Stadtentwicklung abgespeckt
Frankreichs Präsident Macron sind die ehrgeizigen Programme für Problemregionen zu teuer
Die sozialen Probleme in vielen französischen Kommunen sind bekannt. Doch statt auf ein umfangreiches Programm setzt der Präsident auf Trippelschritte – zum Leidwesen der Kommunalpolitiker. Vergangenen Sommer hatte der damals neue Präsident Emmanuel Macron den Ex-Minister für Stadtentwicklung, Jean-Louis Borloo, mit einer Studie über die Lage der sozialen Problemviertel beauftragt. Knapp ein Jahr später hat dieser seinen Bericht und daraus abgeleitete Vorschläge für konkrete Maßnahmen vorgelegt.
Den Zentrumspolitiker für diese Aufgabe zu gewinnen, war ein geschickter Schachzug Macrons. Borloo war von 1989 bis 2002 Bürgermeister der nordfranzösischen Stadt Valenciennes, die in einer ehemaligen Industrielandschaft liegt, die durch die massive Schließung von Kohlegruben, Stahlwerken und Webereien zur Krisenregion geworden ist. Trotz der rekordhohen Jugendarbeitslosigkeit hat es Borloo durch Realismus und Pragmatismus, durch die Organisierung von Aus- und Fortbildungen, aber auch über Sport- und Kulturvereine geschafft, jungen Einwohnern Zukunftsaussichten und Selbstvertrauen zu verschaffen.
Die Erfolge der unorthodoxen Kommunalpolitik sprachen sich herum. So wurde Borloo unter dem rechten Präsidenten Jacques Chirac 2002 Minister für Stadtentwicklung, später Arbeitsminister und unter Präsident Nicolas Sarkozy kurzzeitig Wirtschafts- und Finanzminister. Im Stadtentwicklungsressort startete er ein Programm, mit dem landesweit zunächst 200 und dann 400 »Problemviertel« saniert wurden. Heruntergekommene Hochhäuser mit 200 000 Sozialwohnungen wurden abgerissen, durch Neubauten ersetzt und mit öffentlichen Einrichtungen ergänzt. Insgesamt wurden für die Mieter von 800 000 Sozialwohnungen die Lebensbedingungen verbessert. Dies und die gezielte Hilfe der Regierung für Schulen sowie die Ansiedlung von Firmen, denen Finanzhilfe gewährt wurde, wenn sie Mitarbeiter aus der Umgebung rekrutierten, haben geholfen, die Gewalt in den Vierteln zurückzudrängen.
Für das ehrgeizige Programm wurden zunächst 20 Milliarden Euro bereitgestellt, doch die Kosten summierten sich auf 46 Milliarden Euro. Auch den Neubau von Sozialwohnungen konnte Borloo von jährlich 270 000 auf 450 000 steigern, indem er kommunale und private Projekte durch staatseigenen Baugrund und Steuervergünstigungen anregte.
Solche Maßnahmen finden sich auch im jetzigen Bericht. Die aktuelle Lage in den Problemvierteln bezeichnet Borloo als »skandalös«. Insgesamt 19 Programme für Beschäftigung, Schule und Berufsausbildung, für die Sanierung von Wohnhäusern und ganzen Vierteln, aber auch für mehr Sicherheit sowie den Kampf gegen Kriminalität und Drogenhandel schlägt er vor. Dass er seinen Bericht nicht wie geplant Macron, sondern Premier Edouard Philippe übergeben und dabei seine Vorschläge dargelegt hat, war aber alles andere als ein »Terminproblem«, wie offiziell behauptet wurde. In Wirklichkeit hatten der Inhalt der Studie und die daraus abgeleiteten Vorschläge im Elysée für Ernüchterung gesorgt und Macron, der eigentlich darauf seine für Ende Mai geplante Rede zur künftigen Stadtentwicklungspolitik aufbauen wollte, zu einer Kursänderung veranlasst. Das Gewicht des Borloo-Papiers wurde heruntergespielt – offiziell hieß es, es sei nur eine »Arbeitsgrundlage«.
Die große Enttäuschung kam für Borloo, als er bei der Rede Macrons vor 600 Bürgermeistern im Elysée in der ersten Reihe sitzend hören musste, wie der Präsident die Konturen der künftigen Stadtwicklungspolitik zeichnete. Von den ehrgeizigen Vorschlägen des Ex-Ministers fand sich so gut wie nichts wieder. »Die großen und teuren Programme gehörten der Vergangenheit an«, so Macron. Er hatte er nur wenige »gezielte Maßnahmen« anzukündigen: mehr Krippenplätze, kleinere Klassen in den Grundschulen, die Vermittlung von Berufs- findungspraktika für Jugendliche oder die Verstärkung der Kommunalpolizei, die zudem ein Vertrauensverhältnis zu Bevölkerung herstellen soll.
Der ewige Optimist Borloo bewahrte beim Verlassen des Elysée den Journalisten gegenüber Haltung, als er behauptete, der Präsident habe »alle wichtigen Punkte des Berichts behandelt«. Die meisten der anwesenden Kommunalpolitiker waren dagegen enttäuscht und verbittert: »Macron hat den ehrgeizigen Vorhaben von Borloo, die echte Ansätze für Verbesserungen boten, allerdings auch 50 Milliarden Euro gekostet hätten, ein Begräbnis erster Klasse bereitet«, meint Azzedine Taibi, der kommunistische Bürgermeister der Pariser Vorstadt Stains. »Was der Präsident gesagt hat, war vage und hohl. Während Borloo monatelang Kenner der Lage vor Ort wie mich und meine Kollegen konsultiert hat, schwebt Macron jupiterhaft über den eigentlichen Problemen«, so sein resigniertes Fazit.