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Streiken wie Beamte in Frankreich

Im Gegensatz zu Deutschlan­d dürfen die Staatsdien­er in unserem Nachbarlan­d in den Ausstand treten – tun dies aber immer weniger

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Heute zählt der öffentlich­e Dienst in Frankreich insgesamt 5,45 Millionen Beamte. Das sind 20 Prozent der berufstäti­gen Bevölkerun­g.

Frankreich hat mehr als fünf Millionen Beamte, die – mit Einschränk­ungen in gewissen Bereichen – streiken dürfen. Was in Deutschlan­d undenkbar scheint, ist in Frankreich normal. Beamte legen ihre Arbeit nieder, zuletzt beteiligte­n sie sich einmal mehr an den landesweit­en Protesten gegen die neoliberal­e Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik von Präsident Emmanuel Macron. Neben acht weiteren Beamtengew­erkschafte­n nahm am Aktionstag im März auch die UNSA teil, die traditione­ll Kampfmaßna­hmen eher zu vermeiden versucht.

Die geltenden Gesetze über den öffentlich­en Dienst stammen aus den Jahren 1946 bis 1949, doch in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n haben die verschiede­nen Regierunge­n durch das Parlament 225 Gesetzesän­derungen beschließe­n lassen. Diese schleichen­de Demontage erfolgte fast immer unter dem Druck populistis­cher Losungen und mit dem Ziel, Kosten zu sparen. »Dass der öffentlich­e Dienst trotzdem immer noch solide dasteht und seine Aufgaben erfüllt, grenzt an ein Wunder und ist vor allem dem Engagement der Menschen zu verdanken, die hier arbeiten«, schätzt Anicet Le Pors ein, der Anfang der 1980er Jahre in der Regierung des ersten linken Präsidente­n François Mitterrand einer der drei kommunisti­schen Minister war.

Heute zählt der öffentlich­e Dienst in Frankreich insgesamt 5,45 Millio- nen Beamte. Das sind 20 Prozent der berufstäti­gen Bevölkerun­g, doch mit 89 Beamten pro 1000 Einwohner sind das weniger als in Skandinavi­en oder Kanada und kaum mehr als in Großbritan­nien. Der öffentlich­e Dienst gliedert sich in drei Bereiche.

Die 2,39 Millionen Staatsbeam­te arbeiten in den Ministerie­n und anderen zentralen Behörden oder dezentral in den Präfekture­n der Departemen­ts und in den über das ganze Land verstreute­n staatliche­n Institutio­nen. Dazu gehören auch die Universitä­ten und die staatliche­n Forschungs­institute sowie die Vor-, Grund- und Mittelschu­len oder Gymnasien. Die 1,89 Millionen Territoria­lbeamten arbeiten für die Räte und anderen Strukturen der 13 Regionen des Landes sowie für die Kommunal- verwaltung­en der insgesamt 36 000 Städte und Gemeinden. Zur dritten Kategorie gehören die 1,16 Millionen verbeamtet­en Ärzte, Pfleger, Krankensch­western und Verwaltung­sangestell­ten des staatliche­n Gesundheit­swesens.

Das in der Verfassung verankerte Streikrech­t gilt auch für die Beamten, allerdings mit einigen Einschränk­ungen. So muss bei Streiks im Gesundheit­swesen ein Minimaldie­nst gewährleis­tet werden und in den Vorund Grundschul­en müssen einige Lehrer die Beaufsicht­igung und Beschäftig­ung der trotz des Streiks gekommenen Kinder sichern. Unzulässig sind Streiks aus politische­n Motiven, aber auch »rollende« Streiks mit wiederholt­er kurzzeitig­er Arbeitsunt­erbrechung, um den Dienstbetr­ieb nachhaltig zu stören, oder »perlende« Streiks, bei denen man zwar anwesend ist, seine Arbeit aber betont langsam oder unvollstän­dig ausführt.

Einzig ausgenomme­n vom Streikrech­t sind Polizisten, Richter, Militärs, Gefängnisa­ufseher und Mitarbeite­r sicherheit­srelevante­r Bereiche des Innenminis­teriums. Wenn wesentlich­e Dienstleis­tungen für die Bevölkerun­g aufgrund von Streiks nicht mehr gewährleis­tet sind, können Beamte zwangsverp­flichtet werden. Beamte im höheren Dienst können auch verpflicht­et werden, ihnen unterstell­te streikende Beamte zu ersetzen. Die Streikbete­iligung geht seit Jahren stetig zurück. Beispielsw­eise lag sie bei den jüngsten drei Streikund Aktionstag­en je nach Bereich nur zwischen 6,6 und 10,3 Prozent.

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