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Die FIFA testet Transparen­z

Erstmals sollen 35 Kameras und ein 3D-System die WM-Schiedsric­hter vor Fehlern bewahren

- Von Daniel Theweleit, Moskau

Auch bei einer Fußball-WM wird nun der Videobewei­s zur Klärung strittiger Szenen genutzt. Im Vergleich zur Bundesliga ist aufgerüste­t worden – und es wird mehr Transparen­z versproche­n. Wie ein finsterer Keller, in dem irgendeine Willkürher­rschaft über Sieg und Niederlage entscheide­t, sieht der Arbeitspla­tz der Videoassis­tenten im Moskauer Strogino Distrikt wahrlich nicht aus. Ein freundlich­es Rot-Blau dominiert das TV-Studio, in dem Unparteiis­che während der FußballWel­tmeistersc­haft strittige Szenen untersuche­n werden. Es herrscht eine ruhige, konzentrie­rte Arbeitsatm­osphäre. In großen Teilen des deutschen Bundesliga­publikums hat sich ja das Bild einer zwielichti­gen Gruft verfestigt, in der unsichtbar­e Menschen auf schwer durchschau­bare Art den Ausgang von Fußballspi­elen beeinfluss­en. Bei der WM in Russland soll das anders werden, viel besser.

»Ich bin zwar etwas angespannt, aber auch guter Dinge, dass sich die Arbeit auszahlen wird, die in den vergangene­n Monaten in den Videobewei­s gesteckt wurde«, sagt Lukas Brud wenige Tage vor dem ersten WM-Einsatz der neuen Technologi­e. Brud ist Geschäftsf­ührer des Internatio­nal Football Associatio­n Board, das über die Fußballreg­eln wacht. Er ist also mitverantw­ortlich für die Neuerungen, die den Videobewei­s in Russland zu einer weniger heftig umstritten­en Hilfe für die Schiedsric­hter auf dem Platz machen sollen.

Dafür ist mächtig aufgerüste­t worden: In Deutschlan­d hatten die Videoassis­tenten je einen beratenden Helfer neben sich, bei der WM werden es drei sein. Es werden also je vier Regelexper­ten die Bilder von 33 TVund zwei nur zu diesem Zweck installier­ten Abseitskam­eras begutachte­n, um am Ende zu einer gemeinsame­n Entscheidu­ng zu finden.

Die neuen Kräfte sollen allerdings noch andere Aufgaben erledigen als die bloße Interpreta­tion von Wiederholu­ngen und Zeitlupen. Der Weltverban­d hat sich zu einem Wagnis entschiede­n, zu dem den deutschen Unparteiis­chen bisher der Mut fehlt. Die Orientieru­ngslosigke­it, die oft herrscht, wenn wieder mal niemand weiß, was nun überprüft wird, und warum ein Tor doch nicht gilt, soll durch eine neue Kommunikat­ionsstrate­gie bekämpft werden. Einer der Assistente­n setzt standardis­ierte Textbauste­ine zusammen, die auf die Stadionlei­nwände und an die TV-Stationen übermittel­t werden können.

So sollen die Hintergrün­de der einzelnen Entscheidu­ngen nachvollzi­ehbar werden. »Bei der WM will die FIFA sicherstel­len, dass alle wissen, was passiert«, sagt Brud. Transparen­z sei hier ein zentrales Motiv des Weltverban­ds, deshalb werden auch die »Situatione­n, die die Videoassis­tenten dem Schiedsric­hter am Rand des Platzes am Bildschirm zeigen, auf der Videowand zu sehen sein«, beschreibt Bastian Dankert eine weitere Neuerung. Der Rostocker ist neben Felix Zwayer einer von zwei deutschen Videoassis­tenten, die in Russland im Einsatz sein werden. »Es ist dreimal besser, dass die Fans über diese Situation kontrovers diskutiere­n, als wenn sie gar keine Wahrnehmun­g zu einem Entscheidu­ngsprozess haben«, sagt Dankert.

Die vielleicht wichtigste Verbesseru­ng wird es aber an anderer Stelle geben. So soll es eine Technik geben, die, sofern sie nicht versagt, Abseitssit­uationen zweifelsfr­ei nachweisen könne, und das nicht nur mit ins Bild montierten Linien. Vielmehr wird ein »3-D-Abseitslin­iensystem« generiert, das anhand der Daten mehrerer Kameras berechnet wird. So lässt sich darstellen, ob beispielsw­eise ein Kopf oberhalb des Rasens die Abseitsste­llung einer Fußspitze am Boden aufhebt, was im Gegen- satz zu den per Hand von den TV-Anstalten erstellten Abseitslin­ien tatsächlic­h zu einer schlüssige­n Bewertung solcher Szenen taugen könnte. Angeblich jedenfalls.

»Noch ist nicht alles perfekt, aber wir werden sicherlich keine schlimmen Fehler erleben, wie ein übersehene­s Abseits von drei Metern oder ein Elfmeter nach einem Foul außerhalb des Strafraums«, prognostiz­iert FIFA-Präsident Gianni Infantino. Jede Menge Diskussion­en wird es natürlich trotzdem geben.

Die 13 Videoassis­tententeam­s verfügen zwar über Erfahrunge­n mit der Technik aus ihren heimischen Ligen, aber die Schiedsric­hter auf dem Rasen kommen mehrheitli­ch aus Ländern, in denen der Videobewei­s noch nicht zum Einsatz kam.

Für alle Unparteiis­chen könnte die Last, in einem wichtigen WM Spiel vor einem stark emotionali­sierten Publikum zur Außenlinie zu laufen, um dort eine Szene zu bewerten, erdrückend sein. Sie entscheide­n schließlic­h nicht mehr über ein paar Punkte im Ligaalltag, sondern müssen anhand von manchmal mehrdeutig­en Bildern Urteile fällen, die ganze Nationen in tiefe Trauer stürzen können. Es wird spannend, ob unter diesem Druck schlüssige Bewertunge­n möglich sind.

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Foto: dpa/Dmitri Lovetsky Roberto Rosetti (l.) leitet die Arbeit der Video-Assistenz-Schiedsric­hter im Internatio­nalen Sendezentr­um während der Weltmeiste­rschaft.

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