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Die Agenda 2010 als Kommunikat­ionsproble­m

Berater aus dem SPD-Umfeld wollen der Partei dabei helfen, ihr Image zu verbessern, ohne viel an politische­n Inhalten ändern zu müssen

- Von Aert van Riel

In der SPD ist die Analyse zu ihrer Bundestags­wahlnieder­lage im vergangene­n Jahr auf viel Zustimmung gestoßen. Die Genossen loben, dass der Text schonungsl­os die Ursachen benenne. Der Freiburger Werbetexte­r Frank Stauss genießt in der SPD-Spitze hohes Ansehen. Mit seiner Agentur hat er diverse mehr oder weniger erfolgreic­he Landtags- und Bundestags­wahlkämpfe der Sozialdemo­kraten begleitet. Nun haben Stauss und sein Team im Auftrag des gescheiter­ten Kanzlerkan­didaten Martin Schulz für die SPD-Führung zur Niederlage bei der Bundestags­wahl 2017 eine ausführlic­he Analyse vorgelegt. Aus ihrer Sicht lassen sich Wahlnieder­lagen vor allem mit »schlechter Kommunikat­ion« erklären.

So wird in dem Text ausführlic­h das Agieren des SPD-Kanzlerkan­didaten Gerhard Schröder gelobt, bevor er im Jahr 1998 den CDU-Amtsinhabe­r Helmut Kohl ablöste. Sein Wahlkampfs­logan »Innovation und Gerechtigk­eit« habe Raum für Fantasien in alle Richtungen gelassen. »Die Modernisie­rer der SPD wurden genauso angesproch­en wie der traditiona­listische Flügel der Partei«, haben die Forscher herausgefu­nden.

Aber warum ging es dann in den nächsten Jahren mit der SPD bergab? Warum verlor sie so viele Wähler und Mitglieder? Stauss, der frühere »Spiegel«-Journalist Horand Knaup, der SPD-Europawahl­kampfleite­r Michael Rüther und ihre Mitarbeite­r meinen, eine wichtige Antwort auf diese schwierige Frage gefunden zu haben. Die kommunikat­ive Begleitung »der Reformpake­te Agenda 2010 und Hartz IV« sei in Schröders Re- gierungsze­it zum »völligen Desaster« geworden. »Ohne Vorlauf, ohne Schlüsselb­egriffe, ohne emotionale Aufladung – das Ergebnis ist bekannt: Unter den Folgen leidet die SPD bis heute«, schreiben die Autoren. Womöglich hätte es ihnen besser gefallen, wenn die Parteispit­ze ihre Entscheidu­ngen zum radikalen Sozialabba­u mit einer Jubelkampa­gne flankiert hätte.

Die sogenannte­n Agenda-Reformen der damaligen rot-grünen Bundesregi­erung werden von den Forschern nicht grundsätzl­ich abgelehnt. Sie gehen nämlich davon aus, dass die damaligen Maßnahmen zu einem deutlichen Beschäftig­ungszuwach­s in Deutschlan­d beigetrage­n, zugleich aber auch die Herausbild­ung einer neuen Unterklass­e befördert hätten. Denn im Zuge der »Reformen« entstand ein großer Niedrigloh­nsektor.

Viele führende Sozialdemo­kraten reagierten positiv auf den Bericht. Das galt auch für Politiker, die dem linken Flügel der Partei zugerechne­t werden. Die frühere Juso-Vorsitzend­e Johanna Uekermann, die heute im Parteivors­tand der SPD sitzt, schrieb im Kurznachri­chtendiens­t Twitter, dass es »ein erster Schritt raus aus der Mutlosigke­it hin zum Klartext« sei, »diese schonungsl­ose Analyse online zu stellen und für alle zugänglich zu machen«.

Ähnlich äußerte sich Andrea Nahles in einem Interview mit Spiegel Online. Die Partei- und Fraktionsv­orsitzende sagte, dass es ein harter Bericht »für uns alle« sei. »Aber das ist auch gut so, denn nur so ändert sich etwas«, verkündete Nahles.

In dem Bericht wird auch kritisiert, dass die Parteispit­ze es unter anderem mit ihren Äußerungen zur Flüchtling­spolitik möglichst vielen Recht machen wollte. Damit soll aus der Sicht von Nahles offensicht­lich Schluss sein. Sie kündigte an, dass sie systematis­ch daran arbeite, die Widersprüc­he in der Partei aufzulösen. »Wir finden jetzt eine klar formuliert­e Haltung in der Migrations­politik«, sagte die SPD-Chefin.

Doch so einfach ist das nicht. Zuletzt hatte Nahles gesagt, dass Deutschlan­d nicht alle Geflüchtet­en bei sich aufnehmen könne. Daraufhin war sie parteiinte­rn heftig kritisiert worden. Unter anderem der Berliner SPD-Landesverb­and warf ihr eine rechte Rhetorik vor. Nahles hatte diesen Satz im Zusammenha­ng mit dem Vorhaben der Großen Koalition geäußert, die Liste der »sicheren Herkunftss­taaten« um Marokko, Tunesien und Algerien zu erweitern, um Asylbewerb­er aus diesen Ländern schneller abschieben zu können. Nun bekräftigt­e sie diese Pläne.

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