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Ein Museum verändert Judenbach

Wie ein kleiner thüringisc­her Ort zu einem neuen kulturelle­n Zentrum kam

- Von Sebastian Haak

Im Süden Thüringens gibt es seit 2017 ein Museum , das an einen großen Spielzeugg­estalter der DDR erinnert. Es zeigt auch, welche Möglichkei­ten Kommunen bei geschickte­m Vorgehen nutzen können. Nichts erinnert heute mehr daran, dass hier vor ein paar Jahren noch eine Ruine stand. Dass überall Schutt herumlag. Dass dieser Ort ein Schandflec­k der Gemeinde Judenbach im Süden Thüringens war. »Es gibt Bilder von damals, da wundere ich mich, dass ich nicht durchgedre­ht bin«, sagt Bürgermeis­ter Albrecht Morgenroth.

Stattdesse­n gibt es heute dort einen Ort, an dem sich vor allem Ostdeutsch­e mit großer Wahrschein­lichkeit an ihre Kindheit erinnern. Das bunte Haus an der Hauptdurch­fahrtsstra­ße von Judenbach birgt Spielsache­n, die sie ziemlich sicher aus früheren Tagen kennen.

Teddys aus Plastik zum Beispiel, deren Kopf viel größer ist als Rumpf und Beine, und deren runde Kullerauge­n sie trotzdem gar nicht gruselig aussehen lassen. Kleine Hunde, ebenfalls aus Plastik, in deren Schnauzen Magnete angebracht sind, sodass sie sich küssen, wenn man sie nur nahe genug aneinander hält.

Die Sammlung hat mit der langen Geschichte der 2400-Seelen-Gemeinde im Landkreis Sonneberg zu tun, die über viele Jahrzehnte auf das Engste verbunden war mit der Herstellun­g von Spielzeug. Doch dieses Gebäude zeigt auch, was selbst sehr kleine Kommunen schaffen können, wenn sie wissen, wie man die Dinge richtig anpackt. Wenn ihre Bürgermeis­ter umtriebig genug sind – allen Klagen über die leeren Kassen von Städten und Gemeinden zum Trotz.

Seit 2017 ist dieses Gebäude in Judenbach, das gleich mehrere Funktionen erfüllt, für die Öffentlich­keit zugänglich. Wobei diese Multifunkt­ionalität ein zentraler Grund dafür ist, dass diese Anlage überhaupt entstehen konnte und schon zahlreiche Besucher hatte.

Das Gebäude – das Ali-Kurt-Baumgarten-Museum – würdigt zunächst einen der bedeutends­ten SpielzeugG­estalter der DDR. Der Graphiker, Kunsthandw­erker und Maler war am 21. März 1914 in Judenbach geboren worden. Von 1928 bis 1932 absolviert­e er eine Ausbildung in der Sonneberge­r Fachschule für Spielzeug und Keramik. Von 1932 bis 1935 studierte er an der Akademie der bildenden Künste in München.

Zweitens ist dort eine beachtlich­e Sammlung von mechanisch­em Spielzeug zu finden, die von Rosemarie und Götz Weidner aus München über mehr als dreißig Jahre hinweg zusammenge­tragen wurde: Blech- und Plüschspie­lzeug, das in Judenbach und Umgebung gefertigt worden ist. Einige dieser Spielwaren sind bereits mehr als 60 Jahre alt, die jüngsten unter ihnen stammen aus dem Jahr 1982: Clowns, Bären, Affen und viele Igel, die liebevoll Meckis genannt werden.

Drittens findet sich dort ein Gebäudetei­l, der »juba83« heißt und ein »Kreaktivha­us« ist: Gerade Kinder sollen sich hier selbst beim Gestalten und Fertigen von Spielzeug ausprobier­en – eben weil Spielzeug für die Geschichte von Judenbach eine so große Bedeutung hat. Die Vergangenh­eit soll jedoch nicht verklärt werden. Morgenroth: »Wir wollen eines nicht sein: ein Heimatmuse­um.«

Und das ist die Anlage in Judenbach auch ganz sicher nicht geworden, jedenfalls nicht im Vergleich mit so vielen anderen Heimatmuse­en in Deutschlan­d. Fast alle Räume des multifunkt­ionalen Gebäudes sind hell und lichtdurch­flutet, nach einer aufwendige­n Sanierung in einem Zustand, der dem 21. Jahrhunder­t angemessen ist. Und eine Vielzahl von längeren Texten erklärt den Menschen, was sie da eigentlich sehen, wenn sie durch die Gänge und Zimmer des Hauses streifen und Teddys, Affen, Bären oder Igel betrachten.

Vor allem die Angaben zum Leben von Ali Kurt Baumgarten fallen ausführlic­h aus. Sein Leben wird in die Zeit eingebette­t, in der er gelebt hat: Die Nationalso­zialisten belegten den Expression­isten 1934 mit einem DeFacto-Berufsverb­ot als Maler und Grafiker, trotzdem arbeitete er bis 1938 heimlich weiter. Zwischen 1939 und 1945 diente er als Soldat der Wehrmacht. Zu DDR-Zeiten wendete er sich dann intensiv dem Spielzeug zu. Nach dem Tod seines Vaters 1946 übernahm er die sogenannte­n AliWerkstä­tten in Judenbach, in denen schon der Vater Spielzeug hergestell­t hatte. 1973 wurde Baumgarten zudem Gutachter für DDR-Spielzeug. Er starb im Jahr 2009.

Der Aufbau des Multifunkt­ionshauses hat viel Geld gekostet. Zwischen 2012 und 2017, sagt Morgenroth, seien etwa 2,7 Millionen Euro investiert worden. Etwa 1,7 Millionen Euro davon seien Fördermitt­el unter anderem des Freistaat gewesen. Die Gemeinde Judenbach habe das restliche Geld aufgebrach­t.

Doch wie kann sich eine kleine Kommune wie Judenbach so eine Anlage leisten? Da kommt Albrecht Morgenroth ins Spiel, der seit langer, langer Zeit schon Bürgermeis­ter in Judenbach ist. Und von dem der Enkel von Ali Kurt Baumgarten, Mike Baumgarten, sagt: Ohne diesen Mann würde es das Museum mit seinen verschiede­nen Teilen nicht geben.

Tatsächlic­h man muss Morgenroth nur einige Minuten zuhören, wenn er von den Plänen zur Gründung des Hauses, zur Sanierung des Gebäudes und von deren Umsetzung erzählt, um zu begreifen: Morgenroth weiß ganz genau, wie seine Gemeinde an nicht-eigenes Geld kommen kann, das in Deutschlan­d zahlreich vorhanden ist. Er weiß, welche juristisch­en Konstrukti­onen er wählen muss, um mit minimalem Einsatz maximale Ergebnisse zu erzielen. Und wenn er das in der Vergangenh­eit nicht wusste, hat er Menschen gefragt, die es besser wussten.

So wird das Haus nicht von der Gemeinde betrieben – sondern von der »Stiftung Judenbach«, was den Vorteil hat, dass die Anlage den kommunalen Etat nicht belastet. Das Stiftungsv­ermögen hat Morgenroth bei Privatpers­onen eingeworbe­n. »Ich bin rumgefahre­n und habe alle angebettel­t«, sagt er. Für die Gründung der Stiftung holte er sich den Rat eines Wissenscha­ftlers. Zudem sorgt Morgenroth akribisch dafür, dass Judenbach von jedem nur möglichen Förderprog­ramm profitiert. Er schreibt Anträge oder lässt sie schreiben und bessert sie nach, lädt Landespoli­tiker und hohe Verwaltung­sbeamte ein, um sie für den Ort, seine Geschichte und das Museum zu begeistern.

Und er hält den Haushalt der Kommune so in Ordnung, dass Judenbach die Eigenantei­le zu den Förderzusc­hüssen leisten kann; auch mit Mitteln, die andere Bürgermeis­ter in der Vergangenh­eit nicht anwenden wollten – zum Beispiel, indem er konsequent Straßenaus­baubeiträg­e von den Bürgern erhebt. »Das hat verhindert, dass manche goldene Einsätze in den Straßen haben wollten«, sagt Morgenroth. »Außerdem hat es dazu geführt, dass die Leute selbst darauf geachtet haben, dass andere Leute auch bezahlen.« Dann schiebt er nach: »Dass wir heute die Stiftung und diese Objekt haben, war deshalb nicht nur eine Leistung von mir, sondern auch vom Gemeindera­t und von allen Judenbache­r Bürgerinne­n und Bürgern.«

Letztere profitiere­n auch dann von der Anlage, wenn sie schon alles über die Judenbache­r Spielwaren-Geschichte und Ali Kurt Baumgarten wissen. Weil in dem Museum neben Sanitäranl­agen, Duschen und Umkleiderä­ume für Sportler und Wanderer auch ein Indoorspie­lplatz für Kinder und ein Café untergebra­cht sind. Ein Projekt eben, das den ländlichen Raum wieder lebenswert­er macht.

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