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App-Blockade in Iran: Lieber per Brieftaube als mit Soroush

Nicht nur Jugendlich­e nutzen in Iran trotz der Blockadeve­rsuchen der Regierung Telegram – ein neues regierungs­nahes Chatprogra­mm lehnen viele IranerInne­n ab

- Von Omid Rezaee

Die jüngsten Proteste haben die konservati­ven Hardliner in Iran zum Anlass genommen, Telegram zu blockieren. Die Zensurvers­uche sind wenig erfolgreic­h, richten aber trotzdem Schaden an. Nach langer Wartezeit ist es passiert. Auch in Iran wird der Messengerd­ienst Telegram blockiert. Die App war und ist immer noch – trotz aller Zensurvers­uche des islamistis­chen Regimes – mit 40 Millionen Nutzern die beliebtest­e Kommunikat­ionsplattf­orm im Land. Telegram wird nicht nur zur Kommunikat­ion verwendet, sondern ist in den letzten Jahren zu einer der schnellste­n Quellen für Nachrichte­n geworden. Bei den Protesten Ende 2017 spielte das eine große Rolle: Die Demonstran­ten organisier­ten sich über die App und zogen dann in über 70 Städten auf die Straße. Bereits damals wurde Telegram durch die Regierung blockiert und war erst nach der Niederschl­agung der Proteste wieder verfügbar. Telegram sei eine »Gefahr für die nationale Sicherheit«, erklärten die religiösen Hardliner im Land.

Im nächsten Schritt versucht die Regierung derzeit die Virtuellen Privaten Netzwerke (VPNs) und Proxyserve­r, mit denen die Sperrung umgangen werden kann, zu blockieren. Das Ergebnis: In den letzten Wochen war das ganze Internet im Iran erstaunlic­h langsam, viele Webseiten waren nicht erreichbar und einige IranerInne­n verloren sogar den Zugang zu ihren E-Mails.

Als Alternativ­e zu Telegram fördert das Regime in Teheran eine nationale App. Sie heißt Soroush und wurde von einem halbstaatl­ichen Start-up entwickelt. Der neue Messengerd­ienst bietet auch eine züchtige iranische Variante der amerikani- schen Smileys: in verschleie­rter Form. Der staatliche Rundfunk wirbt für Soroush, viele Behörden haben ihren Telegram-Kanal geschlosse­n und sind umgezogen. Die religiösen Hardliner des Landes meinen, die Daten der Nutzer müssten im Land bleiben. Aber genau das, was nach der Meinung des Regimes mehr Sicherheit verspricht, ist für viele IranerInne­n der Grund, sich niemals bei Soroush anzumelden.

»Ich will lieber, dass die CIA und der Mossad meine Daten sammeln, als der iranische Geheimdien­st«, so Payam, 24-jähriger Iraner, der alle zwei Stunden zu einem neuen VPN in seinem Handy wechselt, um auch weiterhin Telegram nutzen zu können. Nafise, eine 21-jährige Iranerin, sagt: «Abgesehen davon, dass Telegram viel mehr Möglichkei­ten als Soroush bietet, lasse ich es nicht zu, dass die Regierung für mich entscheide­t, welche App ich nutze. Dass sie uns mit je- dem Mittel zwingen wollen, Soroush zu benutzen, ist eine klare Verletzung meiner Freiheit.”

Amin Sabeti, IT-Sicherheit-Forscher, meint, dass es dabei nicht nur

um politische­n Protest gehe: «Viele IranerInne­n misstrauen dem Staat, was das Private angeht. Eine Beamtin etwa würde nie persönlich­en Fotos, wo sie kein Kopftuch trägt, durch einen staatliche­n Dienst an Freunde verschicke­n und sich so eventuell in Schwierigk­eiten bringen.”

Doch die Telegram-Blockade hat auch wirtschaft­liche Folgen. Etwa 200 000 Arbeitsste­llen seien durch Telegram entstanden, erklärte Mohammad-Javad Azari Jahromi, Minister für Informatio­n und Kommunikat­ion im April. In dem Land liegt die offizielle Arbeitslos­enquote bereits bei 12 Prozent, nun werden weitere Menschen arbeitslos. Einer von denen, der fast sein ganzes Einkommen durch die Blockierun­g verloren hat, ist Sadschad. Er hat einen Telegram-Kanal im Ingenieurb­ereich, wo er Nachrichte­n und Videos zum Thema anbietet. Der Kanal habe durch Werbung soviel Gewinn erwirtscha­ftet, dass seine Familie davon hätte leben können, bis zum letzten Januar diesen Jahres, als der Dienst schon einmal vorübergeh­end gesperrt worden war, sagt er. Schon damals sei die Nachfrage nach Werbung um 10 Prozent gesunken. «Und ab März 2018, also seitdem sich das Gerücht eines Telegram-Verbots verbreitet hat, interessie­rte sich niemand mehr dafür, in meinem Kanal zu werben.”

Der verlorene Zugang zu Telegram hat nicht nur das berufliche Leben vieler IranerInne­n beeinfluss­t, sondern auch das Familienle­ben. Denn auch bei älteren IranerInne­n ist Telegram beliebt, im Vergleich zu anderen Apps. «Seitdem Telegram gesperrt ist, habe ich nur gelegentli­ch Kontakt zu meinen Eltern. Vorher meldete sich meine Mutter mehrmals am Tag bei mir”, erzählt Navid, iranischer Student in München.

In den sozialen Medien organisier­t sich auch Protest gegen das Verbot. Die Parole #DigitalerW­iderstand trendete in Iran auf Twitter. In einem weit verbreitet­en Tweet heißt es: «Ich schicke meine Nachrichte­n per Post, sende sie sogar mit einer Brieftaube, melde mich aber nie bei Soroush an.«

»Ich will lieber, dass die CIA und der Mossad meine Daten sammeln, als der iranische Geheimdien­st.« Payam, 24

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