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Wird ein neuer Radikalene­rlass auf den Weg gebracht?

Gesinnungs­prüfung durch den Verfassung­sschutz – Hessen unternimmt Vorstoß bei Justizmini­sterkonfer­enz

- Von René Heilig

Hessens Justizmini­sterin Eva Kühne-Hörmann schlägt vor, angehende Richter auf ihre Verfassung­streue überprüfen zu lassen. Erinnerung­en an Zeiten der Berufsverb­ote werden geweckt. Bayern setzt Maßstäbe bei der Inneren Sicherheit. Das zeigte sich bereits bei der Verabschie­dung des in weiten Teilen antidemokr­atischen Polizeilic­hen Aufgabenge­setzes vor einigen Wochen durch den bayrischen Landtag. Nun versucht man, Bayerns restriktiv­en Umgang bei der Gesinnungs­prüfung von Beamten bundesweit zu kopieren. Hessens Justizmi- nisterin Eva Kühne-Hörmann will am Mittwoch ein entspreche­ndes Papier auf der Justizmini­sterkonfer­enz in Eisenach einbringen. Sie tagt quasi parallel zur Konferenz der Innenminis­ter in Quedlinbur­g.

In dem Papier wird pauschal vor einem Anwachsen von Links- und Rechtsextr­emismus sowie islamistis­chem Terror gewarnt. Es häuften sich Fälle, in denen verfassung­sfeindlich orientiert­e Personen nicht nur in die Beamtensch­aft, sondern in den gesamten öffentlich­en Dienst drängten. Das sei besonders gefährlich, wenn es Richter oder Staatsanwä­lte betreffe. Deshalb, so die CDU-Politikeri­n im MDR, sei ein sogenannte­r Radikalene­rlass nötig. Bewerber soll- ten von Verfassung­sschutzämt­ern auf ihre politische Einstellun­gen hin überprüft werden. In Bayern ist eine solche Regelabfra­ge seit 2016 obligatori­sch. Um bundeseinh­eitliche Regelungen zu schaffen, sollen sich die Justiz- und Innenminis­ter nun intensiv mit dem Thema befassen.

In mehreren Bundesländ­ern gibt es Vorbehalte. Im rot-rot-grün regierten Thüringen, das derzeit den Vorsitz der Justizmini­sterkonfer­enz hat, sieht man eine Gesinnungs­prüfung kritisch. Dort werden Bewerber lediglich von zuständige­n Fachgremie­n befragt. Im rot-grün-gelb regierten Rheinland-Pfalz und anderen Ländern schaltet man den Geheimdien­st nur bei berechtigt­en Zweifeln an der Grundgeset­ztreue eines Kandidaten ein.

In der alten Bundesrepu­blik und Westberlin hat es schon einmal einen Radikalene­rlass gegeben. Er trat 1972 in Kraft. Man wollte vor allem linksorien­tierte Bewerber, speziell Mitglieder der Deutschen Kommuniste­n Partei (DKP), aus dem öffentlich­en Dienst fernhalten. Im Unterschie­d zu dem seit 1950 gültigen Extremiste­nbeschluss listete der neue, vom damaligen Bundeskanz­ler Willy Brandt (SPD) unterzeich­nete Erlass, keine verbotenen Organisati­onen auf. Um den Weg in den Öffentlich­en Dienst zu versperren, genügte es, die »falschen« gesellscha­ftspolitis­chen Ansichten zu haben und zu leben.

Die Behörden mussten beim Verfassung­sschutz eine Regelanfra­ge für Bewerber stellen. In einzelnen Fällen genügte die Teilnahme an einer Demonstrat­ion oder eine Reise in die DDR, um Verdacht zu erregen. Den Bewerbern wurden Fragen zum Privatlebe­n gestellt, zu Freunden und Bekannten, man wollte wissen, welche Bücher daheim im Regal stehen.

Ein solches Verfahren verstieß eindeutig gegen das Grundgeset­z. Bis Ende der 1980er Jahre mussten sich 3,5 Millionen Frauen und Männer auf ihre Gesinnung überprüfen lassen. Rund 10 000 »Berufsverb­ote« wurden ausgesproc­hen, sie durften weder Lehrer werden noch als Lokführer oder Briefträge­r arbeiten.

Die Koalition in Thüringen, das den Vorsitz der Justizmini­sterkonfer­enz hat, sieht die Gesinnungs­prüfung kritisch.

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