Couchtaktiker
Christoph
Biermann ist ein Universaldenker des Fußballs. Niemals festgelegt, setzt er seine Neugier und sein trüffelnäsiges Gespür für seismografische Ballschwankung ein, um auch das kleinste Revolutiönchen des Fußballgewerbes weltweit zu erhaschen. Obgleich er merkwürdigerweise schon im Vorwort schreibt, er habe sie nicht gesucht, »diese ungewöhnlichen, die eigensinnigen und die schrägen Typen. Sie sind mir fast automatisch begegnet, als ich mich durch ein Terrain bewegte, das noch längst nicht abschließend kartografiert ist …« O. k., das spricht für die Bescheidenheit und Cleverness des einsamen Jägers.
Denn genau diese Geschichten, wie die um diesen komischen Zahnarzt und Trainer, der eine Mannschaft von einer fiesen, kalten Insel, wo Fußball sieben Monate im Jahr noch in Höhlen (o. k., in Hallen) gespielt wird, zum Weltmeisterschaftsschreck formte, ziehen uns dank biermannscher Darstellung in ihren Bann. Oder der hartnäckige Fußballwetter, der dank systemorientiertem Wetten zum Millionär wurde und sich seinen Kindheitstraumklub gekauft hat. Dann die zwei Bundesligaprofis, die dem Spiel mit Mathematik auf die Pel-
Den Fußball mal als Waffe, dann wieder als Waffel der Kritik einsetzen, das kann Biermann gut.
le rückten, auf der Suche nach den besten Daten der Welt. Biermann geistert durch das Dickicht der Fußballfantasten und zieht mit großem Geschick die mächtigsten Würmer aus dem Teig.
Das Fußballerische kritisch betrachten, den Fußball mal als Waffe, dann wieder als Waffel der Kritik fußballerisch einsetzen, das kann Biermann gut. Den Nahtstellen dazwischen nachgehen, den Getriebenen auf den Fersen bleiben, deren Antrieb Geld und höchster Ruhm sind. Mitunter auch der Irrsinn des Bahnbrechers, den schon Udo Lindenberg in den 70ern erkannte, als er meinte: »Wahnsinn und Genie gehen Hand in Hand.«
Man muss das zu Entziffernde nicht komplett verstehen, es reicht, es zu lesen, sich mit Herz und Hirn darauf einzulassen. Erstaunlicherweise hat Biermanns Buch binnen Kurzem bereits eine zweite Auflage erlebt. Sind wir ein Volk von dahinschmelzenden Fußballdenkern? Langfristig gesehen bestimmt nicht. Doch auch das deutsche Heer der Hobbystatistiker und Couchtaktiker betrachtet »Matchplan« für ihre meisterlichen Kopfgeburten bestimmt als nützlich.
Einen tiefen Blick in die milchgläserne Welt der Strategen und Analytiker zu werfen, die zum Glück nicht immer recht haben, weil Fußball, wenigstens in den Pokalwettbewerben, immer anarchisch bleiben wird, macht mit Biermann ungeheuren Spaß. Das liegt auch an seiner leicht spröden Art der Berichterstattung. Er geht nie mit seinen Gesprächspartnern (Frauen kommen am Rand vor) ins Bett, er bleibt immer auf der Bettkante sitzen und hat wenigstens die Stutzen noch an. Sehr, sehr lesenswert, ein intelligenter Blick auf die Welt der Sterndeuter, Krümelforscher und herrlich Wahnsinnigen des Fußballs. Schnabuliert das Buch!
Christoph Biermann: Matchplan. Die neue Fußballmatrix. Kiepenheuer und Witsch, 288 S., br., 14,99 €.