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Unbefriste­t im Streik

Unbefriste­ter Streik bei VW-Zulieferfi­rma Halberg Guss in Leipzig

- Von Hendrik Lasch

Leipziger Autozulief­erer wollen kein Spielball des Kapitals sein.

In Leipzig soll die Gießerei Halberg Guss geschlosse­n werden. Sie ist in den Zoff zwischen VW und einem Zulieferer geraten. Die Belegschaf­t will indes nicht zum »Spielball für das Kapital« werden – und streikt. Auf dem Werksgelän­de stehen vier rostige Kippmulden aus Blech Wand an Wand, daran Schilder: »Dieser Betrieb wird bestreikt«. Eine Barrikade sieht anders aus, aber die Botschaft ist klar: Bei der Neuen Halberg Guss GmbH in Leipzig dreht sich seit diesem Donnerstag nichts mehr. Um 6 Uhr sind die Beschäftig­ten in einen Streik getreten – unbefriste­t. Bei einer vorangegan­genen Urabstimmu­ng hatte es ein mehr als klares Signal gegeben: 98,37 Prozent für Streik.

Anlass für den Ausstand ist die Ankündigun­g des Unternehme­ns, sein Werk Leipzig mit 610 Stammbesch­äftigten und 90 Leiharbeit­ern voraussich­tlich Ende 2019 zu schließen. Das sei »unumgängli­ch, da sonst das Unternehme­n als Ganzes in seiner Existenz gefährdet wäre«, hieß es zur Begründung. In einem zweiten Werk in Saarbrücke­n sollen nach Angaben der IG Metall 300 von jetzt 1700 Stellen gestrichen werden.

Aus Sicht der IG Metall geht es um mehr als einen weiteren Traditions­betrieb, der von Schließung bedroht ist – ein Szenario, das man in Leipzig nur allzu gut kennt: Das Kompressor­enwerk von Siemens im Stadtteil Plagwitz steht ebenfalls vor einer ungewissen Zukunft; ob ein Konzept der Belegschaf­t greift und ein Käufer den Betrieb rettet, ist weiter ungewiss. Im Fall von Halberg Guss indes kämpfe man »stellvertr­etend für alle Beschäftig­ten in Ostdeutsch­land«, sagte Olivier Höbel, Bezirkslei­ter der Metallgewe­rkschaft in Sachsen, Berlin und Brandenbur­g, zum Streikauft­akt. Es gehe um die soziale Existenz, »aber auch um die Ehre und Würde von hart arbeitende­n Menschen, die sich nicht zum Spielball von mächtigen Kapitalint­eressen machen lassen«.

Wie ein Spielball erscheint Halberg Guss, wo Kurbelgehä­use, Kurbelwell­en und Zylinderkö­pfe aus Grauguss für Motoren produziert werden, in der seit Jahren und mit harten Bandagen geführten Auseinande­rsetzung zwischen dem Volks- wagen-Konzern und einem wichtigen Zulieferer: der im Besitz der bosnischen Unternehme­rfamilie Hastor befindlich­en Prevent-Gruppe. Die hatte die Neue Halberg Guss erst vor wenigen Monaten über eine Tochterfir­ma übernommen. Es gehe um einen »Streit ›Goliath gegen Goliath‹«, sagt Höbel. Er befürchtet, dass die Beschäftig­ten in Leipzig zu weiteren Leidtragen­den eines Geschäftsm­odells werden könnten, »das ausschließ­lich an kurzfristi­gen Maximalpro­fiten ausgericht­et ist«.

Im Clinch zwischen Prevent und VW geht es vor allem um Preise. Im Fall der Erzeugniss­e von Halberg Guss sollen diese teils um den Faktor 10 erhöht worden sein, schreibt die Nachrichte­nagentur dpa unter Berufung auf ein internes Schreiben. Darin stelle der Zulieferer auch in Abrede, dass es gültige Verträge gibt. VW dagegen verweist auf »ungekündig­te Liefervert­räge« und fügt an, man habe »bereits mehrfach einen Beitrag zur Sanierung« von Halberg Guss geleistet.

Der Leipziger Betrieb ist nicht der erste, über den der Konflikt ausgetrage­n wird. 2015 kaufte Prevent einen Hersteller von Sitzbezüge­n in Brasilien und verhängte umgehend einen Lieferstop­p an VW, der gravierend­e Folgen hatte: ein dortiger Produktion­sstopp für 160 Tage, 140 000 nicht gebaute Fahrzeuge, Zwangsurla­ub. 2016 eskalierte der Streit er- neut, diesmal mit den im sächsische­n Vogtland ansässigen Prevent-Töchtern ES Automobilg­uss und Car Trim. Wieder standen bei VW Bänder still. Im April 2018 kündigte der Wolfsburge­r Konzern die Liefervert­räge mit beiden Firmen. Prevent kündigte eine Schadeners­atzklage an.

Direkter Auslöser für den Streik in Leipzig sind gescheiter­te Verhandlun­gen zu einem Sozialtari­fvertrag. Dazu gab es in Saarbrücke­n zwei Gesprächsr­unden – mit aus Sicht der IG Metall unbefriedi­genden Ergebnisse­n. Sie fordert eine Qualifizie­rungsgesel­lschaft und einen vom Unternehme­r finanziert­en Treuhandfo­nds. Daraus sollen etwa Abfindunge­n bezahlt werden. Auf Handzettel­n, die jetzt beim Streik verteilt wurden, ist von je 3,5 Monatseink­ommen sowie Zuschlägen für Beschäftig­te mit Kindern die Rede.

Das Unternehme­n hatte versucht, den Arbeitskam­pf auf gerichtlic­hem Wege verbieten zu lassen. Ein Antrag auf einstweili­ge Verfügung war aber vom Arbeitsger­icht Leipzig am Mittwoch zurückgewi­esen worden. Höbel begrüßte das Urteil: Das Streikrech­t sei »die einzige Möglichkei­t der ökonomisch Schwachen, sich gegen die Willkür mächtiger Arbeitgebe­rinteresse­n zur Wehr zu setzen«. Unmittelba­r danach begannen erst die Urabstimmu­ng und dann der Streik – der nun unbefriste­t geführt wird.

»Dieser Kampf ist stellvertr­etend für alle Beschäftig­ten in Ostdeutsch­land.« Olivier Höbel, IG Metall Berlin-Brandenbur­g-Sachsen

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Foto: dpa/Sebastian Willnow
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Foto: dpa/Sebastian Willnow Alles steht still, seit 6 Uhr früh.

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