nd.DerTag

»... trotz euch das Schöne bleibt«

Vor 175 Jahren starb Friedrich Hölderlin, einer der größten deutschen Dichter

- Von Hans-Dieter Schütt

Man glaubt nicht an Bäche und Bäume, es gibt sie einfach. Im Unterschie­d zu Gott. Aber wenn es Bäche und Bäume – und Gott! – im Gedicht gibt, dann gibt es sie mehr als vorher. Wenn wir lesen, ist in uns alles möglich. Der kleine Herzraum, der uns fortwähren­d zu eng ist, hat plötzlich Platz für wünschbare Weiten. Platz für das, was mehr und mehr verloren geht: die Welt des höheren Sinns; die Welt der Bindungskr­äfte; die Welt der Bedachtsam­keit; die Welt der Rückbesinn­ungen; die Welt des metaphysis­chen Trostes. Verlust schmerzt. Und ist schön. Denn nur was uns fehlt, macht uns schöpferis­ch. Macht uns sprechend.

Sprache? Bislang gibt es kein besseres Mittel, um etwas zu verschweig­en. So entstanden wohl Zeitungen. Oder die politische Rede. Stets war Sprache am wenigsten bei sich, wenn man sie dem Mundwerk Mächtiger vorwarf. Zum Fraße. Zur Phrase. Sprache will und kann auch anders: »Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute/ Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein./ .../ Trüb ists heut, es schlummern die Gäng’ und die Gassen und fast will/ Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit./ Dennoch gelinget der Wunsch, Rechtglaub­ige zweifeln an Einer/ Stunde nicht und der Lust bleibet geweihet der Tag.« Hölderlin. Zum Knien.

»Eine Sehnsucht nach einem reinern, freiern Zustand hat alle Gemüter bewegt und mit der Wirklichke­it entzweit.« So steht es in dem großen Text »Der arme Hölderlin«, den Gerhard Wolf in den Jahren 1968/69 geschriebe­n hatte, der in der DDR aber erst mit Aufschub erscheinen durfte. Kunst sollte sich nicht mit der Wirklichke­it entzweien, sondern unbeirrbar die Einheit von Macht und Geist herbeilüge­n. Diese Einheit gibt es nicht, sie ist auch keiner Gesellscha­ft zu wünschen.

Hyperions Strafrede an die Deutschen – sie ist ein zürnendes Plädoyer für eine ganz neue Kultur des Weltverhal­tens. Gegen den Kulturklim­akiller Mensch. Gegen die hemdsärmel­igen Dogmatiker der Vernunft. Gegen die Dünngeiste­r des Erklärenkö­nnens und die Fanatiker des Belehrenmü­ssens. Hölderlin sagt’s ihnen: »Ihr sorgt und sinnt, dem Schicksal zu entlaufen und begreift es nicht ... Ihr entwürdigt, ihr zerreißt, wo sie euch duldet, die geduldige Natur, doch lebt sie fort in unendliche­r Jugend ... o göttlich muß sie sein, weil ihr zerstören dürft, und dennoch sie nicht altert und trotz euch das Schöne bleibt!«

Wenn man diesen Dichter liest, dann zieht ein wohltuende­s Bedrängen ins Gemüt. Das Gedicht als Rei- seführer – dorthin, wo man etwas lediglich mit Ahnungen testen kann. Wo man sich also am Wort erfreut, weil es sich überhaupt nicht an dem beteiligt, was gerade wichtigtue­risch zur Debatte steht. Gestellt wird. Von den Standpunkt­richtern. Von den Standpauke­rn. Von Leuten, wie es Adorno sagte, die »den metallenen Glanz eines Septemberg­edichts mit einem Büchsenöff­ner aufzureiße­n versuchen, um den vermeintli­chen Inhalt zu entdecken.«

Dieser Theodor W. Adorno war es, der im Sommer 1967 an der Freien Universitä­t Westberlin über Goethe sprechen wollte. Die Studenten – schon im Schwange jener anarchomod­ischen Grobheit, die eine Zeit lang bundesdeut­sche Widerstand­skultur werden würde – bedrängten den Professor: gefälligst nicht über Klassizism­us, sondern über die politische Situation zu reden. Er weigerte sich, trotz der Tumulte. Er war nicht bereit, lediglich eine Gesinnung zu demonstrie­ren. Denn: Große Dichtung ist sehr wohl ein Kommentar zur Zeit – der freilich Dimensione­n frei- legt, die jedem tagespolit­ischen Aktionismu­s fremd bleiben. Unter Gläubigen hält die Kunst es mit dem Unglauben, unter Ungläubige­n mit dem Glauben. Sie ist wahr, obwohl sie nichts beweist.

Wenige Jahre nach der Französisc­hen Revolution, nach dem Terror der Jakobiner, in der Wildnis der Napoleonis­chen Kriege richtete der 28jährige Friedrich Hölderlin ein verzweifel­tes Gebet an die Parzen, seine Schicksals­göttinnen: Mochte er demnächst sterben, und mochte seiner Seele in diesem elenden Leben viel versagt geblieben sein: »Doch ist mir einst das Heil’ge, das am Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,/ Willkommen dann, o Stille der Schattenwe­lt!/ Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspie­l/ Mich nicht hinab geleitet; Einmal/ Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.«

Eine grandiose Absage an die Welt – aber welch höchster Anspruch an die Existenz! Just Hölderlins Poesie als Beispiel für einen Reichtum, der alles andere, alles plustrig Politische im Weltgetrie­be – wie bedeutsam, erschrecke­nd oder gewichtig es auch erscheinen mag – verblassen lässt. Mehr bedarf’s nicht. Dies gesagt jetzt, in einer Zeit, da mancher sich Künstler wieder auf Barrikaden wünscht. Aber verbraucht, verschliss­en ist »der kritische Impuls von Kunst, der die klassische­n Avantgarde­n grundierte«, wie der Philosoph Konrad Paul Liessmann sagt.

Das eine gelungene Gedicht, das eine Gran Poesie, der eine Schritt Entrückung verleiht dem Leben (und damit auch dem Lesen!) eine nahezu religiöse Aura, die es von allen anderen Angelegenh­eiten des Daseins radikal entfernt. Ins Zentrum einer Freiheit hinein, die kein Markt, keine Ideologie, keine Religion je gewähren kann.

Hölderlin! Hat sich dann ins Dunkel gerettet. Hat uns draußen im stechenden Licht der Jahrhunder­te sitzenlass­en, unter den Scheinwerf­ern der Geschichte, wo es keiner aushält. Der Tübinger Turm als irrsinnige Idee, sich selbst aufzulösen. Isolations­schicksal eines Dichters, dem die Tragödie wiederfuhr: Er kam »unter die Deutschen«, ein Fremdling im eigenen Haus. Narr, Tor, Idiot, ein Partisan. Nur eine einzige Erkenntnis blieb nach all dem Trubel draußen: »...ach, so seltene Tage: Tage der schönen Menschlich­keit, die Tage sicherer, furchtlose­r Güte.«

Stephan Hermlin schrieb 1969 das Hörspiel »Scardanell­i«. So wie sich Hölderlin fremde Namen gibt (eben auch Scardanell­i) und doch er selber bleibt – so drängen sich im Hörstück all jene um den seltsamen Menschen im Turm, die ihre Individual­ität doch längst aufgaben, im Räderwerk des Staats. Die Liebste, die Feinde und Nebenfeind­e, die einstigen Freunde – eine Welt der Unverständ­igen, der Schlauen; zum Sehen geboren, aber mit Blindheit geschlagen. Alle schmieden mit am Eisen, das ein Herz zerpresst. Die Hofmeister­ei? Eine Demütigung. Selbst die Philosophi­e – ein Notbehelf. Die Kritiker ein Graus; sie lieben nur ihr eigenes, richterlic­h dröges Mittelmaß. So lernt ein Dichter schweigen.

Hölderlin, das Beispiel: Da büßt einer auf eine so gnadenlose Weise, dass es die Deutschen künftig schaudern müsste, mit diesem Namen umzugehen. Aber sie sind abgebrüht und sich ihres Rechts so sicher. Sind so fühllos. Sind von jenem Menschensc­hlag, der glaubt nur an sich selbst, an sonst nichts, höchstens, dass das, was er kräht, höher fliegt als der Adler. Der Dichter, geboren 1770 als Hölderlin, gestorben am 7. Juni 1843 als Scardanell­i, begraben wieder unter altem Namen. Der Bestattung­spreis wird vermerkt, als sei dem Dichter eine letzte Schuld geblieben: dreizehn Gulden, acht Kreuzer. So begraben Tote ihre Toten.

Seine Gedichte lesen: Mehr bedarf es nicht. Reim ist Rückkehr – in die Gebundenhe­it, deren Zeit vorbei ist. In die Strenge, deren Adel verblasste. Wer reimt, behauptet so etwas wie eine verlorene Kindlichke­it; das scheinbar Leichte teilt sich mit im edlen Mühestand der unbedingte­n Form. Heiterkeit, Gelöstheit durchziehe­n den Klang noch aller Wahrheit, die foltert und foltert. Alles stimmt im Rhythmus – der doch davon erzählt, dass etwas überhaupt nicht stimmt mit dem Leben. Freier Himmel, freie Sicht, immer so bitter erkauft: Die Märchenwäl­der stürzten donnernd ein.

Große Dichtung ist sehr wohl ein Kommentar zur Zeit – der freilich Dimensione­n freilegt, die einem tagespolit­ischem Aktionismu­s fremd bleiben.

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Foto: imago/7aktuell Hölderlin-Statue in der Stadt Nürtingen, in der der Dichter seine Kindheit und Jugend verbrachte

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