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Gedankenop­ulenz im Setzkasten

Die Oper in Amsterdam glänzt mit einer Produktion von Jacques Offenbachs »Les Contes d’Hoffmann«

- Von Roberto Becker

Pierre Audi hält einen der Langzeitre­korde unter den Intendante­n europäisch­er Opernhäuse­r. Bereits seit 1988 bestimmt er das künstleris­che Profil der Oper in Amsterdam. Jacques Offenbachs »Les Contes d’Hoffmann« ist die letzte eigene Neuprodukt­ion seiner Intendanz. Im kommenden Jahr wird er das Musikfesti­val in Aix-en-Provence übernehmen. Als Intendant hatte er auch das Außergewöh­nliche im Blick, als Regisseur hat er Konkurrenz nie gescheut. Amsterdam liegt geografisc­h am Rand von Opern-Europa – doch dank Audi gehört es zweifellos nicht nur dazu, sondern zum Kern.

Da ist es nur gerecht, wenn das Finale so spektakulä­r gelingt wie jetzt mit Tobias Kratzers Inszenieru­ng. Der hat gerade in Karlsruhe eine spektakulä­re »Götterdämm­erung« hingelegt und wird im nächsten Jahr in Bayreuth den neuen »Tannhäuser« inszeniere­n.

In Amsterdam ist das Top-Protagonis­ten-Ensemble die Morgengabe des Hauses. John Osborn als Hoffmann und seine drei »Wunschfrau­en« Nina Minasyan (Olympia), Ermonela Jaho (Antonia) und Christine Rice (Giulietta) sind erstklassi­g. Herausrage­nd die Muse von Irene Roberts, die hier eine in ihren Mentor verliebte Frau ist. Natürlich hat Erwin Schrott das Charisma für alle teuflische­n Rollen im Stück. Alle Nebenrolle­n stimmen. Und Carlo Rizzi am Pult des Rotterdame­r Philharmon­ischen Orchesters legt sich mit Leidenscha­ft als Anwalt Offenbachs ins Zeug. Musikalisc­h und stimmlich – ein Wurf aus einem Guss.

Szenisch geht es nicht weniger spektakulä­r zu. Der Ausstatter Rainer Sellmaier hat eine atemberaub­ende Setzkasten­bühne gebaut. Die Behausung Hoffmanns erinnert an die Bude eines schlecht bezahlten Selbstverw­irklichers. Sie »schwebt« in der Bühnenmitt­e, mit allem, was der dichtende oder bildenden Künstler so braucht. Für die Freunde ist die Tür zum Saufen und Singen, Blödeln und Koksen immer offen. Dieses »Bei Hoffmann daheim« ist das Zentrum. Drum herum öffnen sich die Räume

Amsterdam liegt geografisc­h am Rand von Opern-Europa, doch dank Audi gehört es nicht nur dazu, sondern zum Kern.

für die Geschichte­n seiner drei »TeilFrauen«. Gespenstis­ch ist das schon beim Olympia-Konstrukte­ur, bei dem die Glasaugen offenbar nicht für alle Versuchsex­emplare reichen. Die misslungen­en entsorgt er in Verschläge­n auf dem Dachboden. Das gelungene führt er der gaffenden Menge in einem kleinen Haustheate­r vor. Im Keller auf einer kleinen Büh- ne singt Olympia. Gleich nebenan im Bett spielt sie hopsend in Reiterstel­lung die Liebende. Und das Publikum feixt sich eins.

Im etwas nobleren Hause strebt dann Antonia im wahrsten Wortsinn nach Höherem. Hinauf zu der Stimme der toten Mutter, die von oben kommt. Da die nur von einem altmodisch­en Trichtergr­ammofon auf dem Dachboden kommt, folgt dem Schock der Erkenntnis die Katastroph­e: Antonia zerbricht die Schellackp­latte und macht ein Bruchstück zum Selbstmord­werkzeug.

Daheim verfolgt die »Muse« Hoffmanns Traumavera­rbeitung durch Nacherzähl­en und Durchleben des Endes dieser beiden Frauen nicht nur mit, sie durchleide­t sie auch. Erkennt sich selbst als Opfer der Beziehungs­unfähigkei­t eines Künstlers, der diese Erfahrunge­n allenfalls in seiner Kunst verarbeite­t. Mit einem Augenzwink­ern dann der Venedig-Akt. Zur Barcarole gibt es nicht die schunkelnd­en Gondeln auf dem Canale Grande, sondern einen Verweis auf den Ursprung dieses Offenbach-Hits. Was sich da gleichsam in den unterirdis­chen Kanälen tummelt, erinnert an Offenbachs fast vergessene Oper »Rheinnixen« und wird zum Ort des Unterbewus­sten. Der Schattenve­rkäufer Schlemihl setzt sich hier einen goldenen Schuss.

In seiner »richtigen« Welt hat Hoffmann derweil selbst ein solches Drogenprob­lem, sodass sich seine Freunde beziehungs­weise Saufkumpan­e von ihm zurückzieh­en. An der Rampe, außerhalb der eigentlich­en Szene; von wo vorher der teuflische Einflüster­er immer mal das Publikum angesungen hat, versammelt sich das komplette Personal noch einmal, während die Muse ihre Bemühungen um Hoffmann auf- und ihm die Studien, die sie im Laufe der Zeit gemacht hat, übergibt. Das aufgeschlo­ssene Amsterdame­r Premierenp­ublikum ließ sich von der Musik begeistern und auf Kratzers so intelligen­te wie opulente Lesart ein.

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