AfD ausgetanzt
In Berlin zeigt ein vielfältiges Bündnis der rechten Partei ihre Grenzen auf
Berlin. In den Parlamenten suchen Mittelinks-Parteien noch immer nach wirkungsvollen Strategien, um die AfD auszugrenzen und ihr möglichst wenig Beachtung zu schenken. Doch den Rechtspopulisten gelingt es immer wieder, mit Tabubrüchen medienwirksam zu provozieren. Auf der Straße ist der Kampf gegen rechts weniger kompliziert: Auf der einen Seite stehen die deutschnationalen Sprücheklopfer, auf der anderen von der Polizei stets gut abgeschirmt ein oftmals breites Bündnis von Menschen, die sich dagegen erheben. Laut sind solche Straßenproteste. Und emotional.
So auch am Sonntag im Berliner Regierungsviertel. Die AfD hatte die Oppositionsbank im Reichstag verlassen und zum Protest gegen die Regierungspolitik aufgerufen. Etwa 3000 Rechtspopulisten zogen bis zum Nachmittag vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor, mit Merkel-muss-weg-Plakaten und Anti-Islam-Parolen.
Der Protest dagegen war vielfältig. Insgesamt gab es 13 Gegenveranstaltungen. Und er war massiv. Mehr als 25 000 Menschen kamen nach Schätzungen der Polizei zusammen, um der rechten Hetze etwas entgegenzusetzen. Antifas waren darunter, die den AfD-Aufzug mit Pfiffen und Nazis-raus-Rufen begleiteten. Gewerkschafter unterstützten die Proteste ebenso wie Vertreter der Grünen und der Linkspartei. Boote zeigten auf der Spree Flagge. Vereinzelt versuchten Gegendemonstranten, die Absperrungen der Polizei zu durchbrechen, und es kam zu kleineren Scharmützeln. Auf der Straße des 17. Juni zogen Berliner Clubs mit einer Lkw-Parade unter dem Motto »Bass statt Hass« ins Regierungsviertel.
All diese Proteste einte eines: Es war der Versuch, die AfD nicht den Diskurs über Flucht und Einwanderung bestimmen zu lassen. sot
Die AfD hatte zur Protestkundgebung gerufen, und Zehntausende versammelten sich, um ihr die Stirn zu bieten. Die AfD ist keine Alternative für Deutschland – das war das Resümee des Tages in Berlin. Bunt, laut, Glitzer und viel nackte Haut: Für viele Berliner*innen dürfte sich der Umzug rund um die Siegessäule wie eine Zeitreise angefühlt haben. Wo in den 1990er Jahren die weltbekannte Loveparade stattfand, zogen am Sonntag Tausende bei strahlendem Sonnenschein ravend durch die Straßen. Mehr als 20 Musikwagen heizten der pulsierenden Menge ein. Der Anlass: die Berliner Partyszene hatte sich vorgenommen, die AfD »wegzubassen«.
Am Berliner Hauptbahnhof sind es Deutschlandfahnen, die verteilt werden; blaue Ballons mit AfD-Logo und Protestschilder gibt es auch. »Wir sind das Volk und wollen das auch bleiben«, ruft Christoph Berndt, Mitorganisator der rechten Cottbuser Bürgerinitiative »Zukunft Heimat« auf der Bühne ins Mikro. Wen er damit meint, wer dazu zählt und wer nicht, bleibt an diesem Sonntagmittag unklar. Eine »Großdemo« hatte die Rechtsaußenpartei im Vorfeld versprochen, auch wenn die Organisatoren ihr Ziel von 10 000 Teilnehmern zuletzt deutlich zurückgeschraubt hatten. Am Ende sind es etwa 3000 AfD-Anhänger aus dem gesamten Bundesgebiet, die auf dem Washingtonplatz am Berliner Hauptbahnhof zusammenkommen und sich in eine bis ins Detail geplante Choreografie einfügen. Nichts überlassen die Rechten dem Zufall. Ihr Ziel: medial verwertbare Bilder schaffen.
Sichtlich sind die eingesetzten 100 Ordner darum bemüht, den Aufmarsch als famlienfreundlichen, bürgerlichen Protest zu inszenieren. Vor der Bühne solle Platz für Familien mit Kindern gemacht werden, lautet eine der Durchsagen. Die Menge folgt gehorsam.
Doch schnell zeigt sich, wie brüchig die inszenierte Friedfertigkeit ist. So manches Detail will da nicht passen. Hooligans gehören ebenso zum Publikum, wie Pegida-Sympathisanten und Anhänger der völkisch-nationalistischen Identitären. Die beiden letztgenannten Gruppen sind zwar offiziell nicht gern gesehen; solange sie sich mit ihren eigenen Symbolen aber zurückhalten, gehören sie ebenso zum von Berndt eingangs imaginierten Volk wie Demonstranten, die T-Shirts der bei Neonazis beliebten Marke »Thor Steinar« tragen.
»Wir sind doch alles Patrioten«, erklärt ein Demonstrant, der sich Jörg nennt, den Schulterschluss bis tief hinein ins rechtsradikale Spektrum. Er sei aus Dresden angereist, sagt er. Viel reden will er mit den Medien nicht, erst recht nicht über seine Beweggründe. Nur so viel verrät er: Früher habe er die LINKE gewählt, nicht aufgrund, sondern trotz ihres »verkuschelten Umgangs mit den Asylanten«. Die rechten Sprechblasen, nicht nur Jörg kann sie auswendig. Immer wieder skandiert die Menge »Widerstand«, »Merkel muss weg« oder »Wir sind das Volk«. Als sich der Aufmarsch Richtung Brandenburger Tor in Bewegung setzt und Gegendemonstranten am anderen Ufer der Spree auftauchen, titulieren die AfD-Anhänger diese als »Nazis«, Drohungen sind zu hören, man »werde sich in der dritten Halbzeit« treffen.
Laut Pressesprecherin des Bündnisses »Stoppt den Hass« beteiligten sich 55 000 Menschen an der Ravedemonstration. Dass es am Ende so viele wurden, zeigt für die Organisatorin von »Reclaim Club Culture«, Rosa Rave, dass die »Clubszene politisch ist und homophobes und rassistisches Gedankengut ablehnt«. Auch die Bundestagsabgeordnete der LINKEN Caren Lay war beim Anti-AfD-Rave da- bei, sie sagte dem »nd«: »Die Partyszene ist alles, was Nazis hassen, deshalb ist es wichtig, dass heute so viele Menschen demonstriert haben.« Der Zusammenschluss »Reclaim Club Culture« hatte zur »antifaschistischen After-Hour« aufgerufen. Mehr als 120 Klubs, Party-Kollektive und Festivals unterstützten im Vorfeld den Aufruf.
Doch nicht nur die Partyszene setzte am Sonntag ein Zeichen gegen die AfD. Insgesamt demonstrierten laut dem Bündnis »Stoppt den Hass« 72 000 Menschen. Ein Zusammenschluss von Künstler*innen, Theatern und Musiker*innen zog mit einer glänzenden Demonstration durch Berlin-Mitte. Auf dem Bertolt-BrechtPlatz hielt das von Geflüchteten gegründete Netzwerk »We’ll Come United« eine antirassistische Kundgebung mit Konzerten, Theateraufführungen und Reden ab. Und auch zu Wasser demonstrierten Berliner*innen gegen die AfD. Das Anarche-Kollektiv demonstrierte auf 15 selbstgebauten Booten in Hör- und Sichtweit des rechten Aufmarsches.
Der DJ und Partyveranstalter Mauro Feola war einer von vielen Party-Aktivist*innen, die der AfD den Tag vermiesen wollten. »Die AfD ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtstrends«, sagte der Brasilianer kurz seinem Auftritt auf dem Wagen des Queer-Blocks dem »nd«. »Für uns als Partyszene sind die Freiheiten Berlins selbstverständlich, aber das kann sich durch Parteien wie die AfD ändern.« Auch die bekannte DragQueen Gloria Viagra, die mit roter Kurzhaarfrisur, verspiegelter Sonnenbrille und glitzerndem Schnurbart erschien, sagte dem »nd«: »Die AfD ist eine Partei von Rassisten und Faschisten, die Ängste und Hass schürt – deshalb ist es so wichtig hier heute Stellung zu beziehen.«
Die Pressesprecherin von »Stoppt den Hass«, Nora Berneis, zeigte sich zufrieden: »Tausende haben heute mit Stimmen und Bässen ein Zeichen gegen die AfD gesetzt.«