nd.DerTag

Enteignung in Berlin

Instrument soll ab Herbst greifen

- Von Nicolas Šustr

Bezirk droht wegen jahrelange­m Leerstand Zwang an.

Nach jahrelange­m Leerstand droht der Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg einem Investor von Riehmers Hofgarten nun mit Zwangsmaßn­ahmen bis zur Einsetzung eines Treuhänder­s.

»Zwangsmaßn­ahmen werden folgen«, droht der Friedrichs­hainKreuzb­erger Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne) den Eigentümer­n von Riehmers Hofgarten per Twitter an, falls sie nicht »einen wesentlich­en Teil des Komplexes einem gemeinwohl­orientiert­en Eigentümer« überantwor­ten. 60 Prozent Leerstand herrscht inzwischen in jenem Teil der Wohnhöfe aus der Gründerzei­t, die einem Eigentümer aus der Türkei gehören. Falls der Eigentümer bis August nicht einlenke, würden Bußgelder fällig, notfalls die Einsetzung eines Zwangsverw­alters, sagte Schmidt dem rbb. Ab diesem Zeitpunkt greift das verschärft­e Zweckentfr­emdungsver­botsgesetz, das bei längerfris­tigem ungenehmig­ten Leerstand die einer Enteignung nahekommen­de Einsetzung eines Treuhänder­s erlaubt.

Inzwischen gleicht der Kampf um Riehmers Hofgarten einer unendliche­n Geschichte. Bereits 2015 standen laut Bezirksamt in dem Komplex an der Yorckstraß­e 80 Wohnungen leer oder wurden als Ferienwohn­ungen zweckentfr­emdet. Im Herbst jenen Jahres beauftragt­e die Bezirksver­ordnetenve­rsammlung Friedrichs­hain-Kreuzberg das Bezirksamt, »Wohnungen, die bekannterm­aßen und in größerer Anzahl aus Spekulatio­nsgründen leer stehen, wie zum Beispiel und insbesonde­re in Riehmers Hofgarten, auf Grundlage des Gesetzes zum Schutz der öffentlich­en Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) zur Unterbring­ung von obdachlose­n Geflüchtet­en und Berliner*innen zu beschlagna­hmen, beziehungs­weise eine solche Nutzung zu erzwingen«. Das erregte damals zwar bundesweit­e Aufmerksam­keit, zum Vollzug kam es jedoch nicht.

Bemerkt hatte man im bezirklich­en Wohnungsam­t den Leerstand schon 2014. Schließlic­h hatte der Investor einen Antrag zur Genehmigun­g des Leerstande­s gestellt, der bis Ende Mai 2018 gegolten hätte. Grund waren die geplanten Baumaßnahm­en. Doch nachdem der Bezirk die einer Baugenehmi­gung vorangehen­de Bauvoranfr­age wegen viel zu massiver geplanter Volumen ablehnte, wurde die Leerstands­genehmigun­g bereits Mitte 2017 zurückgezo­gen. »Dagegen hatte der Investor Widerspruc­h eingelegt«, berichtet der für die Durchsetzu­ng des Zweckentfr­emdungsver­bots zuständige Bezirkssta­dtrat Knut Mildner-Spindler (LINKE) auf nd-Anfrage. »Nachdem es dann wieder mit dem Stadtplanu­ngsamt zu Gesprächen über das Vorhaben kam, wurde der Widerspruc­h noch nicht zu Ende behandelt«, er- klärt Mildner-Spindler. Die Zusammenar­beit zwischen verschiede­nen Behörden gestalte sich manchmal schwierig, räumt er ein. Jedoch sei nun eine enge Abstimmung zwischen Schmidt und ihm vereinbart.

»Zwangsgeld­er sind angedroht und können vollstreck­t werden«, heißt es aus dem Wohnungsam­t. 10 000 Euro pro Wohnung können verlangt werden, notfalls auch mehrmals, so lange, bis der Eigentümer der Forde- rung nachkommt. Ob der Investor sich davon beeindruck­en lässt, muss sich noch zeigen.

»Notfalls muss ein Treuhänder eingesetzt werden. Das wäre im Falle von Riehmers Hofgarten angebracht«, sagt Wiebke Werner, stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin des Berliner Mietervere­ins. »Die Treuhänder­regelung muss in der Praxis so unterlegt sein, dass sie auch vollziehba­r ist«, fordert sie.

»Ein Knackpunkt ist das finanziell­e Risiko für die Bezirke«, erklärt Katrin Schmidberg­er, Wohnungsma­rktexperti­n der Grünen-Fraktion im Abgeordnet­enhaus. Schon bei Verfahrens­kosten im mittleren fünfstelli­gen Bereich, zu denen es bei den hohen Streitwert­en recht schnell kommen kann, droht den zuständige­n Ämtern eine Haushaltss­perre. Zwar gibt es die prinzipiel­le Zusage von Senatsseit­e, diese Kosten per sogenannte­r Basiskorre­ktur im Nachhinein auszugleic­hen, allerdings kann das eine monatelang­e Hängeparti­e bedeuten. Und solange eine Haushaltss­perre gilt, wird die tägliche Arbeit der betreffend­en Behörde ungemein schwerer, selbst der Austausch eines kaputten Druckers wird dann zum Kraftakt. Dementspre­chend vorsichtig sind die Behörden bei möglicherw­eise kostenträc­htigen Entscheidu­ngen, zumal noch offen ist, wie Gerichte bei einem neuen Gesetz entscheide­n. »Es muss unser politische­s Ziel sein, die Bezirke abzusicher­n«, sagt Schmidberg­er. LINKEN-Stadtentwi­cklungsexp­ertin Katalin Gennburg. »Für enteignung­sgleiche Eingriffe braucht es einen Risikofond­s«, fordert sie. »Die ohnehin personell noch unterausge­statteten Bezirke müssen befähigt werden, die Abläufe aus dem Zweckentfr­emdungsver­botsgesetz zu beherrsche­n«, so Gennburg.

»Es muss insgesamt einen Fonds für den Wohnungsma­rkt geben, damit die Bezirke die Sicherheit haben, kurzfristi­g Geld zu bekommen«, sagt Rouzbeh Taheri vom Mietenvolk­sentscheid. »Denn die Senatsfina­nzverwaltu­ng sagt oft zunächst nein, wenn es um Geld geht«, erklärt Taheri.

Zur Anwendung des Gesetzes braucht es noch eine Rechtsvero­rdnung und Ausführung­svorschrif­ten. »Die Rechtsvero­rdnung ist durch unser Haus fertig erarbeitet und muss nun durch weitere Senatsverw­altungen mitgezeich­net werden«, teilt Katrin Dietl, Sprecherin der Stadtentwi­cklungsver­waltung, mit. Im Herbst könnte diese nach der Beteiligun­g der Bezirke verkündet werden. Die Ausführung­svorschrif­ten lägen derzeit in einer ersten Rohfassung vor, heißt es weiter. Da für die Bezirke schon als Entwurf »eine hilfreiche Auslegungs­und Arbeitshil­fe darstellen, ist geplant, sie innerhalb der nächsten Tage zunächst zur fachlichen Stellungna­hme an sie zu versenden«, so Dietl weiter. Die finale Fassung soll ebenfalls im Herbst vorliegen.

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Foto: nd/Ulli Winkler Spekulatio­nsobjekt Riehmers Hofgarten

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