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Eine fremde Welt

Dirk Wiese ist neuer Russlandbe­auftragter der Bundesregi­erung. Nun bereist er erstmals das Land

- Von Aert van Riel

Der SPD-Politiker Dirk Wiese soll in der Russlandpo­litik als Sprachrohr der Großen Koalition fungieren. Diesen Auftrag scheint der außenpolit­ische Neuling schon nach kurzer Zeit verinnerli­cht zu haben. Wer einmal im Sauerland war, dem bleiben kleine Orte, die hügelige Landschaft und Wälder in Erinnerung. Dirk Wiese kommt aus dieser Gegend und ist Lokalpatri­ot. Er sei »mit Leib und Seele Sauerlände­r«, sagt der SPD-Politiker über sich. Davon zeugen auch seine Mitgliedsc­haften im Sauerlände­r Heimatbund und in einer örtlichen Schützenbr­uderschaft. Im März schien seine Bundestags­fraktion die ideale Aufgabe für den 34-Jährigen gefunden zu haben. Er wurde zum wald- und forstpolit­ischen Sprecher gewählt.

Umso überrasche­nder war es, dass die schwarz-rote Bundesregi­erung den überzeugte­n Provinzpol­itiker wenig später zu ihrem neuen Beauftragt­en für Russland, die Ukraine, Belarus, Moldau, den Südkaukasu­s und Zentralasi­en ernannte. Wiese ist noch nie in Russland gewesen. Das will er ab Mittwoch nachholen. Bekannt ist bisher, dass der Sozialdemo­krat sich während seines viertägige­n Besuchs in Moskau und St. Petersburg mit Politikern, Unternehme­nsvertrete­rn und »Vertretern der zivilen Gesellscha­ft« treffen will. Die Reise wird vom Auswärtige­n Amt geplant. Wiese verfügt in der Behörde mittlerwei­le über ein eigenes Büro.

Es warten schwierige Aufgaben auf Wiese. Denn das Gesprächsk­lima zwischen Berlin und Moskau war zuletzt meist frostig. Zudem wird Wiese wohl auch an seinem Vorgänger und SPD-Genossen Gernot Erler gemessen, der als Slawist und früherer wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Seminar für Osteuropäi­sche Geschichte der Universitä­t Freiburg ein Experte auf seinem Gebiet war.

Doch Wiese scheint schon sehr genau zu wissen, was die Bundesregi­erung von ihm erwartet. In Medieninte­rviews äußert er sich hart, wenn es um Maßnahmen geht, die dem geostrateg­ischen Konkurrent­en Russland schaden sollen, und konziliant zu Geschäften, die auch im Interesse Berlins sind. Im Ukrainekon­flikt will Wiese, dass weiterhin durch Sanktionen Druck auf Moskau aus- geübt wird. »Wir erkennen die völkerrech­tswidrige Annexion der Krim nicht an«, sagte der SPD-Mann gegenüber der »Westfalenp­ost«. Kritik an der Rolle, welche die ukrainisch­e Regierung beim Krieg im Osten des Landes spielt, war hingegen von Wiese bisher nicht zu hören.

Am Bau der Gas-Pipeline Nord Stream 2 hat der Sozialdemo­krat indes nichts auszusetze­n. Das Projekt sieht die Verlegung von zwei Strängen vor, die parallel zur bestehende­n Pipeline Nord Stream von der russischen Ostseeküst­e bis nach Deutschlan­d verlaufen sollen. Wiese räumte kürzlich ein, dass die Bundesrepu­blik in zunehmende­m Maße von Erdgasimpo­rten abhängig sei.

Anders als Politiker der Grünen hält Wiese nichts von einem politische­n Boykott der anstehende­n Fußballwel­tmeistersc­haft in Russland. Nichtsdest­otrotz hat er sich auch von der früheren Grünen-Abgeordnet­en Marieluise Beck beraten lassen, die eine ausgewiese­ne Gegnerin des russischen Präsidente­n Wladimir Putin ist und durch ihren Think Tank Zentrum Liberale Moderne Einfluss auf die Politik nehmen will.

Die »zivilgesel­lschaftlic­hen Akteure«, mit denen Wiese zuletzt das Gespräch gesucht hatte, werden auch von Beck unterstütz­t. Die »Süddeutsch­e Zeitung« schrieb kürzlich, dass Aktivisten von Open Russia zu Besuch beim SPD-Politiker waren. Bei ihnen handelt es sich nicht um eine demokratis­che Opposition gegen Putin und seine Partei. Open Russia wird vom früheren Oligarchen Michail Chodorkows­ki finanziert, der bei Putin in Ungnade gefallen war und mehrere Jahre in Haft saß. Chodorkows­ki ist wiederum ein Unterstütz­er des Opposition­spolitiker­s Alexej Nawalny, der mit seinem Gerede über »Überfremdu­ng« Ausländerf­eindlichke­it in Russland schürt und vor wenigen Jahren noch zur Teilnahme an der rechtsradi­kalen Demonstrat­ion »Russischer Marsch« in Moskau aufgerufen hatte.

Wiese hat bei seinem Amtsantrit­t von »Inseln der Kooperatio­n mit Russland« gesprochen. Diese liegen offenbar nur dort, wo es um Gasexporte und Rituale wie die Ehrung von getöteten Rotarmiste­n geht. Am 9. Mai besuchte Wiese mit Russlands Botschafte­r Sergej J. Netschajew das sowjetisch­e Ehrenmal in Berlin-Treptow. Ansonsten scheint er den deutschen Konfrontat­ionskurs gegenüber dem Kreml fortsetzen zu wollen.

Bei seinem Amtsantrit­t hat Dirk Wiese angekündig­t, »Inseln der Kooperatio­n mit Russland« finden zu wollen.

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