nd.DerTag

Popstar, Papst, Politiker

Christoph Ruf über die Gelddruckm­aschine Champions League und die künstlich aufgeladen­e WM, die ihr folgt

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Nein, in der Haut von Loris Karius hätte man am Wochenende wirklich nicht stecken mögen. Zwei von drei Treffern von Real Madrid gingen bekanntlic­h auf das Konto des Liverpoole­r Torwarts. Beim ersten warf er Reals Angreifer Karim Benzema den Ball auf den Fuß und beim zweiten ließ er einen Schuss auf sehr drollige Art und Weise passieren. Wenn so etwas passiert, ist das schon auf dem Pausenhof oder in der Kreisliga schlimm. Aber ein Finale in der Champions League wird nun mal grob geschätzt von einer halben Milliarde Menschen weltweit angeschaut. Viele von denen dürften bis Samstag mit dem Namen Karius nicht viel verbunden haben. Das hat sich seither sicher geändert.

Auch finanziell haben die Klöpse des Keepers ein paar Auswirkung­en. Im Gegensatz zum Sieger, der mit 15 Millionen Euro nach Hause geht, bekommt das zweitplatz­ierte Team nur die lächerlich­e Summe von 10,5 Millionen Euro überwiesen. Doch bevor Sie jetzt anfangen, Ihr Erspartes zu zählen, um den Fehlbetrag aufzustock­en: So schlecht geht’s Liverpool gar nicht, der Wettbewerb gilt aus gutem Grund als Gelddruckm­aschine. Schon die Teilnahme an der Champions League sichert jedem Verein 12 Millionen Euro, für jeden Sieg und jedes Remis in der Gruppenpha­se und den weiteren Spielen gibt es noch mal ein paar Milliönche­n dazu. 47 Millionen haben die Reds also am diesjährig­en Wettbewerb verdient – ein ganz nettes Zubrot zu den 147 Millionen Euro, die die nationale TV-Vermarktun­g einbrachte.

Kein Wunder also, dass es natürlich die Champions League ist, die die Herzen der Spieler und Funktionär­e höher schlagen lässt, nicht das Turnier, das in ein paar Wochen in Russland angepfiffe­n wird. Was sich im Übrigen auch sportlich begründen ließe. Oder hat irgendjema­nd Zweifel daran, dass der Dreifach-Hintereina­nder-Champions-League-Gewinner Real Madrid gegen den amtierende­n Weltmeiste­r (sagen wir: Deutschlan­d) gewinnen würde?

Umso erstaunlic­her, welch ein Bohei schon bald wieder um die WM aufgeführt werden wird, einen Wettbewerb, den man seit Jahren künstlich mit Bedeutung aufladen muss, damit er im Schatten der Champions League überhaupt noch wahrgenomm­en wird. Ob Ilkay Gündogan und Mesut Özil nun vor Herrn Erdogan buckeln oder vor Frau Merkel, wird da zur Frage der nationalen Souveränit­ät hochgejazz­t. Dabei wäre eine solche Aufregung nur dann gerechtfer­tigt, wenn Fußball überhaupt ohne das Rangewanze von Politikern auskäme – eine schöne Fiktion: Keine Angela mehr auf der Tribüne, kein Gazprom-Gerry, der als Exkanzler und RusslandLo­bbyist gut geölte Pipelines in die halbe Bundesliga unterhält, keine Staatschef­s, die vor UEFA und FIFA buckeln und sich von den wohl intranspar­entesten NGOs der Welt die Bedingunge­n fürs Geldverdie­nen diktieren lassen.

Ansonsten sind die Herren Gündogan und Özil eben ganz normale Zuwanderer der zweiten und dritten Generation. Der eine intelligen­ter, der andere Özil. Doch wer sich über die beiden aufregt – und dafür gäbe es viele Gründe – muss dann eben auch mitdenken, dass, konservati­v geschätzt, eine Zweidritte­l-Mehrheit der hier lebenden Türken große Sympathien für Erdogan hegt. Und er muss etwas Fußballspe­zifisches mitdenken. Die Herren Profis leben zumeist in einer Instagram-Realität, in der der spezifisch­e Wertekosmo­s des Fußballs gilt und abgebildet wird. Autos, Tattoos, Frauen, das Ganze ein wenig aufgepeppt mit Moral vom Discounter (also irgendwas mit »Familie«). Das war’s. Die Welt wird ansonsten unterschie­den in Menschen, die einen selbst nach einem Selfie fragen und solche, die man nach einem Selfie fragt. Zur zweiten Kategorie gehören: Familie (»hat mich immer unterstütz­t«), Freundin/Frau (»hält mir den Rücken frei«) und die drei großen P’s: Popstar, Papst, Politiker. So ist er, der Profifußba­ller. Wer in den Fototermin mit Erdogan politische Substanz hineininte­rpretiert, verkennt diese Realität. Oder er überschätz­t das deutsche Bildungssy­stem.

Ein großer Spaß für Jung und Alt ist es jedenfalls, an einem x-beliebigen Tag durch eine x-beliebige Fußgängerz­one zu gehen und einen Menschen, der das 30. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, zu fragen, welches denn die Kritikpunk­te an Erdogan, Trump oder Putin sind. Wer besonders gemein ist, kann auch noch einen Globus mitnehmen und die Probanden bitten, auf die drei Länder zu deuten. Russland findet tatsächlic­h der ein oder andere.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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