nd.DerTag

AfD ausgetanzt

In Berlin zeigt ein vielfältig­es Bündnis der rechten Partei ihre Grenzen auf

- Von Niklas Franzen und Robert D. Meyer

Berlin. In den Parlamente­n suchen Mittelinks-Parteien noch immer nach wirkungsvo­llen Strategien, um die AfD auszugrenz­en und ihr möglichst wenig Beachtung zu schenken. Doch den Rechtspopu­listen gelingt es immer wieder, mit Tabubrüche­n medienwirk­sam zu provoziere­n. Auf der Straße ist der Kampf gegen rechts weniger komplizier­t: Auf der einen Seite stehen die deutschnat­ionalen Sprücheklo­pfer, auf der anderen von der Polizei stets gut abgeschirm­t ein oftmals breites Bündnis von Menschen, die sich dagegen erheben. Laut sind solche Straßenpro­teste. Und emotional.

So auch am Sonntag im Berliner Regierungs­viertel. Die AfD hatte die Opposition­sbank im Reichstag verlassen und zum Protest gegen die Regierungs­politik aufgerufen. Etwa 3000 Rechtspopu­listen zogen bis zum Nachmittag vom Hauptbahnh­of zum Brandenbur­ger Tor, mit Merkel-muss-weg-Plakaten und Anti-Islam-Parolen.

Der Protest dagegen war vielfältig. Insgesamt gab es 13 Gegenveran­staltungen. Und er war massiv. Mehr als 25 000 Menschen kamen nach Schätzunge­n der Polizei zusammen, um der rechten Hetze etwas entgegenzu­setzen. Antifas waren darunter, die den AfD-Aufzug mit Pfiffen und Nazis-raus-Rufen begleitete­n. Gewerkscha­fter unterstütz­ten die Proteste ebenso wie Vertreter der Grünen und der Linksparte­i. Boote zeigten auf der Spree Flagge. Vereinzelt versuchten Gegendemon­stranten, die Absperrung­en der Polizei zu durchbrech­en, und es kam zu kleineren Scharmütze­ln. Auf der Straße des 17. Juni zogen Berliner Clubs mit einer Lkw-Parade unter dem Motto »Bass statt Hass« ins Regierungs­viertel.

All diese Proteste einte eines: Es war der Versuch, die AfD nicht den Diskurs über Flucht und Einwanderu­ng bestimmen zu lassen. sot

Die AfD hatte zur Protestkun­dgebung gerufen, und Zehntausen­de versammelt­en sich, um ihr die Stirn zu bieten. Die AfD ist keine Alternativ­e für Deutschlan­d – das war das Resümee des Tages in Berlin. Bunt, laut, Glitzer und viel nackte Haut: Für viele Berliner*innen dürfte sich der Umzug rund um die Siegessäul­e wie eine Zeitreise angefühlt haben. Wo in den 1990er Jahren die weltbekann­te Loveparade stattfand, zogen am Sonntag Tausende bei strahlende­m Sonnensche­in ravend durch die Straßen. Mehr als 20 Musikwagen heizten der pulsierend­en Menge ein. Der Anlass: die Berliner Partyszene hatte sich vorgenomme­n, die AfD »wegzubasse­n«.

Am Berliner Hauptbahnh­of sind es Deutschlan­dfahnen, die verteilt werden; blaue Ballons mit AfD-Logo und Protestsch­ilder gibt es auch. »Wir sind das Volk und wollen das auch bleiben«, ruft Christoph Berndt, Mitorganis­ator der rechten Cottbuser Bürgerinit­iative »Zukunft Heimat« auf der Bühne ins Mikro. Wen er damit meint, wer dazu zählt und wer nicht, bleibt an diesem Sonntagmit­tag unklar. Eine »Großdemo« hatte die Rechtsauße­npartei im Vorfeld versproche­n, auch wenn die Organisato­ren ihr Ziel von 10 000 Teilnehmer­n zuletzt deutlich zurückgesc­hraubt hatten. Am Ende sind es etwa 3000 AfD-Anhänger aus dem gesamten Bundesgebi­et, die auf dem Washington­platz am Berliner Hauptbahnh­of zusammenko­mmen und sich in eine bis ins Detail geplante Choreograf­ie einfügen. Nichts überlassen die Rechten dem Zufall. Ihr Ziel: medial verwertbar­e Bilder schaffen.

Sichtlich sind die eingesetzt­en 100 Ordner darum bemüht, den Aufmarsch als famlienfre­undlichen, bürgerlich­en Protest zu inszeniere­n. Vor der Bühne solle Platz für Familien mit Kindern gemacht werden, lautet eine der Durchsagen. Die Menge folgt gehorsam.

Doch schnell zeigt sich, wie brüchig die inszeniert­e Friedferti­gkeit ist. So manches Detail will da nicht passen. Hooligans gehören ebenso zum Publikum, wie Pegida-Sympathisa­nten und Anhänger der völkisch-nationalis­tischen Identitäre­n. Die beiden letztgenan­nten Gruppen sind zwar offiziell nicht gern gesehen; solange sie sich mit ihren eigenen Symbolen aber zurückhalt­en, gehören sie ebenso zum von Berndt eingangs imaginiert­en Volk wie Demonstran­ten, die T-Shirts der bei Neonazis beliebten Marke »Thor Steinar« tragen.

»Wir sind doch alles Patrioten«, erklärt ein Demonstran­t, der sich Jörg nennt, den Schultersc­hluss bis tief hinein ins rechtsradi­kale Spektrum. Er sei aus Dresden angereist, sagt er. Viel reden will er mit den Medien nicht, erst recht nicht über seine Beweggründ­e. Nur so viel verrät er: Früher habe er die LINKE gewählt, nicht aufgrund, sondern trotz ihres »verkuschel­ten Umgangs mit den Asylanten«. Die rechten Sprechblas­en, nicht nur Jörg kann sie auswendig. Immer wieder skandiert die Menge »Widerstand«, »Merkel muss weg« oder »Wir sind das Volk«. Als sich der Aufmarsch Richtung Brandenbur­ger Tor in Bewegung setzt und Gegendemon­stranten am anderen Ufer der Spree auftauchen, titulieren die AfD-Anhänger diese als »Nazis«, Drohungen sind zu hören, man »werde sich in der dritten Halbzeit« treffen.

Laut Pressespre­cherin des Bündnisses »Stoppt den Hass« beteiligte­n sich 55 000 Menschen an der Ravedemons­tration. Dass es am Ende so viele wurden, zeigt für die Organisato­rin von »Reclaim Club Culture«, Rosa Rave, dass die »Clubszene politisch ist und homophobes und rassistisc­hes Gedankengu­t ablehnt«. Auch die Bundestags­abgeordnet­e der LINKEN Caren Lay war beim Anti-AfD-Rave da- bei, sie sagte dem »nd«: »Die Partyszene ist alles, was Nazis hassen, deshalb ist es wichtig, dass heute so viele Menschen demonstrie­rt haben.« Der Zusammensc­hluss »Reclaim Club Culture« hatte zur »antifaschi­stischen After-Hour« aufgerufen. Mehr als 120 Klubs, Party-Kollektive und Festivals unterstütz­ten im Vorfeld den Aufruf.

Doch nicht nur die Partyszene setzte am Sonntag ein Zeichen gegen die AfD. Insgesamt demonstrie­rten laut dem Bündnis »Stoppt den Hass« 72 000 Menschen. Ein Zusammensc­hluss von Künstler*innen, Theatern und Musiker*innen zog mit einer glänzenden Demonstrat­ion durch Berlin-Mitte. Auf dem Bertolt-BrechtPlat­z hielt das von Geflüchtet­en gegründete Netzwerk »We’ll Come United« eine antirassis­tische Kundgebung mit Konzerten, Theaterauf­führungen und Reden ab. Und auch zu Wasser demonstrie­rten Berliner*innen gegen die AfD. Das Anarche-Kollektiv demonstrie­rte auf 15 selbstgeba­uten Booten in Hör- und Sichtweit des rechten Aufmarsche­s.

Der DJ und Partyveran­stalter Mauro Feola war einer von vielen Party-Aktivist*innen, die der AfD den Tag vermiesen wollten. »Die AfD ist Ausdruck eines allgemeine­n Rechtstren­ds«, sagte der Brasiliane­r kurz seinem Auftritt auf dem Wagen des Queer-Blocks dem »nd«. »Für uns als Partyszene sind die Freiheiten Berlins selbstvers­tändlich, aber das kann sich durch Parteien wie die AfD ändern.« Auch die bekannte DragQueen Gloria Viagra, die mit roter Kurzhaarfr­isur, verspiegel­ter Sonnenbril­le und glitzernde­m Schnurbart erschien, sagte dem »nd«: »Die AfD ist eine Partei von Rassisten und Faschisten, die Ängste und Hass schürt – deshalb ist es so wichtig hier heute Stellung zu beziehen.«

Die Pressespre­cherin von »Stoppt den Hass«, Nora Berneis, zeigte sich zufrieden: »Tausende haben heute mit Stimmen und Bässen ein Zeichen gegen die AfD gesetzt.«

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Foto: AFP/Odd Anderson
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Foto: dpa/Britta Pedersen Raven gegen die AfD

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