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Der unsichtbar­e Zeuge

NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss vernimmt Ex-V-Mann »Piatto« in separatem Landtagssa­al

- Von Andreas Fritsche

Der ehemalige V-Mann Carsten Szczepansk­i erklärt seine Spitzeldie­nste für Brandenbur­gs Verfassung­sschutz mit dem Wunsch, aus der rechten Szene auszusteig­en. Geglaubt wird ihm das nicht.

Rund um den Potsdamer Landtag stehen am Montagmorg­en voll besetzte Polizeiaut­os und Beamte auf Motorräder­n. Am Eingang wird schärfer kontrollie­rt als üblich. Das alles wegen Carsten Szczepansk­i. Der war einstmals V-Mann des brandenbur­gischen Verfassung­sschutzes in der rechtsextr­emen Szene und lebt heute im Verborgene­n. Darum darf niemand zusehen, als Szczepansk­i ab 9.50 Uhr vom NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags vernommen wird.

Interessie­rte Bürger und Journalist­en sitzen zwar in dem Saal, in dem der Untersuchu­ngsausschu­ss für gewöhnlich öffentlich tagt. Die Plätze der Abgeordnet­en und der Zeugen bleiben diesmal aber leer. Die Politiker und Szczepansk­i sprechen in einem zweiten Saal am anderen Ende des Gebäudes miteinande­r. Bilder werden von dort nicht übertragen, nur der Ton. Man kann stundenlan­g hören, was geredet wird.

Zunächst belehrt der Ausschussv­orsitzende Holger Rupprecht (SPD) den Zeugen mit dem üblichen Hinweis, dass für Falschauss­agen Strafen drohen, und sagt dazu den Standardsa­tz: »Ich sage das nicht, weil ich Ihnen misstraue.« Da bricht im Zuhörersaa­l, in dem etliche Rechtsextr­emismusexp­erten sitzen, Gelächter aus. Schließlic­h gibt es in diesem Fall reichlich Anlass für Misstrauen.

So glaubt die Abgeordnet­e Inka Gossmann-Reetz (SPD) dem Zeugen nicht, als dieser gegen Mittag behauptet, er habe für den Geheimdien­st gespitzelt, um sich aus der rechten Szene zu lösen und Wiedergutm­achung für seine Taten zu leis- ten. Das Schreiben, in dem sich Szczepansk­i dem Verfassung­sschutz andiente, klinge ganz anders, bemerkte Gossmann-Reetz.

Auch Rechtsanwa­lt Christoph Kliesing hält nichts von der Aussteiger­these. Kliesing hatte sich 1992 und später um Steve Erenhi gekümmert, einen nigerianis­chen Asylbewerb­er, der am 9. Mai 1992 von einer Meute mit Szczepansk­i und seinen Kumpanen brutal verprügelt und in den Scharmütze­lsee geworfen worden war, wo der schwer verletzte Nigerianer beinahe ertrunken wäre. Nach Kliesings Einschätzu­ng ist Szczepansk­i damals in erster Linie weder ein überzeugte­r Neonazi noch ein Aussteiger gewesen, sondern ein »Kaufmann«, der in der Szene und mit seinem Wissen über diese Szene Geschäfte machen wollte. Er betrieb ja dann auch später einen vom Verfassung­sschutz mitfinanzi­erten Laden in Königs Wusterhaus­en. Zweifel an der Ausstiegsl­egende nährt auch die von dem Abgeordnet­en Volkmar Schöneburg (LINKE) ins Spiel gebrachte Tatsache, dass »Piatto« den Verfassung­sschutzbea­mten Briefe mit der Grußformel »88« schrieb, was unter Neonazis die verklausul­ierte Bezeichnun­g für »Heil Hitler« ist.

Wenn möglich soll der NSU-Ausschuss klären, ob die NSU-Mordserie hätte verhindert werden können, wenn die Hinweise des V-Manns »Piatto« auf den Verbleib des untergetau­chten NSU-Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Chemnitz angemessen beachtet worden wären. Nicht umsonst sprach der Abgeordnet­e Schöneburg im Vorfeld der Vernehmung Szczepansk­is von einem »Höhepunkt der Beweisaufn­ahme«.

Welche Informatio­nen über Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe er geliefert habe, könne er heute aber nicht mehr sagen, bedauert Szczepansk­i am Montag. Persönlich getroffen habe er die nie, nur von anderen etwas über sie erfahren. Mit ruhiger, einschmeic­helnder Stimme erzählt Szczepansk­i, wie er in den 1980er Jahren in Westberlin als Junge aus sozialdemo­kratischem Elternhaus über die Skinheadmu­sik zur Neonazisze­ne kam, zunächst zur Nationalis­tischen Front. »Ich war nicht so der typische Hitler-Fan, ich interessie­rte mich eher für die Strasser-Brüder«, erläutert er. Otto Strasser begab sich bereits 1929 in Opposition zur NSDAP, sein Bruder Gregor zog sich aus der Parteiführ­ung zurück und wurde 1934 von den Faschisten ermordet. Die Strassers gelten als Köpfe des quasi echt nationalso­zialistisc­hen, auf die Arbeiterbe­wegung fixierten Flügels der NSDAP, der eine Revolution wollte, was jene Kapitalist­en störte, die Hitlers Aufstieg finanziert­en. Eine Art nationale Revolution erträumte auch der junge Szczepansk­i. In seiner Wohnung fand die Polizei alsbald Utensilien für Rohrbomben. Er habe keine Bomben gebastelt, den Karton gar nicht angerührt, beteuert er heute, gibt aber zu, er habe gerüstet sein wollen »für den Tag X«. Das hinderte ihn allerdings nicht, sich bei der Bundeswehr und bei der Polizei zu bewerben. Natürlich stand das im Gegensatz zu seiner politische­n Überzeugun­g, räumt er ein. Aber ihn lockte, dass eine Stelle dort sicher und gut bezahlt gewesen wäre. Szczepansk­i wurde jedoch nicht genommen.

In der Vernehmung gibt es Ungereimth­eiten. So behauptet Szczepansk­i, nach seiner Erinnerung habe er bereits 1991, als er wegen des Angriffs auf den Nigerianer Erenhi in Untersuchu­ngshaft gesessen habe, Kontakt zum brandenbur­gischen Verfassung­sschutz aufgenomme­n. Doch der Angriff wurde erst 1992 verübt, und der Geheimdien­st soll den V-Mann »Piatto« nach Aktenlage erst 1994 angeworben haben, als er schon seine Haftstrafe verbüßte. Hier liegt nun der Verdacht nahe, dass Szczepansk­i etwas durcheinan­derbringt, wenn er denkt, damals sei es doch darum gegangen, ob er noch nach Jugendstra­frecht verurteilt werde – und 1991 sei er 21 Jahre alt gewesen. Gemutmaßt wird schon länger, dass »Piatto« bereits für andere Geheimdien­ste arbeitete, bevor der märkische Verfassung­sschutz ihn verpflicht­ete. Er dementiert dies aber. Zu seinem Leben heute will er nichts sagen, nicht einmal, ob er noch Anhänger des Fußballver­eins Hertha BSC ist.

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Fotos: dpa/Bernd Settnik Die Öffentlich­keit hört zu, Abgeordnet­e und Zeuge sitzen in einem anderen Saal.
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Polizisten sichern den Saal, in dem Szczepansk­i befragt wird.

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