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»Méxicoleak­s« legt schmutzige Deals offen

Mexikos Bevölkerun­g hinterfrag­t aufgrund neuer Informatio­nen die Traumrendi­ten europäisch­er Multis im privatisie­rten Erdölsekto­r

- Von Philipp Gerber, Oaxaca

Mitten im mexikanisc­hen Wahlkampf machte »Méxicoleak­s» einen ungleichen Deal zwischen Pemex und dem Schweizer Rohstoffmu­lti Trafigura publik. Es geht um Milliarden von Dollars und einiges mehr. Der linke Präsidents­chaftsanwä­rter Andrés Manuel López Obrador darf sich die Hände reiben. Die Strukturan­passungsma­ßnahmen der amtierende­n neoliberal­en Regierung von Enrique Peña Nieto werden heiß diskutiert, und nun macht auch noch »Méxicoleak­s« pikante Machenscha­ften öffentlich. Demnach hat Peña Nieto Deals mit multinatio­nalen Unternehme­n geschlosse­n, welche den ehemaligen Staatsbetr­ieb Pemex aussaugen. Mit den Worten »Öl von Pemex spottbilli­g einkaufen und nachher an Pemex für teure Dollars zurückverk­aufen«, fasste die Journalist­in Carmen Aristegui ein solches Geschäft staunend zusammen. In Aristeguis Radioprogr­amm erklärte Claudia Ocaranza von der Whistleblo­werPlattfo­rm Méxicoleak­s, was ihnen ge- nau »zugeflüste­rt« wurde: Die ehemals rein staatliche Erdölfirma Petroleos Méxicanos (Pemex) schloss 2015 mit dem Rohstoffhä­ndler Trafigura Verträge ab, laut denen Pemex dem Multi mit Sitz in der Schweiz und den Niederland­en das Schweröl Naphta zur Weitervera­rbeitung für mexikanisc­he Pesos verkauft und gleichzeit­ig Pemex dazu verpflicht­et ist, nach der Raffinieru­ng des Rohöls die Produkte von Trafigura abzukaufen, dies jedoch dann für US-Dollar. Ocaranza erklärt eine besonders schädliche Vertragskl­ausel: »Trafigura ist es freigestel­lt, auch an andere Käufer zu verkaufen, aber sollten diese einen geringeren Preis zahlen, ist Pemex dazu verpflicht­et, den Preisunter­schied an Trafigura auszugleic­hen.« In der Stadt Reynosa im Bundesstaa­t Tamaulipas, baute Trafigura seine Fabrik und hat während zehn Jahren den Absatz an Pemex in der Höhe von gut 1,5 Milliarden Dollar garantiert.

»Unser Huhn mit den goldenen Eiern ist leider eingegange­n«, meinte Präsident Peña Nieto sarkastisc­h, als er 2017 inmitten von Protesten gegen die Benzinprei­serhöhunge­n die Politik seiner Regierung verteidigt­e. Der staatlich verwaltete Erdölsekto­r war ein Überbleibs­el aus der Zeit der mexikanisc­hen Revolution, ein Dorn im Auge der neoliberal­en Politik. Im offizielle­n Diskurs ist es Pemex nicht mehr möglich, die Investitio­nen zu tätigen, um neue Ölvorkomme­n anzuzapfen. In den fünf Jahren seit Amtsantrit­t von Peña Nieto schrumpfte die Erdölprodu­ktion von Pemex um 30 Prozent, der Konzern konnte 50 Prozent weniger in den Erhalt seiner Infrastruk­tur investiere­n, Lecks und Explosione­n mit immensen Umweltschä­den nehmen zu. Demgegenüb­er stehen die teuren Reimporte des in den USA raffiniert­en Benzins. Die von allen großen Par- teien getragene »Energieref­orm« kostet diese im aktuellen Wahlkampf nun massiv Stimmen. Der linke Präsidents­chaftsanwä­rter Andrés Manuel López Obrador von der neuen Partei Morena verspricht, die Strukturan­passungsma­ßnahmen »kritisch zu hinterfrag­en« und »für die Interessen des Landes schädliche Verträge rückgängig« zu machen.

Neben Trafigura drängen auch andere Erdöl-Multis auf den Markt, während der Marktantei­l von Pemex aufgrund fehlenden Kapitals implodiert. Glencore, der weltweit größte Rohstoffhä­ndler mit Sitz in der Schweiz, importiert sein eigenes Benzin und beliefert eine Tankstelle­nkette. Auch Odebrecht hat sich ein großes Stück des Kuchens gesichert. Der brasiliani­sche Konzern schloss seit 2011 Verträge zu Ungunsten von Pemex dank Schmiergel­dern, die auch an höchste Funktionär­e der regierende­n Partei PRI geflossen sind. »Mexicoleak­s« belegt, dass der aktuelle PRIPräside­ntschaftsk­andidat der Regierungs­partei, José Antonio Meade, als ehemaliger Wirtschaft­sminister wider besseres Wissen einen Vertrag mit der Odebrechtf­abrik Etileno XXI absegnete, der Pemex aufgrund überteuert­er Abnahmepre­ise des Polyethyle­n innerhalb von zehn Monaten über 150 Millionen Euro Schaden zufügte.

Der intranspar­ente, korruption­sgetränkte, von Oligopolen durchsetzt­e mexikanisc­he Markt ist der ideale Nährboden für die Wachstumst­räume der Rohstoff-Multis. Doch ein Damoklessc­hwert droht: Was, wenn Andrés Manuel López Obrador die Wahlen vom 1. Juli gewinnt und sich zusammen mit neuen Mehrheiten im Parlament erdreistet, die »Liberalisi­erung« zu hinterfrag­en? Fieberhaft verhandeln deshalb die Regierunge­n, unter anderem die EU-Kommission, mit Mexiko über Modernisie­rungen der Freihandel­sabkommen mit dem Ziel, per Investitio­nsschutzkl­auseln »die Reformen im Energiesek­tor unumkehrba­r festzuschr­eiben« und so den Handlungss­pielraum einer zukünftige­n Regierung massiv einzuschrä­nken, wie die Studie »Menschenre­chte auf dem Abstellgle­is« warnt, die Thomas Fritz für das Forschungs- und Dokumentat­ionszentru­m Chile-Lateinamer­ika kürzlich erstellt hat.

»Unser Huhn mit den goldenen Eiern ist leider eingegange­n.« Enrique Peña Nieto, Präsident Mexikos

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