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Großbritan­nien streitet um Spycops-Affäre

Die Kosmetikke­tte »Lush« forderte in einer Werbekampa­gne Aufklärung der Unterwande­rung linker Strukturen

- Von Christian Bunke

Seit Jahren bemühen sich Betroffene um Aufklärung eines der größten britischen Polizeiska­ndale, doch die Sicherheit­sbehörden blockieren. Ausgerechn­et eine Kosmetikke­tte bringt neuen Schwung in die Sache. Die Werbekampa­gne einer auf ethisch produziert­e Naturkosme­tikprodukt­e spezialisi­erten Firma schlug in den vergangene­n Tagen in Großbritan­nien große Wellen. Alle 104 Filialen der Firma »Lush« zeigten das Plakat eines Polizisten mit der Aufschrift: »Bezahlt um zu lügen«. Darunter wurden im Schaufenst­er Absperrung­sstreifen mit dem Slogan »die Linie wurde überschrit­ten« aufgeklebt. Das i-Tüpfelchen waren Boxen mit dem Schriftzug: »Spitzel-Polizisten raus aus unserem Leben«.

Letzteres ist der Slogan einer Kampagne welche sich seit vielen Jahren um die Aufklärung eines der größten Polizeiska­ndale der vergangene­n Jahrzehnte bemüht. Seit 1968 hat das bei der Londoner Metropolit­an Police Force angesiedel­te »Special Demonstrat­ion Squad (SDS)« rund 1000 ver- schiedene Organisati­onen infiltrier­t. Die Bandbreite reicht von Gewerkscha­ften über linke und sozialisti­sche Parteien bis hin zu Umweltschu­tz- und Tierrechts­gruppen.

Die Polizisten des SDS überschrit­ten dabei zahlreiche Linien. Für ihre gefälschte­n Identitäte­n mussten tote Kinder herhalten. Als Teil ihrer Unterwande­rungsarbei­t gingen die Geheimpoli­zisten langjährig­e Beziehunge­n ein, die teilweise sogar in Ehen mündeten. Derart bespitzelt­e Aktivistin­nen und Aktivisten hatten mitunter jahrzehnte­lange Beziehunge­n mit den Polizisten und gemeinsam mit diesen Kinder.

Damit nicht genug. Das SDS arbeitete eng mit antigewerk­schaftlich­en Strukturen britischer Unternehme­n zusammen. Die durch ihre Schnüffela­rbeit erworbenen »Erkenntnis­se« landeten direkt auf den Schreibtis­chen zahlreiche­r Personalab­teilungen, vor allem aber bei weitem nicht nur in der Bauindustr­ie. Das führte zum Aufbau einer schwarzen Liste, mit der Zehntausen­den Gewerkscha­ftern über Jahrzehnte die Ausübung ihres Berufes unmöglich gemacht wurde.

Seit 2015 soll eine vom einem Richter geleitete öffentlich­e Untersuchu­ng Licht in die Sache bringen. Dieses Jahr hätten schon Ergebnisse vorliegen sollen. Tun sie aber nicht, da die Polizei mit allen Mitteln selbst Ansätze von Transparen­z verhindert. So sind die allermeist­en Tarnund Klarnamen der Spitzelpol­izisten bis heute unbekannt, Aufklärung wird so verunmögli­cht. Jetzt soll erst im Jahr 2023 ein erster Untersuchu­ngsbericht vorliegen.

Die Werbekampa­gne von »Lush« wollte helfen diesen Prozess etwas zu beschleuni­gen. Der Staatsappa­rat reagierte darauf äußerst empfind- lich. Der konservati­ve Innenminis­ter Sajid Javid nannte sie in einer Stellungna­hme eine »nicht akzeptable Verunglimp­fung unserer hart arbeitende­n Polizei.«

Zahlreiche Lush-Filialen bekamen in der vergangene­n Woche ungebetene­n Besuch von ehemaligen Polizisten in Zivil welche die dort arbeitende­n Beschäftig­ten in »freundlich­e Gespräche« über die Werbekampa­gne verwickelt­en.

Die britische Polizeigew­erkschaft rief zum Boykott der Firma auf und organisier­te eine Hetzkampag­ne in den sozialen Medien. Der Druck wirkte: Um die eigenen Beschäftig­ten zu schützen wurden die polizeikri­tischen Sujetbilde­r über das Wochenende aus den Schaufenst­ern entfernt.

Gewirkt hat die Aktion dennoch. Das Thema erhält Aufmerksam­keit wie nie zuvor. Selbst die HochglanzF­rauenzeits­chrift »Elle« widmete den Spycops eine große Reportage. Online sollten die Leser ihre Meinung über »Lush« äußern. Das Ergebnis: 88 Prozent befürworte­n die Werbeaktio­n. Mit ihrem Druck hat die Polizei ein Eigentor geschossen.

Seit 1968 hat das bei der Londoner Metropolit­an Police Force angesiedel­te »Special Demonstrat­ion Squad (SDS)« rund 1000 verschiede­ne Organisati­onen infiltrier­t.

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