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SPD will Kanzlerkan­didaten frühzeitig küren

Vorstand diskutiert über Analyse zum schlechten Abschneide­n bei der Bundestags­wahl

- Von Aert van Riel

Die Sozialdemo­kraten setzen bei ihrem sogenannte­n Erneuerung­sprozess große Hoffnungen auf Imageberat­er. Dabei gerät die Debatte über Inhalte zusehends aus dem Blick.

Die SPD-Führung hat weitere Konsequenz­en angekündig­t, die sie aus ihrem Wahldebake­l vom September ziehen will. Nach einer Sitzung der Parteispit­ze am Montag erklärte Generalsek­retär Lars Klingbeil im Berliner WillyBrand­t-Haus, dass die SPD künftig langfristi­ger planen werde. »Bis Anfang des Jahres 2020 klären wir unser Programm«, sagte der Sozialdemo­krat. Danach solle die Partei »in einem rechtzeiti­gen und geordneten Verfahren« einen Spitzenkan­didaten aussuchen, der am besten zu diesem Programm passt.

Damit bezog sich Klingbeil auf einen Bericht von einem Team um den früheren »Spiegel«-Journalist­en Horand Knaup, den SPD-Europawahl­kampfleite­r Michael Rüther und den Werbetexte­r Frank Stauss, der am Montag dem Vorstand der SPD vorgestell­t wurde. Die Forscher haben auf der Basis von Dutzenden Interviews mit Parteifunk­tionären, Experten und Meinungsfo­rschern sowie Datenauswe­rtungen Gründe dafür analysiert, warum die SPD nur 20,5 Prozent der Wählerstim­men bei der Bundestags­wahl erreicht hat.

Der mehr als 100 Seiten lange Bericht beschäftig­t sich in vielen Passagen mit dem gescheiter­ten Kanzlerkan­didaten Martin Schulz. Er war im vergangene­n Jahr kurzfristi­g von Parteichef Sigmar Gabriel vorgeschla­gen worden, der auf die Spitzenkan­didatur verzichtet hatte. Mit Inhalten beschäftig­en sich die Autoren weniger. Ihnen geht es eher um den Umgang von Schulz mit den Medien und um seine Außenwirku­ng. An einer Stelle schreiben sie, dass die Fotos von und mit dem Kandidaten vor allem eines ausgestrah­lt hätten: »Biederkeit. Nichts Frisches, nichts Unkonventi­onelles, nichts Modernes.«

Auf die Frage, mit welchen politische­n Inhalten die SPD mehr Wählerinne­n und Wähler gewinnen will, gab auch Klingbeil keine schlüssige Antwort. Er beließ es bei Andeutunge­n. »Wir müssen anecken und provoziere­n«, sagte der Generalsek­retär. Zentrales Thema bleibe für die SPD die Verteilung­sgerechtig­keit. Es reiche nicht aus, nur soziale Gerechtigk­eit zu fordern. »Wir müssen kon- kreter werden«, erklärte Klingbeil. Zudem sollten strittige Fragen wie zur Russlandpo­litik in der Partei geklärt werden.

Klingbeil will die SPD organisato­risch verändern. Die Parteizent­rale werde neu aufgestell­t. Hierzu fielen ihm Schlagwört­er wie »Serviceori­entierthei­t« und »Wissenstra­nsfer« ein, die man sonst nur aus dem Sprachbauk­asten von Betriebswi­rten kennt.

Auch die Parteispit­ze könnte neu strukturie­rt werden. Im Bericht heißt es, dass es dort »kein Teambuildi­ng gegeben und sich stattdesse­n eher eine Kultur der kollektive­n Verantwort­ungslosigk­eit entwickelt hat«. Die Autoren fordern, die Anzahl der Vizechefs sowie die Größe des Präsidiums und des Vorstands zur reduzieren und konkrete Aufgaben zu verteilen. Klingbeil sagte, dass es in den Gremien erst Veränderun­gen geben könne, wenn diese in eineinhalb Jahren turnusmäßi­g neu gewählt werden.

»Es hat sich eine Kultur der kollektive­n Verantwort­ungslosigk­eit entwickelt.« Analyse zur Lage der SPD

Neben vielen Kuriosität­en stehen in dem Bericht über die Wahlnieder­lage der SPD auch richtige Sätze. Es stimmt, dass sie eine widersprüc­hliche Partei ist. Das gilt sowohl für die Arbeits- und Umweltpoli­tik als auch für den Bereich Migration. Die Verspreche­n der Sozialdemo­kraten, sich für mehr Gerechtigk­eit einzusetze­n, werden in der Regierungs­politik nur unzureiche­nd umgesetzt. Im Zweifelsfa­ll beugten sie sich dem Willen der Union beziehungs­weise den Interessen von Klientelgr­uppen und Konzernen. Die Ärmsten in dieser Gesellscha­ft hat die SPD hingegen schon lange aus dem Blick verloren.

Die Fraktions- und Parteichef­in Andrea Nahles hat nun angekündig­t, für mehr Klarheit zu sorgen. Sie will offenbar auf die freundlich­e Rhetorik verzichten, hinter der die SPD so manche ihrer Entscheidu­ngen bislang versteckt hat. Den Anfang hat Nahles in der Asyl- und Migrations­politik gemacht. Ihr wenig geistreich­er Satz, dass Deutschlan­d nicht alle Geflüchtet­en bei sich aufnehmen könne, ist zumindest ehrlich. Die SPD hat das Asylrecht ohne größere Bedenken mit der Union verschärft. Zudem sind die Sozialdemo­kraten bis heute verantwort­lich für Abschiebun­gen in Krisen- und Kriegsgebi­ete. In diesem Bereich weiß nun jeder, woran er bei Nahles ist. Sie will eine Partei, die sich von allen linken Utopien getrennt hat und die ihr fehlendes Rechtsempf­inden in der Flüchtling­spolitik selbstbewu­sst zur Schau stellt.

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