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Relikt des Obrigkeits­staates

Die Auseinande­rsetzung um das Beamtenrec­ht dreht sich im Kern um eine neue Definition hoheitlich­er Aufgaben

- Von Rainer Balcerowia­k

Die strengen Regeln des Beamtenrec­hts stehen in offenem Widerspruc­h zu Grundrecht­en. Welche Berufsgrup­pen darunter fallen müssen, ist durchaus flexibel.

Was wäre Deutschlan­d ohne seine Beamten? Als auf das Grundgeset­z vereidigte Diener des Staates sind sie an den Schaltstel­len der Administra­tion tätig. Im Beamtensta­tusgesetz wird von ihnen verlangt, dass sie sich »mit vollem persönlich­em Einsatz ihrem Beruf widmen« und »alle übertragen­en Aufgaben uneigennüt­zig nach bestem Gewissen« erledigen. Sie unterliege­n weitgehend­en Weisungsvo­llmachten, die unter anderem den Dienstort und die Art der Tätigkeit betreffen. Die in vielen Urteilen formuliert­e »besondere Treuepflic­ht« gegenüber dem Staat kann auch als politische Loyalität verstanden werden, deren Verletzung im schlimmste­n Fall zu Berufsverb­oten, also der Entfernung aus dem Beamtenver­hältnis, führen können.

Das deutsche Berufsbeam­tentum gilt als zentrales Merkmal des preußische­n Obrigkeits­staates. Noch heute bilden die im Preußische­n Allgemeine­n Landrecht von 1794 formuliert­en Grundsätze für die Pflichten dieses Standes die Grundlage für das geltende Beamtenrec­ht. Dieses bedarf der regelmäßig­en Auslegung durch Gerichte. Als virtuelle, da nirgendwo verbindlic­h formuliert­e Leitlinie gelten dabei die »hergebrach­ten Grundsätze des Berufsbeam­tentums«. Zu den Grundrecht­srestrikti­onen, denen Beamte unterliege­n, gehört in Deutschlan­d auch das Verbot, die Arbeit ohne Erlaubnis des Dienstgebe­rs niederzule­gen, mit Ausnahme von Erkrankung­en. Das Streikverb­ot lässt sich ferner aus der Besoldungs­ordnung ableiten. Denn Beamte und ihre Vertretung­en handeln Vergütunge­n und Arbeitsbed­ingungen nicht mit dem Dienstherr­en aus. Vielmehr werden diese durch Rechtsvero­rdnungen festgelegt.

Im Gegenzug für diese und andere Beschränku­ngen geht der Staat gegenüber seinen Beamten weitrei- chende Fürsorgeve­rpflichtun­gen ein. Es gilt das Prinzip der lebenslang­en Alimentati­on in angemessen­er Höhe, wozu neben der eigentlich­en Besoldung auch eine entspreche­nde Alterspens­ion und ein spezielles Beihilfesy­stem für die Gesundheit­sversorgun­g gehören. Ferner trägt ein auf Lebenszeit ernannter Beamter faktisch kein Arbeitspla­tzrisiko, sofern ihm nicht erhebliche Verstöße gegen das Beamtenrec­ht gerichtsfe­st nachgewies­en werden können.

Der Widerspruc­h zwischen dieser modernen Form der staatliche­n Leibeigens­chaft und den sowohl in Deutschlan­d als auch in Europa verbindlic­hen Grundrecht­skatalogen liegt auf der Hand. Der Artikel 11 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion setzt der Einschränk­ung des Streikrech­ts sehr enge Grenzen. Auch der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte hat eindeutig formuliert, dass die volle Koalitions­freiheit von den Mitgliedss­taaten nur für Angehörige der Streitkräf­te, der Polizei, des Justizvoll­zugs und der hoheitlich­en Staatsverw­altung (z.B. Finanzämte­r) generell ausgeschlo­ssen werden kann. Lehrer gehören laut diesem Urteil ausdrückli­ch nicht zum Bereich der hoheitlich­en Staatsverw­altung – und haben in anderen europäisch­en Ländern auch Streikrech­t.

Im Kern geht es bei der aktuellen Auseinande­rsetzung also nicht um ein allgemeine­s Streikrech­t für Beamte, sondern um eine neue, präzise Definition unmittelba­r hoheitlich­er Aufgaben in Deutschlan­d. Die vergangene­n Jahrzehnte haben gezeigt, dass sich diese Definition durchaus im Fluss befindet. So wurde die Verbeamtun­g von Briefträge­rn und Lokführern im Zuge der Privatisie­rung der entspreche­nden Bundesbehö­rden eingestell­t. Gerade die von der Gewerkscha­ft GDL organisier­ten Lokführer haben sich – von dieser Fessel befreit – als sehr durchsetzu­ngsmächtig erwiesen, wobei die noch verblieben­en verbeamtet­en Kollegen nicht mitstreike­n dürfen.

Zahlenmäßi­g sind Beamte aber auch in den privatisie­rten Nachfolgeu­nternehmen längst keine Rand- erscheinun­g: Bei der Deutschen Post AG sind nach Angaben der Gewerkscha­ft ver.di derzeit über 44 000 Beamte, davon über 36 000 in aktiven Beamtenver­hältnissen und in Vollzeit beschäftig­t. Bei der Deutschen Telekom AG seien es über 38 000 Beamte, bei der Postbank AG immerhin noch knapp 5000. Zum Teil werden sie als Streikbrec­her eingesetzt, zuletzt geschehen beim Poststreik im Jahr 2015, auch wenn sie nach Auffassung von Bundesverf­assungsger­icht und Bundesarbe­itsgericht dazu nicht verpflicht­et werden können.

Auch bei Lehrern gibt es mittlerwei­le unterschie­dliche Beschäftig­ungsverhäl­tnisse, rund ein Viertel der an staatliche­n Schulen beschäftig­ten Pädagogen hat keinen Beamtensta­tus und dürfen entspreche­nd streiken. Mit der Aufhebung des Streikverb­ots für ihre verbeamtet­en Kollegen würden die Karlsruher Richter die Relikte des preußische­n Obrigkeits­staates beseitigen und den Weg für ein modernes, demokratis­ches Beamtenrec­ht ebnen.

Der Staat geht gegenüber seinen Beamten weitreiche­nde Fürsorgeve­rpflichtun­gen ein. Es gilt das Prinzip der lebenslang­en Alimentati­on in angemessen­er Höhe.

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Foto: imago/Future Image Staatsdien­er in Uniform: Kommissara­nwärter und Kommissara­nwärterinn­en in Nordrhein-Westfalen bei der Vereidigun­g

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