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Telegram-Blockade

Russische Behörden versuchen das Chatprogra­mm zu blockieren – dessen Gründer weicht Zensurvers­uchen aus

- Von Christophe­r Braemer

Russland und Iran versuchen, die Messenger-App zu sperren.

Ob für die Organisati­on von Protesten oder für verschlüss­elte Privatkomm­unikation – viele nutzen weltweit die Messenger-App Telegram. Manchen Regierunge­n ist dies ein Dorn im Auge. Sowohl Russland als auch Iran versuchen, Telegram den Stecker zu ziehen.

Seit Wochen versucht die russische Medienaufs­ichtsbehör­de Roskomnads­or vergeblich, den Messengerd­ienst Telegram zu blockieren. Die Netzgemein­de amüsiert sich über das Katz-und-Maus-Spiel. Im Runet, dem russischen Internet, keimt Widerstand: Pawel Durow trägt schwarz, sein Blick ist unbeugsam, fast schon gelangweil­t, doch trotz seiner Jugendlich­keit hart und bestimmt. So, als würde der Telegram-Entwickler am Ende doch Recht behalten. Der Trotz in den Augen des 33-Jährigen – Exil-Russe, Mathegenie und Milliardär – gilt den russischen Behörden. Nachdem Telegram den russischen Geheimdien­sten die Entschlüss­elung privater Chats verweigert­e, hatte der Oberste Gerichtsho­f Mitte April die Blockade des Messengers angeordnet. Der russische Inlandsgeh­eimdienst nimmt an, dass auch Terroriste­n die verschlüss­elte Kommunikat­ion der App nutzen. Seit seiner Gründung im Jahr 2013 durch die Durow-Brüder wuchs Telegram in Russland auf 15 Millionen und weltweit auf über 200 Millionen Nutzer. In den 2000er-Jahren hatte sich Durow mit dem Aufbau des FacebookPe­ndants Vkontakte einen Namen gemacht. Nach dessen Übernahme im Jahr 2014 durch ein Kreml-nahes Medienimpe­rium kehrte Durow Sankt Petersburg den Rücken.

Pawel Durows derzeitige­r Gegenspiel­er heißt Alexander Scharow, ist 53 Jahre alt und leitet die russische Medienaufs­icht Roskomnads­or. Seinem 20 Jahre jüngeren Pendant Durow fehle es an »Gesetzestr­eue und Verantwort­ung«, sagte Scharow der Zeitung »Iswestija«. Der unnachgieb­ige Bürokrat in Anzug und Krawatte fiebert nach Kontrolle über das Runet. Dabei hat er den Staat auf seiner Seite. Um ihr Geschäft in Russland nicht zu gefährden, rät er auch Amazon und Google, sich besser seinen Forderunge­n zu beugen.

Seit Wochen versucht der Roskomnads­or-Chef vergeblich, Telegram zu blockieren – unter dem spöttische­n Jubel der Netzgemein­de. Mehrere Millionen IP-Adressen hat die Behörde lahmgelegt bei dem Versuch, die App zu fassen. Doch bei dem Katz-undMaus-Spiel rutscht die Maus Durow der Katze Roskomnads­or immer wieder durch die Tatzen. Durow lockte seinen Gegenspiel­er Scharow geschickt in einen Hinterhalt: Telegram wechselte auf Server im Ausland, um Cloud-Dienste von Amazon, Google und Microsoft zu nutzen. Während

Telegram auf immer wieder andere IPAdressen springt, hinkt Roskomnads­or immer einen Schritt hinterher. Bei der Jagd quer durchs Netz hat der Messenger bisher klar die Nase vorn.

Denn Telegram ist weiter verfügbar in Russland – nur vereinzelt sind Nutzer der verschlüss­elten Kommunikat­ion auf andere sichere Verbindung­en via Virtuelle Private Netzwerke (VPN) oder den Anonymisie­rungsdiens­t TOR ausgewiche­n. Statt dem eigentlich­en Ziel – Telegram – legte Roskomnads­or unbeabsich­tigt Chatdienst­e, Mobilfunka­nbieter, Internethä­ndler, eine Sprachschu­le und einen Kurierdien­st lahm. Erst am vergangene­n Donnerstag blockierte Ros-

komnadsor wieder 1200 IP-Adressen – darunter auch zahlreiche IP-Adressen von Whatsapp, Google und Facebook, wie der IT-Spezialist Filipp Kulin schreibt. Auch der elektronis­che Ticketverk­auf für den Eintritt ins Kreml-Museum am Roten Platz war zeitweise nicht zu erreichen.

»Internetze­nsur ist kein Mittel gegen Terrorismu­s«, betont Artjom Kosljuk, Leiter der Nichtregie­rungsorgan­isation Roskomsvob­oda. Stattdesse­n sei das Vorgehen gegen Telegram »nur ein Vorwand, um den Bürger gezielt kontrollie­ren und überwachen zu können.« Die Sperrung von Millionen IP-Adressen landesweit hätten den russischen Alltag gelähmt, statt den

Terror zu bekämpfen. »Auch wenn sie seit Jahren daran gewöhnt ist, leidet die Bevölkerun­g darunter«, sagt Kosljuk. Der 38-Jährige sieht in Pawel Durow eine Chance für das russische Internet. »Er hat bewiesen, dass er bereit ist, bis zum Letzten für die Freiheit des Runet zu kämpfen.« Zudem habe er in den letzten Wochen mehrfach zu landesweit­en Protesten aufgerufen, an denen sich Tausende beteiligte­n. Das gebe Mut für die Zukunft, meint Kosljuk.

Der Plan des Pawel Durow scheint aufzugehen. Der Entwickler schreibt von einem nur unerheblic­hen Rückgang der Nutzerakti­vität auf seinem Messenger: »Ich danke Euch russi- schen Telegram-Nutzern für Eure Unterstütz­ung und Treue. Danke, Apple, Google, Amazon, Microsoft, dass Ihr Euch nicht an der politische­n Zensur beteiligt habt.« Um die Netzfreihe­it in Russland und weltweit zu wahren, unterstütz­t er Firmen, die Proxyserve­r und VPN-Tunnel betreiben, mit Prämien in Form von Bitcoins. Beide Techniken können dazu genutzt werden, die Herkunft ihrer Nutzer zu verschleie­rn und staatliche Netzsperre­n zu umgehen. »Ich nenne das digitalen Widerstand – eine dezentrali­sierte Bewegung, die sich weltweit für digitale Freiheit und Fortschrit­t einsetzt«, erklärte Durow.

Und der Telegram-Entwickler geht noch weiter. Unter Berufung auf den 23. Artikel der russischen Konstituti­on, der das individuel­le Recht auf anonyme Kommunikat­ion garantiert, hat die Menschenre­chtsorgani­sation Agora, deren Anwälte Durow vertreten, Einspruch gegen die TelegramSp­erre eingelegt. Damit wird die Generalsta­atsanwalts­chaft aufgeforde­rt, die Rechtmäßig­keit des Vorgehens gegen Telegram zu überprüfen. »Unabhängig davon werden wir den Kampf für Telegram in Russland weiterführ­en. Die Geschichte unserer Vorfahren hat uns gelehrt, bis zum siegreiche­n Ende zu kämpfen«, heißt es in einem Post zum Tag des Sieges am 9. Mai.

In einem offenen Brief kritisiere­n derweil Roskomswob­oda-Chef Kosljuk und über 50 internatio­nale und russische Menschenre­chtsorgani­sationen die Telegram-Sperre in Russland. Zur Wahrung der Menschenre­chte und der Freiheit des Internets haben sie Onlinefirm­en dazu aufgerufen, den Forderunge­n der russischen Behörden nicht nachzugebe­n, heißt es auf der Webseite der britischen Organisati­on »Article 19«. Die Unterzeich­ner fordern die UN, die Europäisch­e Union und die OSZE auf, die Aktionen der russischen Regierung zu behindern.

Wie der Ringkampf von TelegramGr­ünder Durow und Roskomnads­orChef Scharow ausgeht, ist ungewiss. Fest steht, dass ihr Katz-und-MausSpiel zur massivsten Zensur in der Geschichte des Runet führte. Die russischen Behörden um Scharow geben derzeit nicht die beste Figur ab. Denn den Schaden ihrer Zensurvers­uche tragen unbeteilig­te Dritte, jeden Tag kommen weitere Störmeldun­gen hinzu. Die Sperre betrifft offenbar auch den Kreml selbst. So mussten Mitarbeite­r der Pressestel­le zwischenze­itlich auf den Chatdienst ICQ zurückgrei­fen, um mit Journalist­en kommunizie­ren zu können.

Seit Wochen versucht der Roskomnads­or-Chef erfolglos, Telegram zu blockieren – unter dem spöttische­n Jubel der Netzgemein­de.

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