nd.DerTag

Die Scharfmach­er in der Idylle

Innenminis­terkonfere­nz berät über Abschiebez­entren

- Mdr

Berlin. Am bayerische­n Wesen mag Deutschlan­d genesen. Diese Sicht der Dinge, die zum festen ideologisc­hen Inventar der Regionalpa­rtei CSU gehört, hat es mit Horst Seehofer nicht nur ins Kabinett der Großen Koalition geschafft. Weil gleichzeit­ig Landtagswa­hlkampf im weiß-blauen Freistaat angesagt ist, führen sich die Christsozi­alen nicht nur im eigenen Lande auf wie lupenreine Autokraten, auch dem Rest der Republik wollen sie mal richtig zeigen, wie der Hase läuft. Vor allem beim Thema Asyl. Die Segnungen, mit denen bald ganz Deutschlan­d beglückt werden soll, wurden am Dienstag im CSU-Kabinett be- schlossen – darunter AnKER-Zentren, Abschiebun­gen in bayerische­r Eigenregie, Sachstatt Geldleistu­ngen, mehr Abschiebeh­aftplätze. »Wir wollen zeigen, dass unser Rechtsstaa­t funktionie­rt, und dadurch auch Vorbild in Deutschlan­d sein«, so Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) nach der Kabinettss­itzung in München.

Die, die sich zuerst ein Beispiel nehmen und in die Schar der populistis­chen Scharfmach­er einreihen sollen (falls sie da noch nicht sind), sind die Innenminis­ter der anderen Bundesländ­er. Im Schatten der Idylle von Burg und Fachwerk treffen diese ab Mitt- woch mit ihrem bayerische­n Kollegen – Joachim Herrmann will ihnen das bayerische Konzept vorstellen – im sachsen-anhaltisch­en Quedlinbur­g zur Innenminis­terkonfere­nz zusammen.

Neben den AnKER-Zentren soll es dann auch um den sogenannte­n BAMF-Skandal gehen, bei dem derzeit vorrangig um die Frage eines möglichen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses heftig gerangelt wird. Nach AfD und FDP, die bereits dessen Einsetzung beantragt haben, mehren sich auch in den Regierungs­parteien SPD und CDU die Stimmen für ein solches Gremium.

Bei der Innenminis­terkonfere­nz werden die Ressortche­fs aus Bund und Ländern auch über die Asylpoliti­k diskutiere­n. Die Sozialdemo­kraten fordern Aufklärung über die sogenannte­n AnKERzentr­en. Es ist etwas mehr als 25 Jahre her, dass im sachsen-anhaltisch­en Quedlinbur­g Steine und Molotowcoc­ktails flogen. Jugendlich­e hatten das nahe gelegene Asylbewerb­erheim belagert. Couragiert­e Bürger, die sich zwischen Asylbewerb­er, Schaulusti­ge und einen wütenden Mob stellten, konnten die Eskalation nicht verhindern. Einige Tage später entschied der damalige Landesinne­nminister Hartmut Perschau (CDU) ohne Rücksprach­e mit der Stadt die Räumung des Heims und die Unterbring­ung der Geflüchtet­en in anderen Kommunen Sachsen-Anhalts.

Vor der am Mittwoch beginnende­n Konferenz der Innenminis­ter war nun die »Süddeutsch­e Zeitung« bemüht, positive Assoziatio­nen mit Quedlinbur­g zu wecken und betonte die »malerische Fachwerkku­lisse« der Stadt. Drei Tage wollen die Minister hier unter anderem über Kriminalit­ät und Cybersiche­rheit diskutiere­n. Viel Raum werden auch die Debatten über Asylpoliti­k einnehmen. Denn es gibt Streit über die von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) geplanten Abschiebez­entren, die den Na- men AnKER (Ankunft, Entscheidu­ng, Rückführun­g) tragen sollen. Dort sollen nach dem Willen Seehofers künftig Asylbewerb­er für die gesamte Dauer ihrer Antragsprü­fung untergebra­cht werden. Damit sollen die Asylverfah­ren sowie Abschiebun­gen nach einer möglichen Ablehnung beschleuni­gt werden. Die Zeit drängt. Im Herbst will Seehofer eine Pilotphase starten.

Doch viele Bundesländ­er wollen noch nicht mitziehen. Widerstand war bisher besonders von Regierunge­n ohne Beteiligun­g der Union zu vernehmen. Das heißt aber nicht, dass diese Länder die Abschiebez­entren grundsätzl­ich wären. Die sozialdemo­kratischen Innenminis­ter fürchten vielmehr die erwartbare­n Folgen in den Massenunte­rkünften. Die Probleme wären nämlich programmie­rt. Wenn Menschen zusammenge­pfercht werden, die auf ihre Abschiebun­g warten, müsse man mit Gewaltausb­rüchen rechnen.

Um diese Situation zu entschärfe­n, fordern SPD-Innenpolit­iker, weniger Menschen in den Unterkünft­en unterzubri­ngen. »AnKERzentr­en für 1500 Personen halte ich für viel zu groß«, sagte Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius der »Süddeutsch­en Zeitung«. Das ist aber genau die Zahl, die Seehofer bisher für eine Maximalbel­egung genannt hatte. In den Zentren sollen die Betroffene­n bis zu 18 Monate auf ihre Abschiebun­g warten. Möglicherw­eise lässt der Bundesinne­nminister den Ländern bei der genauen Ausgestalt­ung der Unterkünft­e aber Spielraum.

Bedenken gegen die Abschiebez­entren gibt es aber nicht nur unter den SPD-Innenminis­tern, sondern auch direkt in den Orten, wo demnächst die Zentren eröffnet werden sollen. Die bayerische CSU-Staatsregi­erung hat nun verkündet, in sieben Einrichtun­gen die Asylverfah­ren zu »beschleuni­gen«. Im schwäbisch­en Donauwörth soll eine Erstaufnah­meeinricht­ung entspreche­nd umgestalte­t werden. Dort waren bisher zwischen 300 und 600 Asylbewerb­ern untergebra­cht. Platz wäre für 1000 Personen. Oberbürger­meister Armin Neudert (CSU) sagte nach einem Bericht der »Augsburger Allgemeine­n«, dass die Diskussion­en in den vergangene­n Wochen bei den Bürgern zu Vorstellun­gen geführt hätten, die »für den Standort Donauwörth nicht nur gänzlich fehl am Platze, sondern von der Größe her schlicht nicht möglich« seien. Zudem ist eigentlich geplant, dass die Einrichtun­g in Donauwörth Ende kommenden Jahres geschlosse­n wird. Erst im März war es dort bei der versuchten Abschiebun­g eines Asylbewerb­ers zu einem größeren Polizeiein­satz gekommen.

Während sich Kommunalpo­litiker und SPD-Minister insbesonde­re über mögliche Gefahren durch die Menschen in den neuen Zentren für die innere Sicherheit äußern, setzten Flüchtling­sorganisat­ionen andere Schwerpunk­te. »Die Isolierung in AnKERzentr­en zerstört Integratio­n und verhindert zudem ein faires rechtsstaa­tliches Asylverfah­ren, in dem die Fluchtgrün­de aufgeklärt werden und bei Fehlentsch­eidungen des BAMF Gerichte den dringend nötigen Schutz gewähren«, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsf­ührer von Pro Asyl, am Dienstag. Dauerisoli­erung in Massenunte­rkünften abseits von großen Orten sei für die Betroffene­n katastroph­al. Integratio­nschancen würden zerstört, »wenn über lange Zeit hinweg der Zugang zu Schule, Arbeit, neuen Nachbarn und Ehrenamtli­chen versperrt wird«. Nur bei angenommen­er »positiver Bleibepers­pektive« sollen Flüchtling­e laut Koalitions­vertrag von Union und SPD auf Kommunen verteilt werden.

Die Regierungs­parteien gehen offenbar davon aus, dass sie durch »konsequent­es Abschieben« einerseits Geflüchtet­e abschrecke­n und zugleich verhindern, dass es wieder zu Ausschreit­ungen wie zu Beginn der 90er Jahre in Quedlinbur­g und anderen deutschen Städten kommt. Allerdings sieht es bisher danach aus, als stärkten sie mit dieser Politik vielmehr hauptsächl­ich die Rechten, die sich durch das harte Vorgehen von offizielle­r Stelle gegen Geflüchtet­e bestätigt fühlen. Ein Hinweis hierfür ist, dass die AfD in bundesweit­en Meinungsum­fragen mit 15 bis 16 Prozent so stark wie noch nie zuvor ist.

Drei Tage treffen sich die Innenminis­ter im sachsen-anhaltisch­en Quedlinbur­g, um über die Unterbring­ung von Asylsuchen­den und die Kriminalit­ätsbekämpf­ung zu beraten. Hardliner von der Union wollen die Richtung vorgeben.

Die bayerische CSURegieru­ng hat verkündet, in sieben Einrichtun­gen die Asylverfah­ren zu »beschleuni­gen«.

 ?? Foto: imago/O. Schreiter ??
Foto: imago/O. Schreiter
 ?? Foto: dpa ?? Ein Bild, das sich wiederhole­n kann: Ein jugoslawis­cher Vater sitzt 1992 in der Quedlinbur­ger Unterkunft bereit, um drohende Brandflasc­hen zu löschen.
Foto: dpa Ein Bild, das sich wiederhole­n kann: Ein jugoslawis­cher Vater sitzt 1992 in der Quedlinbur­ger Unterkunft bereit, um drohende Brandflasc­hen zu löschen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany