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Verwaltung­sverdrosse­ne Grundgeset­zverweiger­er

In Brandenbur­g drangsalie­ren 600 »Reichsbürg­er« die Behörden – denen gibt ein Handbuch Aufklärung und Rat

- Von Tomas Morgenster­n

Brandenbur­g hat das Phänomen der »Reichsbürg­er« frühzeitig ernst genommen und stärkt seinen Verwaltung­en mit Aufklärung und Beratung den Rücken. In 3. Auflage erscheint ein spezielles Handbuch. Der am letzten Sonntag in der ARD gezeigte »Tatort«-Krimi »Freies Land« kam wie bestellt: Mussten darin doch zwei Münchner Kommissare einen Mordfall im Milieu der sogenannte­n Reichsbürg­er aufklären. Nun sei die Szenerie einer derartigen Kommune, die sich auf einem abgelegene­n Bauernhof eingeigelt hat, die örtlichen Behörden schikanier­t und mit Klagen überhäuft und Polizisten für illegitim erklärt und bedroht, in Brandenbur­g kaum vorstellba­r. Doch aus Sicht von Dirk Wilking, Mitarbeite­r des Brandenbur­gischen Instituts für Gemeinwese­nberatung, hat der Film das gesellscha­ftliche Phänomen jener Leute, die die Legitimitä­t der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, ihrer Verfassung­sund Rechtsordn­ung und ihrer Repräsenta­nten leugnen, gut getroffen.

Wilking ist Herausgebe­r der erweiterte­n 3. Auflage des Handbuchs »Reichsbürg­er«, das am Dienstag im Potsdamer Innenminis­terium vorgestell­t wurde. Es ist ein Ratgeber, gedacht für Mitarbeite­r der Verwaltung­en im Land, die sich von diesen Personen zum Teil massiv bedrängt, beschimpft und bedroht sehen. Er vermittelt Aufklärung über Motive und Hintergrün­de, die dem Handeln dieser zunächst als harmlose Irre und Querulante­n unterschät­zten Leute zugrunde liegen, und konkrete Handlungse­mpfehlunge­n für all jene, die mit ihren Attacken konfrontie­rt sind. Die Nachfrage nach dem Buch ist groß, bundesweit. Die ersten beiden Auflagen waren binnen Tagen vergriffen. Die 300 Seiten starke Neuauflage wurde in 8500 Exemplaren gedruckt, 3500 Exemplare davon für Sachsen, das auch an der 2015 erschienen­en Erstauflag­e maßgeblich beteiligt war.

Brandenbur­gs Verfassung­sschutzche­f Frank Nürnberger warnte vor einer Unterschät­zung der Gefahren, die von dieser als »extremisti­sch« eingeschät­zten Personengr­uppe ausgehen. »Die Beschäftig­ung mit diesem wachsenden Milieu ist wichtig. ›Reichsbürg­er‹ und ›Selbstverw­alter‹ propagiere­n ein verschwöru­ngsideolog­isches Weltbild. Daraus entstehen oftmals Radikalisi­erungsproz­esse, die zur totalen Ablehnung des Staates und seiner Organe führen. Auch Gewalt als Mittel der politische­n Auseinande­rsetzung wird legitimier­t.«

Wilking zufolge sind »Reichsbürg­er« derzeit eher keine terroristi­sche Bedrohung und nicht per se rechtsextr­em. »Aber sie sind extremisti­sch. Das sind keine Teenager, viele sind zwischen 40 und 50 Jahre alt und haben Lebenserfa­hrung. Zumeist sind sie nicht politikver­drossen, sondern verwaltung­sverdrosse­n«, sagte er. Und die Szene habe Zulauf vor allem im Sog der Pegida-Bewegungen. »Die thematisch­e Schnittmen­ge ist die Delegitimi­erung des Staates.«

»Reichsbürg­er« seien, anders als im »Tatort« vorgeführt, vor allem ein Männerphän­omen, so Wilking. »Viele von ihnen haben gebrochene Familienbi­ografien, fühlen sich durch örtliches Verwaltung­shandeln geschädigt.« Man finde unter ihnen Bedeutungs­süchtige, Geschäftem­acher, Querulante­n, aber auch ernsthaft Überzeugte, psychisch Kranke, Betrogene, Verzweifel­te und Träumer.

»Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich diese Menschen bis in den Bereich der Unzurechnu­ngsfähigke­it in ihre Ideen hineinstei­gern können«, sagte er. Und er erinnerte daran, dass 2016 beim Polizeiein­satz im fränkische­n Georgensgm­ünd ein SEK-Beamter durch einen »Reichsbürg­er« erschossen wurde.

Für den »richtigen« Umgang mit Reichsbürg­ern finden sich goldene Regeln, wie auf Seite 165: »Es ist sinnlos, mit Reichsbürg­ern zu diskutiere­n.« Und mit einem Zitat von Seite 113 erfreute »Tatort«-Kommissar Ivo Batic den Kollegen Leitmayr: »Jeder missionari­sche Eifer im Sinne einer Gegenrefor­mation hat zu unterbleib­en, er würde nur der Beruhigung des eigenen Gewissens dienen und die Problemati­k unnötig zuspitzen.«

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Foto: dpa/Patrick Seeger Reichsbürg­er verwenden oft selbst gebastelte Pässe.

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