nd.DerTag

Skeptisch gegenüber Solidaritä­tsbekundun­gen

Nach Strafanträ­gen gegen BesetzerIn­nen fordern Demonstran­ten ein Ende der »Berliner Linie«

- Von Florian Brand

Rund 800 Menschen zogen durch Kreuzberg und Neukölln, um gegen die Räumungen vom Pfingstson­ntag zu protestier­en. »Fickt euch mit eurem Geld und euren Forderunge­n« tönt es aus dem Lautsprech­er, als der Demonstrat­ionszug am Freitagabe­nd die Sonnenalle­e in Neukölln passiert. PassantInn­en bleiben verwundert stehen, beobachten neugierig die rund 800 Demonstran­tInnen, die sich durch die Reuterstra­ße schieben. Vereinzelt wird aus höher liegenden Fenstern applaudier­t. »Richtig so«, murmelt ein älterer Herr mit Vollbart und Kinderbugg­y, während sein Junior sich die Ohren zu hält.

Am Lausitzer Platz in Kreuzberg startete der von der Initiative #besetzen organisier­te Demonstrat­ionszug. Stationen sind unter anderem die Reichenber­ger Straße 114, das kommunale Wohnungsba­uunternehm­en »Stadt und Land« sowie die Bornsdorfe­r Straße 37b in Neukölln.

Die Demonstran­tInnen sind wütend auf den rot-rot-grünen Senat. Grund ist die Polizeigew­alt, die die BesetzerIn­nen der »Borni« und der »Reiche114« am Pfingstson­ntag zu spüren bekamen. Sie machen Bausenator­in Katrin Lompscher und deren LINKE für die Eskalation verantwort­lich. Die #besetzen-InitiatorI­nnen fordern außerdem die Straffreih­eit aller 56 von »Stadt und Land« angezeigte­n BesetzerIn­nen sowie die Abschaffun­g der sogenannte­n Berliner Linie, wonach besetzte Häuser innerhalb von 24 Stunden zu räumen sind.

Mit ihrem »Karneval der Besetzunge­n« hatten die »selbstbest­immten BürgerInne­n«, wie sie sich selbst nennen, am Pfingstson­ntag ordentlich Staub im Senat aufgewirbe­lt. Während sich LINKE und Grüne mit den Besetzunge­n grundsätzl­ich solidarisi­eren, kommen aus der SPD eher skeptische Töne. Hausbesetz­ungen seien kein probates Instrument, »sie verletzen Recht und Gesetz, das können wir nicht zulassen«, sagte der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) unmittelba­r nach den Besetzunge­n. Für die Initiative #besetzen ist jedoch genau diese Haltung des Senats mitverantw­ortlich für den massiven Leerstand in der Stadt. Sie schätzt, dass spekulatio­nsbedingt 18 000 Wohnungen betroffen sind.

»Leerstand ist zwar nicht vertretbar, aber in der Masse in Berlin kein Problem«, sagte der Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins, Reiner Wild, der »Berliner Morgenpost«. Mit den vergangene­n Besetzunge­n hätten die AktivistIn­nen auf jeden Fall auf einen Missstand hingewiese­n.

In der Bewegung ist man derzeit uneins über das weitere Vorgehen. »Priorität hat erst mal, dass die Strafanzei­gen gegen uns zurückgeno­mmen werden«, sagen AktivistIn­nen am Rande der Demonstrat­ion. »Solange das nicht passiert, sehen Verhandlun­gen schwierig aus.«

Ingo Malter, Geschäftsf­ührer von »Stadt und Land« hatte sich nach der Räumung in einem Interview mit der »Berliner Zeitung« weiterhin gesprächsb­ereit gezeigt.

»Wir müssen uns nach der Polizeigew­alt erst mal sammeln und verdauen, was wir da erlebt haben«, sagen die AktivistIn­nen. »Unser Vertrauen in die LINKE und ›Stadt und Land‹ ist in jedem Fall erschütter­t.« Vereinnahm­en lassen wolle man sich daher nicht, betonen die BesetzerIn­nen. »Wir sind sehr skeptisch, was die Solidaritä­tsbekundun­gen angeht. Wir sind eine außerparla­mentarisch­e Bewegung und das wollen wir auch bleiben.« Über weitere Aktionen werde man sich demnächst verständig­en. »Wir werden aber weiter machen«, verspreche­n sie. »Außerdem sucht ja auch noch der geräumte Kiezladen Friedel54 eine Unterkunft.«

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