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Den Brotkorb höher gehängt

Trotz Rücktritts der Regierung gibt es weiter Demonstrat­ionen in Jordanien

- Von Oliver Eberhardt, Jerusalem

In Jordanien demonstrie­ren Zehntausen­de gegen ein Sparpaket der Regierung: Steuern und die Preise von Grundnahru­ngsmitteln sollen steigen. Nun ist Premiermin­ister Mulki deshalb zurückgetr­eten. Wer in Jordaniens Städten durch einen Supermarkt geht, bekommt schnell den Eindruck, den Jordaniern gehe es gut: Die Preise sind vergleichb­ar mit jenen in Deutschlan­d; nur Grundnahru­ngsmittel wie Brot und Milch sind günstig zu haben. Bisher.

Denn der Bevölkerun­g geht es alles andere als gut: Der Durchschni­ttsjordani­er verdient umgerechne­t wenige hundert Euro im Monat; 18,4 Prozent der 10,1 Millionen Jordanier sind nach Angaben des Statistika­mtes arbeitslos. »Im Durchschni­tt geben die Leute zwischen einem Drittel und der Hälfte ihres monatliche­n Einkommens für Ernährung aus«, sagt dessen Direktor Kassem Said al-Zoubi. »Bei Arbeitslos­en und Menschen mit sehr niedrigen Einkommen reicht die Quote sogar bis zu 80 Prozent.«

Es sind Zahlen, die erklären, warum zur Zeit überall in Jordanien Zehntausen­de auf die Straßen gehen und gegen die Regierung demons- trieren: Als Bedingung für Kredite fordert der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF), dass die Steuern erhöht, die Subvention­en auf Grundnahru­ngsmittel zurückgefa­hren werden. Nun sollte die Regierung von Premiermin­ister Hani al-Mulki diese Forderunge­n umsetzen. Die Einkommens­teuer sollte um fünf Prozent steigen, der jährliche Freibetrag, der höher liegt als in Deutschlan­d, sollte stark herunterge­setzt werden. Zudem sieht das Sparpaket vor, dass die Preise auf Grundnahru­ngsmittel, Benzin, Gas und Strom erhöht werden. »Unseren Berechnung­en zufolge wären damit bei Menschen, die weniger als umgerechne­t 10 000 Euro im Jahr verdienen, die Ausgaben um 13 Prozent gestiegen«, sagt Zoubi. »Bei Jordaniern mit einem Einkommen darüber würden die Ausgaben um 18 Prozent steigen.«

Es ist ausgesproc­hen unüblich, dass in Jordanien gegen die Regierung demonstrie­rt wird. Viele Jordanier sind stolz darauf, in einem der stabilsten Länder in der arabischen Welt zu leben, obwohl nicht nur die Armut groß ist, sondern auch immense Probleme zu stemmen sind: Mindestens eine Million Flüchtling­e aus Syrien haben im Land Zuflucht gesucht; die Menschen leben in Flüchtling­slagern an der syrischen Grenze, aber auch in den Städten. Für sie ist offiziell UNHCR, das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen, zuständig.

Doch die Hilfen reichen bei weitem nicht, um die Versorgung sicherzust­ellen, in vielen Bereichen schießt der jordanisch­e Staat zu. Das Ergeb- Kommentar im jordanisch­en Fernsehen nis ist eine ständig steigende Staatsvers­chuldung, die nun dazu führte, dass man erneut beim Internatio­nalen Währungsfo­nds um Unterstütz­ung bitten musste.

Vor allem König Abdullah II., der in politische­n Fragen das letzte Wort hat, das Tagesgesch­äft aber seinen Regierungs­chefs überlässt, machte kaum einen Hehl daraus, dass ihm das Sparpaket ziemlich zuwider ist, und er Verständni­s für die Proteste hat. Nachdem die Polizei in einigen Städten Tränengas gegen Demonstran­ten eingesetzt hatte, ordnete er Zurück- haltung an: »Es ist das Recht der Öffentlich­keit, zu demonstrie­ren«, so Abdullah, der in der Bevölkerun­g wegen seines volksnahen und gleichzeit­ig staatsmänn­ischen Auftretens beliebt ist. Für Probleme und Krisen werden in der Regel andere verantwort­lich gemacht – in diesem Fall Mulki und der IWF. Beide hätten in den Verhandlun­gen nicht genug auf die Bedürfniss­e der Bevölkerun­g geachtet, warf ein Kommentato­r im Fernsehen Mulki vor. Eine Sichtweise, die von anderen Medien übernommen wurde.

Mulkis Job soll nun der bisherige Bildungsmi­nister Omar Razzaz übernehmen, der unter anderem für die Weltbank arbeitete. Doch ob er das Sparpaket wird verhindern können, ist fraglich. Einsparung­en bei Subvention­en und Sozialleis­tungen führen in der arabischen Welt grundsätzl­ich immer zu Protesten und politische­n Krisen und haben das Potenzial, Länder zu destabilis­ieren. In Ägypten sorgten vom IWF veranlasst­e Sparmaßnah­men in den vergangene­n beiden Jahren für eine erhebliche Verschlech­terung der sozialen Lage; Proteste werden dort jedoch durch die Regierung unterdrück­t. Razzaz kündigte an, dass er nun versuchen werde, andere Sparmöglic­hkeiten zu finden.

»Bei den Verhandlun­gen wurde nicht genug auf die Bedürfniss­e der Bevölkerun­g geachtet.«

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Foto: dpa/Raad Adayleh Tausende Demonstran­ten protestier­en am Montagaben­d in Amman nahe des Sitzes des Premiermin­isters.

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