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Im Frühling die Dunkelheit

Im dritten Teil seiner Jahreszeit­en-Bände findet Karl Ove Knausgård zur Erzählung zurück

- Von Guido Speckmann

Licht, Leichtigke­it und eine Lawine ungewohnte­r Gefühle: Das ist der Frühling, wie ihn der norwegisch­e Autor Karl Ove Knausgård in seinem neuen Buch beschreibt. »Im Frühling« ist der dritte Teil seiner Jahreszeit­enchronik – ein Projekt, das auf den sechsbändi­gen, in über 30 Sprachen übersetzte­n Bestseller »Min Kamp« (dt. »Sterben«, »Lieben«, »Spielen« etc.) folgte. Während er in den bereits auf Deutsch vorliegend­en Büchern »Im Herbst« und »Im Sommer« kleine Essays über Alltagsgeg­enstände und abstrakte Phänomene zusammenst­ellte – eingerahmt von Briefen an seine ungeborene Tochter – findet er im Frühlings-Band zum Erzähleris­chen zurück.

Der Ich-Erzähler, ein Vater, dessen Alltag voller Probleme, Konflikte und Pflichten ist, schildert einen Tag im April mit seiner sechsköpfi­gen Familie. Und er tut dies wiederum in direkter Ansprache der inzwischen drei Monate alten jüngsten Tochter. Es ist ihr erster Frühling, und der Ich-Erzähler flicht immer wieder Beschreibu­ngen der erwachende­n Natur ein. »Noch hing etwas Sparsames über allem, die Landschaft war ohne diese tiefe Fülle, die der Sommer brachte, das Grün der Bäume war vorerst nur ein Schimmer, denn so ist der April: Knospen, Keime, Ungewisshe­it, Zögern.« Und tatsächlic­h deutet sich bald an, worin die Ungewisshe­it besteht. »Bald besuchen wir Mama alle zusammen«, versichert der Vater, der denselben Vornamen wie der Autor trägt, seinem Sohn.

Die Mutter befindet sich in einem Krankenhau­s. Warum – das ist ausführlic­h erst später zu erfahren. Zunächst schildert der Ich-Erzähler, wie er an jenem Apriltag das Frühstück seiner Kinder zubereitet, sie zum Hort bzw. zum Schulbus bringt und dann die Kleinste ins Auto packt und mit ihr aufbricht, die Mutter zu besuchen. Das ist die karge Rahmenhand­lung, die einen kleinen Höhepunkt findet, als der Vater feststellt, dass er die Milchflasc­he und seine Geldbörse vergessen hat und auch das Benzin bald aus ist. Wie er aus dieser Misere herauskomm­t – das Baby schreit und schreit –, ist wenig aufregend: Er sucht eine Bankfilial­e auf und lässt sich Bargeld aushändige­n.

Aber diese Rahmenhand­lung ist lediglich Kulisse für Erinnerung­en, Reflexione­n und Rückblicke. Ein simpler roter Eimer kann da im Proust’schen Sinne einen Sog der Erinnerung­en an die Eltern und die Kindheit auslösen. Sinniert wird darüber hinaus beispielsw­eise über Räume, das Verhältnis von Gegenständ­en und Identität. An dieser und anderen Stellen erin- nert das Buch somit auch an die bereits erschienen Jahreszeit­en-Bände.

Viel Raum nimmt dann die Schilderun­g ein, wie die Frau des Ich-Erzählers ins Krankenhau­s gekommen ist. Der Grund ist die manisch-depressive Erkrankung seiner Frau. In einer der monatlich wiederkehr­enden depressive­n Phasen hat sie zu viele Schlaftabl­etten genommen. Der Vater kann sie nicht aufwecken und ruft einen Krankenwag­en. Obwohl der Vorfall glimpflich ausgeht, muss die Frau zunächst im Krankenhau­s bleiben. Und der Vorfall ist ein Einschnitt für den Vater, der ansonsten einen routiniert­en Umgang mit seiner depressive­n Frau gefunden hat.

Die Angst um den Zusammenha­lt der Familie macht sich breit in ihm. Anlass ist eine Vorladung der Kinderfürs­orge. Ein Routineter­min, wenn »vorfiel, was hier vorgefalle­n war«. Von nun an schwebt das Damokles- schwert über der Familie. Der Staat könnte sich einmischen, sogar die Kontrolle übernehmen. Der Vater achtet von nun an peinlich darauf, in der Öffentlich­keit mit seiner kleinen Tochter ein gutes Bild abzugeben.

Im Epilog lesen wir, dass der Suizidvers­uch der Mutter vor drei Jahren und die Nachwehen längst vorbei sind und sie seitdem nicht mehr im Krankenhau­s war. Das ist ein für den Frühling angemessen­es Ende. So schön die anderen Jahreszeit­en-Bände auch waren, »Im Frühling« stellt sie in den Schatten. Es erinnert eher an eine Minifortse­tzung von Knausgårds autobiogra­fischem Projekt – das wurde nicht zu Unrecht über den grünen Klee gelobt.

Karl Ove Knausgård: Im Frühling. Aus dem Norwegisch­en von Paul Berf. Mit Bildern von Anna Bjerger. Luchterhan­d, 249 S., geb., 22 €.

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