»Schmeckt echt jut und janz schön jesund«
Sachsen-Anhalt: In Klötze dient ein 500-Kilometer-Glasröhrensystem der Produktion von Algen-Biomasse
Die Altmark verbindet man eher nicht mit Algen, doch im kleinen Klötze werden sie sogar für den Export produziert. Die Brause »Helga« in deutschen Supermärkten wird mit Klötzer Algen hergestellt. »Ein Aquarium in Röhrenform«, sagt Jörg Ullmann. Der Geschäftsführer der Algenfarm Roquette in Klötze (Sachsen-Anhalt) zeigt auf das 500-Kilometer-Glasröhrensystem, durch das eine grünliche Flüssigkeit fließt. Auseinander gewickelt könnte der Strang das altmärkische Klötze mit Bonn oder dem tschechischen Pilsen verbinden. In diesen Röhren produziert das Unternehmen Mikroalgen für den Lebensmittelmarkt, für die Futtermittelund die kosmetische Industrie.
»Wir liefern die Biomasse, die Kunden machen gute Produkte draus«, erläutert Ullmann. Als Paradebeispiel gelte das mit dem Innovationspreis der Welternährungsmesse Anuga in Köln geehrte Algen-Erfrischungsgetränk »Helga«. Kreiert haben es drei Österreicherinnen, auf der Grünen Woche erklärte der Ex-Boxer Axel Schulz: »Schmeckt echt jut und janz schön jesund.« Längst wanderten über eine halbe Million »Helgas« – reich an Vitamin B 12 und arm an Zucker – in verschiedene Supermarktketten.
Das 500-Kilometer-Glasröhrensystem in Klötze, wo die Ausgangstoffe dafür entsteht, sichert den Algen das nötige Sonnenlicht, sie bleiben von möglichen Verunreinigungen verschont. Und es gibt keine dunklen Stellen wie in der Tiefe von Teichen, wo in herkömmlichen Anlagen Mikroalgen produziert werden, besonders in Asien und Amerika. Von einem »technologischen Quantensprung in der Herstellung von Mikroalgen« schwärmten Experten, als in Europas größter Mikroalgen-Farm im kleinen Klötze zur Jahrtausendwende die ersten Algen der Art Chlorella vulgaris kultiviert wurden. Erntereife Algen – sie sind so groß wie ein rotes Blutkörperchen – werden aus dem Wasser zentrifugiert, schonend getrocknet und können sofort verzehrt oder weiterverarbeitet werden.
Doch vielleicht war der Markt damals noch nicht reif für das Klötzer Grün, 2004 jedenfalls war ein Neustart nötig. Der Diplom-Biologe Ull- mann, der aus Chemnitz stammt, befasst sich seither geschäftlich und privat mit Algen. »Mit 65 Jahren ist der Algenanbau noch ein sehr junger Zweig der Landwirtschaft«, erklärt er. »Doch die Algen befinden sich auf einem Siegeszug: 30 Millionen Tonnen Jahresproduktion weltweit, das ist wirtschaftlich interessant.«
Algen, sagt Ullmann, seien nicht nur ein Gemüse für die gehobene Küche, sondern gelten als Lebensmittel der Zukunft. Denn sie wachsen schneller als Landpflanzen, sind nicht betroffen vom Schwinden landwirtschaftlicher Nutzfläche und zudem gesund.
Superfood also? Das Wort mag Jörg Ullmann nicht. »Algen haben einen hohen Nährwert, 50 Prozent reines Protein, da kommen Eier, Schnitzel oder Soja und Co. nicht mit.« Bei der Grünen Woche buk Ullmann Gugelhupf mit goldgelbem Mikroalgenpulver statt klassisch mit Ei und Butter. Kein Verkoster hat es gemerkt. »So wie beim Einkaufen wohl keiner glauben wird, dass in zwei Drittel seiner Lebensmittel Algen stecken, die zum Beispiel sich hinter der Bezeichnung E405 verstecken.« Auch könne der verstärkte Einsatz von Algen den Salzgehalt vieler Gerichte um ein Drittel senken und so das Gesundheitssystem entlasten. Es geht nicht nur um neue Geschmackserlebnisse oder grüne Nudeln, sondern um Algen als Vitaminquelle, um natürliche Farbstoffe und kalorienreduzierte Lebensmittel. Und um Hilfsprojekte.
Algenfarmer Ullmann berichtet, dass seine Firma sich seit Jahren beim Projekt Fundacion Atlàntida in Kolumbien engagiere. Untersuchungen hätten ergeben, dass ein Teelöffel der blauen Alge Spirulina pro Tag innerhalb von einem Monat Mangelernährung ausgleicht. Würde die Nutzung von Algen auf diesem Gebiet forciert werden – Ullmann denkt da zum Beispiel an fernüberwachte Minifarmen – , täte man »einen großer Schritt, um etwas gegen Hunger und Krankheit in Entwicklungsländern zu tun«. Das Potenzial der Algen sei riesig. »Bis zu 40 000 Arten gibt es, genutzt werden erst rund 100. Die Algenschatzkiste ist erst ein klein wenig geöffnet.« Neben dem Hauptprodukt Chlorella wandert für verschiedene Anwendungen noch ein gutes Dutzend verschiedener anderer Mikroalgen durch die Röhren.
In der Algenfarm mit ihrem 1,2 Hektar großen Gewächshaus arbeiten 17 Mitarbeiter. »Von der Starterkultur über die Abfüllanlage bis zur 100-Gramm- oder 25-Kilogramm-Verpackung erledigen wir alles hier«, sagt Ullmann. Der gute Ruf der Algen und der aktuell »gesunde Lifestyle« bescheren den Altmärkern gute Geschäfte, besonders in Europa, aber auch in Nordamerika und Asien.
Vor einigen Wochen erhielt der Geschäftsführer aus London den internationalen »Gamechangers Awards« in der Kategorie »Gesundheit, Phar- mazie, Biotechnologie und Medizintechnik« zugesprochen. Die Abstimmung gewinne, wer Neues schaffe und eine Branche mit seiner Forschung revolutioniere, erläutert er.
Übrigens auch in der Freizeit kann Ullmann nicht von den Algen lassen. Nicht nur, dass er mit Kirstin Knufmann das Buch »Algen – das gesunde Gemüse aus dem Meer« veröffentlichte, das auf der Frankfurter Buchmesse eine Goldmedaille gewann. Er schreibt auch über Qualitätsparameter bei Algen. Und manchmal geht er tauchen. Dann, sagt er, habe er natürlich auch mit Makroalgen zu tun.