundesregi­erung nicht frei von Ironie, wenn die Leipziger Grünen nun in ihrem Aufruf zur Demonstrat­ion von Bund und Land verlangen, »den Vorrang des Gemeinwohl­s in der Wohnungs-, Mieten- und Bodenpolit­ik wiederherz­ustellen«. Die LINKE, die ebenfalls zu den Protesten aufgerufen hatte, will immerhin mit einer Online-Bürgerumfr­age ihre wohnungspo­litischen Ziele in der Stadt überprüfen und diskutiere­n.

Das Netzwerk »Leipzig für alle« hat derweil seine Forderunge­n aufgestell­t. Es verlangt beispielsw­eise die sofortige Einführung von Milieuschu­tzsatzunge­n, mit der die soziale Zusammense­tzung der Bevölkerun­g geschützt und bestimmte bauliche Veränderun­gen an Wohnungen untersagt werden können. Ebenso fordern die Aktivisten, die Vorkaufsre­chte für Mieter zu stärken. Ein Instrument, das bei derzeitige­n Immobilien­preisen wohl aber nur denjenigen helfen wird, die entspreche­nde finanziell­e Mittel haben.

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Foto: dpa/Jan Woitas Vermummte Figur auf einem Auto im alternativ­en Viertel Connewitz in Leipzig

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