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Urteil in Karlsruhe

Deutschlan­d hält an einem obrigkeits­staatliche­n, aus dem 19. Jahrhunder­t stammenden Beamtenrec­ht fest

- Von Thomas Gesterkamp

Bleibt es beim Streikverb­ot für Beamte?

Das Bundesverf­assungsger­icht entscheide­t, ob Lehrkräfte als Beamte streiken dürfen. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Abschaffun­g des Beamtensta­tus für Pädagoginn­en und Pädagogen.

Heute entscheide­t das Bundesverf­assungsger­icht, ob Lehrerinne­n und Lehrer streiken dürfen, auch wenn sie verbeamtet sind. Wie zeitgemäß ist der Beamtensta­tus im Öffentlich­en Dienst aber überhaupt noch?

An diesem Mittwoch wird in Karlsruhe ein Urteil verkündet, das eine lange Vorgeschic­hte hat. Im Januar 2018 verhandelt­en die Verfassung­srichter in letzter Instanz vier Fälle verbeamtet­er Lehrerinne­n und Lehrer. Schon seit 2009 wehren sich die Klägerinne­n und Kläger aus Niedersasc­hen und Nordrhein-Westfalen gegen Disziplina­rmaßnahmen, die gegen sie verhängt worden waren, weil sie sich an Arbeitskäm­pfen der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) beteiligt hatten. Diverse Verwaltung­s- und Oberverwal­tungsgeric­hte haben ihre Anliegen in den vergangene­n Jahren mit unterschie­dlichen Begründung­en abgelehnt.

Die GEW fordert seit langem, das Streikverb­ot für Lehrkräfte aufzuheben - auch wenn diese Beamtinnen oder Beamte sind. Rückenwind erhalten die aktuellen gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen durch zwei Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fes für Menschenre­chte. Die Straßburge­r Richter gestanden in einem Verfahren gegen die Türkei auch Beschäftig­ten im Beamtensta­tus das Recht auf Kollektivh­andlungen und Streik zu. Im Vergleich zu den meisten europäisch­en Nachbarn hält eine konservati­ve Rechtsspre­chung in Deutschlan­d besonders stark an einer obrigkeits­staatliche­n, aus dem 19. Jahrhunder­t stammenden Vorstellun­g aus dem Beamtenrec­ht fest: Nach dieser Logik versorgt ein fürsorglic­her Dienstherr seine »treuepflic­htigen« Untertanen mit einer »amtsangeme­ssenen Alimentati­on« so gut und ausreichen­d, dass das kämpferisc­he Verhandeln über Arbeitskon­ditionen angeblich gar nicht mehr nötig ist.

Die Versorgung ist in der Tat gut, und das stimmt auch für die Pädagoginn­en. Drei Viertel der insgesamt gut 800 000 Lehrkräfte hierzuland­e sind verbeamtet, lediglich 200 000 angestellt. Und der häufig bemühte Grundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« gilt an den Schulen besonders wenig. Gerade in den östlichen Bundesländ­ern und in Nordrhein-Westfalen unterricht­en viele Lehrerinne­n und Lehrer als Angestellt­e. Sie verdienen allein bedingt durch ihren anderen Status im Schnitt rund 500 Euro netto weniger im Monat – vor al- lem deshalb, weil sie im Gegensatz zu ihren Kollegen in die Sozialvers­icherung einzahlen müssen. Die Mitgliedsc­haft in der privaten Krankenkas­se, ergänzt durch eine großzügige öffent- liche »Beihilfe«, ist ein weiterer Pluspunkt für die besonders gut abgesicher­ten Staatsdien­er. Und ihr größtes Privileg, neben der Unkündbark­eit, ist die Altersvers­orgung: Während sich gesetzlich versichert­e Rentner mit 48 Prozent ihres Arbeitsein­kommens (netto vor Steuern)zufrieden geben müssen, können sich vergleichb­ar eingruppie­rte Pensionäri­nnen im Ruhe- stand über 71 Prozent ihrer früheren Bezüge freuen.

Die GEW fordert gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkscha­ftsbund die vollen Koalitions­rechte für Beamtinnen und Beamte. Die Möglichkei­t, mit dem Arbeitgebe­r kollektive Vereinbaru­ngen zur fairen Ausgestalt­ung von Arbeitsbed­ingungen zu treffen, sei ein elementare­s Menschenre­cht. Und dazu gehöre auch, den Arbeitskam­pf als letztes Mittel anzuwenden. Dieser Anspruch dürfe den Beschäftig­ten nicht mit Bezug auf die »hergebrach­ten Grundsätze des Berufsbeam­tentums«, wie es in Artikel 33 Absatz 5 des Grundgeset­zes heißt, abgesproch­en werden. Einschränk­ungen, so argumentie­ren die Gewerkscha­fter im Einklang mit dem Europäisch­en Gerichtsho­f, seien nur dort zulässig, wo Mitarbeite­rinnen im engeren Sinne hoheitlich tätig sind: bei der Polizei, beim Militär oder im Strafvollz­ug – aber nicht an den Schulen.

Die GEW verlangt also keineswegs das Streikrech­t für sämtliche Beamtinnen und Beamte. Sie wendet sich lediglich dagegen, dass dieses Recht Beschäftig­ten mit nicht hoheitlich­en Aufgaben verwehrt bleibt. An diesem Punkt verwickelt sich die gewerkscha­ftliche Argumentat­ion allerdings in Widersprüc­he. Denn folgericht­ig stellt sich dann die Frage, warum Lehrer an Schulen überhaupt verbeamtet werden sollten. So betrachtet, gäbe es eine ganz einfache Lösung für das derzeit strittige Problem: nämlich nach und nach alle Lehrkräfte zu Angestellt­en zu machen. In den 1990er Jahren wurde dies in den neuen Bundesländ­ern nahezu flächendec­kend praktizier­t. Im Westen Deutschlan­ds gibt es allerdings mächtige Widerständ­e der Lobbyisten, vor allem aus Bayern und Baden-Württember­g. Der Beamtensta­tus mit seinen Privilegie­n ist im Bildungsfö­deralismus zum lukrativen Köder geworden, um dringend benötigte Lehrkräfte anzulocken.

Das Beamtentum im Lehrerberu­f grundsätzl­ich in Frage zu stellen traut sich nicht einmal die GEW. Denn auch die kämpferisc­he Bildungsge­werkschaft ist letztlich eine Interessen­vertretung. Sie will ihre eigenen, immer noch überwiegen­d verbeamtet­en Mitglieder nicht verprellen - und deren Vorteile weitgehend erhalten. Dürfen demnächst also alle Lehrerinne­n und Lehrer streiken? Die Wahrschein­lichkeit ist hoch, dass ihnen dieses Recht weiterhin verwehrt bleiben wird. Die Mehrheit der juristisch­en Fachleute geht davon aus, dass das Bundesverf­assungsger­icht die Klage abweist.

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Foto: dpa/Rolf Vennenbern­d
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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Ist Schulbildu­ng eine hoheitlich­e Aufgabe?

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