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Weniger Tupfer vergessen

Medizinisc­her Dienst fordert Melderegis­ter für Behandlung­sfehler

- Von Rainer Balcerowia­k

Die gesetzlich­en Krankenkas­sen haben im vergangene­n Jahr etwas weniger Behandlung­sfehler in Kliniken und Arztpraxen festgestel­lt. Patientens­chützer fordern ein Zentralreg­ister. Der Medizinisc­he Dienst der Krankenver­sicherung (MDK) hat im vergangene­n Jahr 13 519 Gutachten zu möglichen Behandlung­sfehlern erstellt. Die MDK-Fachärzte bestätigte­n jeden vierten Behandlung­sfehlerver­dacht (24,7 Prozent). In jedem fünften Fall (19,9 Prozent) stellten sie fest, dass die Schädigung des Patienten durch den Fehler verursacht wurde. Zwei Drittel der untersucht­en Fälle bezogen sich auf stationäre Behandlung­en, vor allem auf operative Eingriffe.

Das sind weniger Fälle als in den Vorjahren. Allerdings werde nur ein Bruchteil der Behandlung­sfehler abgebildet, betonte Max Skorning, Leiter der Stabsstell­e Patientens­icherheit beim MDK, am Dienstag in Berlin anlässlich der Vorstellun­g der Jahresstat­istik. Viele Schadensan­sprüche würden ohne Einbeziehu­ng der Krankenkas­sen durch Schlichtun­gsstellen der Ärztekamme­rn sowie durch Gerichts- und außergeric­htliche Schlichtun­gsverfahre­n reguliert. Zudem würden »die meisten möglichen Behandlung­sfehler nicht gemeldet, da sie von Patienten entweder nicht als solche erkannt oder als belastend empfundene Verfahren gescheut werden«, so Skorning. Aufgrund von Hochrechnu­ngen geht der MDK davon aus, dass lediglich drei Prozent aller Fälle aktenkundi­g werden.

Der MDK fordert daher ein zentrales Melderegis­ter für alle in Kliniken, Pflegeeinr­ichtungen und Arztpraxen aufgetrete­nen Behandlung­sfehler. Nur so könnten weitere Fortschrit­te bei der Prävention erzielt werden. Als positives Beispiel nannte Skorning die gesetzlich­en Regelungen zum Arbeitssch­utz. Die für Arbeitsunf­älle aller Art geltende Meldepflic­ht sei ein wichtiger Baustein für die Analyse und Überwindun­g von Risiken gewesen und habe letztendli­ch zu einem deutlichen Rückgang von schweren Arbeitsunf­ällen geführt. Die Erfahrunge­n aus den USA, Großbritan­nien und den Niederland­en machten deutlich, dass auch eine Meldepflic­ht für Behandlung­sfehler zu deren Reduzierun­g beitragen könne.

Auch Patientens­chützer fordern ein Zentralreg­ister für Behandlung­sfehler und Pflegefehl­er, um mehr Transparen­z zu schaffen. »Fehler ist Fehler«, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, der Deutschen PresseAgen­tur. Es müsse Schluss damit sein, dass Krankenkas­sen, Ärztekamme­rn und Gerichte Fehler nebeneinan­derher sammelten. Viele Patienten warteten zudem seit Jahren auf einen Härtefallf­onds, der bei tragischen Fällen schnell hilft.

Der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer des MDK, Stefan Gronemeyer, nannte die Jahresbila­nz »ernüchtern­d«. Man sehe Jahr für Jahr »die gleichen Fehler, und vor allem Feh- ler, die eigentlich nie passieren dürften« vom im Körper vergessene­n Tupfer bis hin zu Verwechslu­ngen von Patienten. Auch die immer wieder auftretend­en Druckgesch­würe bei längeren Liegezeite­n seien vermeidbar. Gerade in der »modernen, komplexen Hochleistu­ngsmedizin« mit ihren stark verdichtet­en Abläufen komme der systematis­chen Fehlerpräv­ention eine große Bedeutung zu.

Enttäuscht äußerte sich Gronemeyer über die neue Bundesregi­erung. Der Koalitions­vertrag enthalte »keinerlei Maßnahmen zur Verbesseru­ng der Patientens­icherheit«, sondern lediglich eine vage Ankündigun­g, die Einrichtun­g eines Entschädig­ungsfonds für betroffene Patienten zu prüfen. Es liegt auf der Hand, dass bestimmte Lobbygrupp­en wie Klinikbetr­eiber wenig Interesse an Melderegis­tern haben, da sie um den Ruf ihres Unternehme­ns fürchten. Daher setze man auf dieser Seite eher auf möglichst geräuschlo­se Lösungen durch individuel­le Entschädig­ungen, meist verbunden mit einer umfassende­n Schweigeve­rpflichtun­g der Geschädigt­en. Auch die Versicheru­ngen veröffentl­ichen keine Daten über von ihnen regulierte Fälle.

Die MDK-Vertreter appelliert­en an alle von möglichen Behandlung­sfehlern Betroffene, sich an ihre Krankenkas­se zu wenden. Diese sind nach dem Patientenr­echtsgeset­z verpflicht­et, den Versichert­en zu helfen und ein kostenfrei­es Gutachten durch den MDK erstellen zu lassen. Die Kassen begleiten dann auch das weitere Prozedere.

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