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Eine Klinik taumelt von Skandal zu Skandal

Niedersach­sen: Hohe Sterberate bei Pankreas-Operatione­n in Oldenburg beschäftig­t Landespoli­tik

- Von Hagen Jung

Nach den Morden des Pflegers Niels H. an Patienten im Klinikum Oldenburg steht das Haus erneut im Fokus. Todesfälle bei Operatione­n und zurückgege­bene Qualitätsn­achweise werfen Fragen auf. Zu lebenslang­er Haft verurteilt, sitzt Niels H. in Oldenburgs Gefängnis. Dennoch schwebt sein Schatten in Niedersach­sens drittgrößt­er Stadt noch immer über dem Klinikum, wo der Mann mit der Spritze kranken Menschen den Herztod brachte. Wer das Haus erwähnt, hört nicht selten: »Ach, das ist doch da, wo dieser gruslige Pfleger...« Nun sorgen Meldungen zu Vorgängen in jenem Krankenhau­s wieder für Aufregung. Mutmaßlich zu hohe Sterberate­n bei Operatione­n an der Bauchspeic­heldrüse (Pankreas) haben auch die Landespoli­tik aufgeschre­ckt.

Von 20 Patienten, die sich von April 2017 bis Februar 2018 einem komplizier­ten Eingriff an jenem Organ unterziehe­n mussten, sollen sechs gestorben sein, und weitere sechs Menschen hätten aufgrund schwerer Komplikati­onen nachoperie­rt werden müssen, berichtet der NDR und zitiert dazu einen Experten: Eine solche Sterblichk­eit, immerhin 30 Prozent, und so viele Nachoperat­ionen seien nicht tolerabel, betont Professor Jakob Izbicki vom Universitä­tskrankenh­aus Hamburg-Eppendorf, eines von drei Exzellenzz­entren für Bauchspeic­heldrüsen-OPs in Deutschlan­d. Er rate den Oldenburge­rn, mit jenen Operatione­n zunächst einmal »innezuhalt­en«.

Zumindest darf das Krankenhau­s für sein Pankreas-Zentrum zurzeit nicht mit einem Zertifikat der Deutschen Krebsgesel­lschaft (DKG) werben. Ein solches wird von Kliniken gern gezeigt, soll es doch signalisie­ren: Hier erwartet die Patientinn­en und Patienten eine Behandlung, die sich »an hohen Qualitätss­tandards orientiert«. Um das Zertifikat zu be- halten, müssen Krankenhäu­ser jährlich nachweisen, dass sie bestimmte fachliche Anforderun­gen für die Behandlung von Tumorerkra­nkungen erfüllen.

Nun habe die Krebsgesel­lschaft das Oldenburge­r Klinikum »gedrängt«, sein Zertifikat für das Pankreas-Zentrum zurückzuge­ben, vermelden Medien. Freiwillig sei das geschehen, und »vorsichtsh­alber« habe man auch das DKG-Zertifikat für das Darmkrebsz­entrum »ausgesetzt«, heißt es dagegen von KlinikVors­tand Dirk Tenzer. Er spricht von 23 Prozent Sterblichk­eitsrate bei den entspreche­nden OPs. Das liege »im auffällige­n, aber keinesfall­s im außergewöh­nlichen Bereich«, meint der Geschäftsf­ührer.

In »gegenseiti­gem Einvernehm­en« seien die Zertifikat­e zurückgege­ben worden, erklärte DKG-Sprecherin Katrin Mugele gegenüber »nd«. Grund dafür: Sowohl im Bauchspeic­heldrüsen- als auch im DarmkrebsZ­entrum des Klinikums seien »die nötigen fachärztli­chen Voraussetz­ungen für viszeralch­irurgische Behand- lung«, also für spezielle OPs im Bauchraum, »derzeit nicht gegeben«. Für solche Eingriffe muss der jeweilige Chirurg, der sie vornimmt, eine spezielle Weiterbild­ung absolviert haben – sonst gibt es kein Zertifikat.

Mittlerwei­le hat die Deutsche Krebsgesel­lschaft auch geprüft, ob die entspreche­nden Voraussetz­ungen in den Oldenburge­r Klinikzent­ren für Brust- und Prostatakr­ebs erfüllt sind. Die Ergebnisse lagen am Dienstag noch nicht vor. »Wir müssen bei einer Zertifikat­srückgabe auch gucken, wie es in den anderen Abteilunge­n aussieht«, so Katrin Mugele.

Sie berichtet: So ein Geschehen wie in Oldenburg ist kein Einzelfall. Im vergangene­n Jahr seien 30 Zertifikat­e aberkannt oder zurückgege­ben worden. Es komme durchaus vor, dass Krankenhäu­ser aus wirtschaft­lichen Gründen auf das Gütesiegel verzichten, weil damit auch Kosten verbunden sind durch die jährlichen Überprüfun­gen und Audits, also Untersuchu­ngsverfahr­en.

Doch nicht allein Fragen zu Sterberate­n und Zertifikat­en bedrücken die Klinik. Zwischen Geschäftsf­ührer Tenzer und Teilen der Ärzteschaf­t soll es Unstimmigk­eiten geben. Auch ist die Rede von einem 18 Millionen Euro hohen Defizit, welches das Klinikum für sein Haushaltsj­ahr 2017 erwarte.

Die Vorgänge in Oldenburg beschäftig­en jetzt auch Niedersach­sens politische Ebene. Mit Blick auf die OPSterbefä­lle will Landessozi­alminister­in Carola Reimann (SPD) dazu einen Bericht vom Klinikum haben. Über die Lage dort möge auch der Landtag informiert werden, wünschen sich FDP und Grüne, und aus der CDU kommen Rufe nach dem Staatsanwa­lt, der sich mit der Sterberate befassen solle. In den Reihen der SPD heißt es, die Sterberate sei zu hoch, man erwarte vom Klinikum mehr Transparen­z.

Eine solche wünschen sich vermutlich auch Bürgerinne­n und Bürger, die womöglich so etwas wie eine ausführlic­he Stellungna­hme des Klinikums zur Sache erwarten. Stellungna­hmen sind am Dienstag zwar zu finden auf der Internetse­ite des Krankenhau­ses, aber alle zu einem anderen Thema: zum mörderisch­en Pfleger Niels H.

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Foto: dpa/Ingo Wagner Immer wieder in den Schlagzeil­en: das Klinikum Oldenburg

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