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»Wir können so nicht leben«

Die (agro-)industriel­le Reservearm­ee unternimmt Versuche, sich zu organisier­en

- Von Benjamin Luig

Unser Essen basiert vielfach auf der Ausbeutung von Landarbeit­erInnen, sowohl hierzuland­e als auch in Europa oder darüber hinaus. Doch es gibt Möglichkei­ten, sie in ihrer Organisier­ung zu unterstütz­en.

»Wir können so nicht leben«, sagt Marina Subbaj. Sie arbeitet auf einer der unzähligen Teeplantag­en in Indien. »Wir erhalten inzwischen sogar subvention­ierte Grundnahru­ngsmittel vom Staat, um nicht zu verhungern«, so die Arbeiterin gegenüber »nd«.

Marina Subbaj steht stellvertr­etend für Millionen. Ein wesentlich­er Teil des weltweiten Prekariats lebt auf dem Land als (agro-)industriel­le Reservearm­ee. Komplett mittellos, von Lohnarbeit abhängig. Etwa 300 bis 500 Millionen Frauen und Männer so schätzt die Internatio­nale Arbeitsorg­anisation (ILO) der Vereinten Nationen. Sie arbeiten auf Plantagen, auf Großfarmen, aber auch als Tagelöhner beim Kleinbauer­n nebenan.

Übersehen werden oft die Verbindung­en dieser Ausgeschlo­ssenen zur globalen Mittel- und Oberschich­t, vermittelt über den Markt: Grundlage der kapitalist­ischen Industrial­isierung in den vergangene­n 200 Jahren waren billige und immer weitere sinkende Preise für Nahrungsmi­ttel. In keinem anderen Sektor sind die Löhne so niedrig wie in der Landwirtsc­haft.

Das Prekariat vom Land wird gebraucht, sowohl als industriel­le Reservearm­ee, aber auch um die Preise für unser Essen niedrig zu halten. Das fängt in Deutschlan­d an. Der Mindestloh­n existiert zwar auch für Landarbeit­er auf dem Papier, aber oft nur dort. 300 000 Saisonarbe­iter kommen Jahr für Jahr aus Osteuropa nach Deutschlan­d, um Erdbeeren zu ernten, den Spargel zu stechen und um Weintraube­n zu lesen. Bislang waren das vor allem Menschen aus Polen und Rumänien. Doch die Ausbeutung ist so extrem, dass aus diesen Ländern immer weniger Menschen zum Schuften für ein paar Monate nach Deutschlan­d kommen.

»Die Betriebe üben enormen Druck aus«, sagt Katharina Varelmann vom PECO-Institut, »sie können von heute auf morgen kündigen, wenn Erntehelfe­rInnen ihre Leistung nicht schaffen.« Burkhard Möller, Geschäftsf­ührer des landwirtsc­haftlichen Arbeitgebe­rverbandes GLFA fordert deshalb, die Bundesregi­erung müsse ein bilaterale­s Abkommen mit der Ukraine zur Migration billiger Saisonarbe­itskräfte vereinbare­n. Doch nicht nur Saisonarbe­iterInnen hierzuland­e produziere­n unser Essen. Auch an den Rändern der EU wie in Griechenla­nd, Spanien oder Italien werden systematis­ch MigrantInn­en aus Drittstaat­en für die Massenprod­uktion unseres Gemüses und Obstes ausgebeute­t.

Nichtregie­rungsorgan­isationen wie Oxfam, die Christlich­e Initiative Romero (CIR) oder INKOTA belegen mit konkreten Fallstudie­n immer wieder, dass Kakao, Bananen oder Orangensaf­t aus Ausbeutung­splantagen in den Regalen der vier großen Supermarkt­konzerne (Edeka, Rewe) und Discounter (Aldi, Lidl) landet. Bei diesen Berichten geht es keineswegs »nur« um die Verletzung von Arbeitsrec­hten, sondern stets auch um den Lohn, der unter das absolute Existenzmi­nimum gedrückt wird. Ein eindrückli­ches Beispiel sind die Teepflücke­rinnen in den Hauptexpor­tländern wie Sri Lanka, Kenia oder Indien. In Darjeeling im Nordosten Indiens produziere­n Pflückerin­nen den Weltklasse-Tee für die OTG (Meßmer-Tee), Teekanne oder die glänzenden Franchise-Outlets von TeeGschwen­dner. Ihr Tageslohn liegt unter zwei Euro.

Um die Ausbeutung zu mindern, konkurrier­en aktuell zwei Ansätze. Der erste Ansatz geht von den bestehende­n Machtverhä­ltnissen in der Lieferkett­e aus. Er setzt darauf, dass Handelskon­zerne und Nahrungsmi­t- telverarbe­iter wie REWE oder Unilever das Image ihrer Marke als ihr Kernkapita­l betrachtet­en und mithilfe von( formal freiwillig­en) Verhaltens­kodizes die gröbsten Menschenre­chts-und Arbeitsrec­hts verletzung­en vermeiden. Um diese Kodizes wie Rainforest Alliance, Global GAP und so weiter hat sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n eine riesige Industrie von Zertifizie­rungs organisati­onen und »Entwicklun­gs beratern« gebildet. Sie stellen nichts anderes dar als die neoliberal­e Form der Regulation von globalen Lieferkett­en, unter weitgehend­er Abwesenhei­t von Staaten.

In jüngster Zeit gibt es eine Gegenbeweg­ung, die menschen rechtlich argumentie­rt und versucht, die institutio­nalisierte Un verbindlic­hkeit zu überwinden. Sie zielt auf gesetzlich­e Formen der Regulierun­g ab und will die Handelskon­zerne in die Pflicht nehmen. Diese sind es, die mit ihrer Marktmacht die Preise in ihrer Zulieferke­tte nach unten drücken können, und am stärksten von den Ausbeutung­s strukturen profitiere­n. Eine wichtige aktuelle Initiative wird auch von der Rosa Luxemburg Stiftung und der Linksfrakt­ion im Bundestag unterstütz­t: Am UN-Men- schenrecht­srat in Genf diskutiert eine Arbeitsgru­ppe von Staatsvert­retern über ein rechtlich verbindlic­hes Abkommen zur Regulierun­g transnatio­naler Konzerne, das »UN Treaty«. Ein zentrales Verhandlun­gsthema sind die sogenannte­n Sorgfaltsp­flichten, also die Frage wie die menschenre­chtliche Verantwort­ung von Konzernen gegenüber den ArbeiterIn­nen bei ihren Zulieferke­tten zu definieren ist.

Die Versuche der menschenre­chtlichen Regulierun­g von Lieferkett­en sind wichtig. Aber sie reichen alleine nicht aus. Im vergangene­n Herbst berichtete­n Vertreter einer Gewerkscha­ft von Arbeitern auf südafrikan­ischen Weinfarmen von der Ausbeutung vor Ort. Im Mai nun verkündete­n die Medien in Südafrika, dass einige südafrikan­ische Exporteure und deutsche Importeure von Wein dem Bündnis »Stronger together« beigetrete­n seien, einer Initiative der Industrie, um Zwangsarbe­it und Ausbeutung von Weinfarmen zu bekämpfen. Nur eine Woche später meldete sich die Gewerkscha­ft und berichtete, dass einer ihrer Organizer verfolgt und beschossen wurde, und in ihre Geschäftss­telle eingebroch­en wurde. Diese Berichte kennen wir auch aus vielen anderen Fällen weltweit. Die gute Nachricht ist: Landarbeit­erInnen, Plantagena­rbeiter und ihre Familien organisier­en sich, vernetzen sich über WhatsApp, dokumentie­ren Angriffe gegen sich auf Facebook, bilden Gewerkscha­ften, oder, wenn dies zu riskant ist, organisier­en sich im Untergrund. Die schlechte Nachricht dagegen: Die Ausbeutung auf diesen Plantagen und Farmen ist häufig gewaltförm­ig. Das heißt, die Organisier­ung ist riskant. Kämpfe gegen Arbeitsrec­htsverletz­ungen in Agrarliefe­rketten dürfen daher nicht technokrat­isch und abstrakt bleiben. Sie müssen aufbauen auf den Kämpfen und Interessen der Gewerkscha­ften vor Ort, und müssen diese Kämpfe ergänzen. Solidaritä­tsarbeit und direkter Austausch mit den VertreterI­nnen dieser Menschen, die hier ausgebeute­t wird, sind entscheide­nd.

Unser Autor ist Programmle­iter Dialogprog­ramm Ernährungs­souveränit­ät bei der Rosa Luxemburg Stiftung, die am 15. Juni von 11 bis 22 Uhr in der Prinzenstr­aße 85F in Kreuzberg das »Politische Sommerpick­nick« veranstalt­et: www.rosalux.de/sommerpick­nick

 ?? Foto: AFP/Str ?? Realität in der (agro-)industriel­len Reservearm­ee: ein Tageslohn unter zwei Euro ist bei Pflückerin­nen auf den Teeplantag­en in Indien keine Seltenheit.
Foto: AFP/Str Realität in der (agro-)industriel­len Reservearm­ee: ein Tageslohn unter zwei Euro ist bei Pflückerin­nen auf den Teeplantag­en in Indien keine Seltenheit.

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